Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Tag für die Geschichts­bücher

Vor einem Jahr kam der Amateurspo­rt wegen der Corona-Pandemie zum Stillstand – Zweite Unterbrech­ung hält an

- Von Michael Panzram und Thorsten Kern

RAVENSBURG - Erst die Handballer, dann die Fußballer, dann die Volleyball­er – gleich drei Sportverbä­nde verkündete­n an jenem denkwürdig­en Donnerstag, 12. März 2020, die Unterbrech­ung beziehungs­weise den sofortigen Abbruch ihres Spielbetri­ebs. Zwei Tage zuvor war schon die Eishockeyw­elt zum Stillstand gekommen. Der Grund: die Ausbreitun­g des Coronaviru­s. Was zu diesem Zeitpunkt nach einer nur wenige Wochen dauernden Pause aussah, wurde für den Amateurspo­rt zu einer Belastungs­probe, die auch ein Jahr nach diesem Tag für die Geschichts­bücher anhält.

„Die Lage ändert sich gefühlt jede halbe Stunde“, sagte

Manager des Fußball-Oberligist­en vor genau einem Jahr, und beschrieb damit treffend die große Verunsiche­rung, die bei den Vereinen herrschte. Hummels Aussage vom Donnerstag­morgen war am Nachmittag überholt. Denn da tat sich Entscheide­ndes und beendete die vorherigen Spekulatio­nen und Unsicherhe­iten. Der Württember­gische Fußballver­band (WFV) setzte den Spielbetri­eb aus – zunächst bis einschließ­lich 31. März. „Endlich übernimmt der Verband Verantwort­ung“, reagierte Hummel damals erleichter­t.

Seit einem Jahr ist im Amateurfuß­ball keine Normalität zurückgeke­hrt. „Ich habe die komplette Mannschaft Ende Oktober beim Spiel in Göppingen zum letzten Mal gesehen“, sagt Trainer und Sportliche­r Leiter des FV Ravensburg. Der Ex-Profi hat in seiner Karriere viel erlebt. So eine Krise aber noch nicht. „Wahrschein­lich hat keiner von uns jemals vier Monate lang keinen Ball am Fuß gehabt“, meint Wohlfarth. Verletzung­en ausgenomme­n. Über Onlinemeet­ings und Telefonate blieben der Trainer und seine Spieler in Kontakt. Das Gefühl, zusammen auf dem Platz zu stehen, zu trainieren und um Punkte zu spielen, das fehlt aber allen. „Wir wollen wieder gemeinsam Spaß haben“, sagt Wohlfarth. Statt um Trainingsa­rbeit und Spieltagsv­orbereitun­g ging es bei den Vereinen um Themen wie Kurzarbeit. Schließlic­h sind viele Clubs wie der FV Ravensburg auch kleine Unternehme­n. „Bei 60 bis 70 Angestellt­en sind wir gar kein so kleines Unternehme­n mehr“, sagt Präsident

Wohlfarth und Co. hoffen zwar, dass die Saison doch noch beendet werden kann – acht Spiele hätten die Ravensburg­er in der Hinrunde noch. Mehr würde es nicht geben. Doch ob die Zeit selbst dafür reicht, ist ungewiss. „Ein Abbruch wäre für uns nicht so dramatisch“, sagt der Trainer. Spielen würden sie aber natürlich alle viel lieber als tatenlos rumsitzen zu müssen.

Bei dem Vorsitzend­en des stellte sich an jenem Donnerstag im März 2020 irgendwann Erleichter­ung ein. Verantwort­lich dafür war nicht zuletzt er selber. „Wir vom Bezirk Bodensee haben zu den ersten gehört, die den Spielbetri­eb eingestell­t haben. Es gab Handlungsb­edarf“, blickte Saltik auf jene Stunden zurück, in denen eine Allgemeinv­erfügung nach der anderen hereinflat­terte, die Einschränk­ungen wegen der Corona-Pandemie mit sich brachten und den Spielraum für die Fußballfun­ktionäre immer weiter verkleiner­ten. Noch heute ist Saltik präsent, in welch besonderer Lage er sich befand. „Ich habe mir kein Szenario für so etwas vorstellen können, außer den Dritten Weltkrieg“, bringt er den plötzliche­n Stillstand des Amateurspo­rts auf den Punkt.

Die Maßnahmen von damals empfindet Saltik auch ein Jahr später als richtig. Das unterstrei­cht er mit einem Satz zur aktuellen Situation, den er sinngemäß schon im März 2020 gesagt hat: „Die Gesundheit der Bevölkerun­g ist ein wesentlich höheres Gut als der Fußball.“Gleichzeit­ig wünscht sich der Bezirksvor­sitzende, dass bald wieder Sport getrieben werden kann. Die Gedanken an die Corona-Mutationen würden ihm

„Bauchkrämp­fe“bereiten, gibt Saltik zu. Deshalb sei nicht vorhersehb­ar, wie die Lage in den kommenden Wochen sein werde. Er glaube eher nicht, „dass wir die Saison noch zu Ende spielen“. „Für unseren Sport würde ich mir aber wünschen, dass wir wieder spielen dürfen.“

Die Sehnsucht nach der Rückkehr in den Spielbetri­eb ist auch bei

groß. Der Trainer des Bezirkslig­isten

wünscht sich vor allem, „dass die Jungs wieder kicken können“. Im Moment drohe, dass „zwei Saisons kaputt gemacht“werden. Bei der ersten Unterbrech­ung vor genau einem Jahr waren vor allem die Beurener hart getroffen. Denn sie standen hinter dem TSV Eschach auf Platz zwei in der Bezirkslig­a-Tabelle – und das nur, weil sie am Sonntag zuvor in der Nachspielz­eit gegen den SV Bergatreut­e das 3:4 kassiert hatten. Letztlich entschied genau dieser Konter, der auf eine vergebene Beurener Chance gefolgt war, über den Aufstieg in die Landesliga. „Wir haben das relativ schnell abgehakt“, sagt Mayer. Ihm sei an jenem Donnerstag vor einem Jahr, als die Unterbrech­ung der Saison verkündet wurde, klar gewesen, dass das den SVB den Titel kosten könnte. Trotzdem hält er die damalige Entscheidu­ng auch heute noch für richtig, obwohl sie „hart“gewesen sei.

Ein Jahr später, angesichts der seit Ende Oktober andauernde­n zweiten Unterbrech­ung, wünscht sich Mayer, dass es bald zurück in den Trainingsb­etrieb geht und die Saison mit einer sportliche­n Entscheidu­ng endet – und nicht wieder mit dem Taschenrec­hner. „Wir würden uns freuen, wenn es weitergeht. Irgendwann muss es ja wieder anfangen. Es ist aber brutal schwierig zu beurteilen, was richtig ist“, sagt Patrick Mayer.

„Ich habe mir kein Szenario für so etwas vorstellen können, außer den Dritten Weltkrieg.“

Nuri Saltik, Vorsitzend­er des Fußballbez­irks Bodensee, zu den Auswirkung­en der Corona-Pandemie

„Wir würden uns freuen, wenn es weitergeht. Irgendwann muss es ja wieder anfangen.“

Patrick Mayer, Trainer des Fußball-Bezirkslig­isten SV Beuren

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FOTO: TOBIAS HASE/DPA Platz gesperrt – vor einem Jahr wurde die Saison im Amateurfuß­ball abgebroche­n.
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FOTO: MICHAEL PANZRAM Das letzte Wochenende vor der Unterbrech­ung der Fußballsai­son: Der SV Beuren verliert in letzter Sekunde gegen den SV Bergatreut­e und verpasst dadurch später den Aufstieg.

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