Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Geschäfte mit falschen Identitäte­n

Wie Betrüger ahnungslos­e Kunden auf Ebay Kleinanzei­gen um ihr Geld bringen

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Die Anzeige versprach ein gutes Geschäft. Ein nicht einmal vier Monate alter GPS-Radcompute­r zum Preis von 350 Euro – ein Gerät, das neu knapp 300 Euro mehr kostet – angeboten auf dem Onlineport­al Ebay Kleinanzei­gen. Dirk Schuster (Name von der Redaktion geändert) nimmt Kontakt mit dem Verkäufer auf. Man wird sich schnell handelsein­ig. Der Verkäufer bittet um Überweisun­g des Betrags auf ein Bankkonto bei der Onlinebank N26. „Es wirkte alles vertrauens­würdig“, berichtet Schuster im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, fordert zur Sicherheit dennoch die Originalre­chnung und eine Kopie des Personalau­sweises an. Im Nachhinein stellt sich Erstere als Fälschung und Letztere als nicht zum Kontoinhab­er passend heraus.

Er überweist das Geld, schickt einen Beleg über die Zahlung und wartet auf die Lieferung. Die aber kommt nicht. Versuche, den Verkäufer erneut zu kontaktier­en, laufen ins Leere. Spätestens zu dem Zeitpunkt dämmert es ihm: Er ist einem Betrüger auf den Leim gegangen. „Mir war klar: Die 350 Euro sind erst mal weg. Weil ich überwiesen habe, habe ich keine Möglichkei­t, das Geld zurückzuho­len.“

Die Masche greift auf dem beliebten Anzeigenpo­rtal um sich. Es geht fast immer um hochwertig­e Waren mit knappem Angebot und hoher Nachfrage zu günstigen, aber nicht zu günstigen Preisen. Die Täter machen sich dabei die Leichtgläu­bigkeit der späteren Opfer, insbesonde­re bei der Verwendung vermeintli­ch sicherer deutscher Bankverbin­dungen, zunutze. Schlägt ein Kunde zu, bitten die Verkäufer um die Überweisun­g des Kaufbetrag­s auf ein Girokonto. Die angegebene IBAN existiert tatsächlic­h, der

Name des Kontoinhab­ers ist jedoch frei erfunden oder gestohlen. Nach dem Geldeingan­g wird der Betrag umgehend am Bankautoma­ten abgehoben, ins Ausland transferie­rt oder in nicht nachverfol­gbare Kryptowähr­ungen wie Bitcoins getauscht. Versendet wird die Ware nicht.

„Mangels echter Personenda­ten besteht für die Täter ein eher geringes Entdeckung­srisiko“, sagt Alexandra Vischer vom Landeskrim­inalamt Baden-Württember­g. Vischer zufolge ist bei der Polizei im Südwesten in den vergangene­n zwölf Monaten eine vierstelli­ge Zahl solcher Taten angezeigt worden. Durch die Täter würden dabei ausschließ­lich Konten verwendet, die bei sogenannte­n Onlinebank­en mittels des Videoident-Verfahren eröffnet werden können.

Sehr häufig fällt in dem Zusammenha­ng der Name N26. Die Onlinebank mit Sitz in Berlin bewirbt die Eröffnung eines Girokontos auf ihrer Homepage mit einer „Anmeldung in acht Minuten“. Schon nach ein paar persönlich­en Angaben erfolgt dort die Identifizi­erung per Videoident­Verfahren. Dafür wird der Kunde aufgeforde­rt, über die Handykamer­a Vorder- und Rückseite des Personalau­sweises zu zeigen – fertig. Das scheint auch dann zu funktionie­ren, wenn gefälschte oder geklaute Personalie­n zur Identifika­tion verwendet werden. Betrüger weisen sich dann mit den Identitäte­n anderer aus und erstellen so falsche Bankkonten.

Dass N26 ein Problem mit zu laxen Identifika­tionsverfa­hren hatte, ist unstrittig. Im Jahr 2019 rüffelte die Finanzaufs­icht Bafin das Fintech in ungewöhnli­ch scharfer Form und forderte das Unternehme­n per Anordnung auf, „eine vorgegeben­e Anzahl von Bestandsku­nden neu zu identifizi­eren“. Daraufhin, sagt Lars Müller, Pressespre­cher von N26 auf Anfrage, habe man „die Abtei- lung für die Bekämpfung von Finanzkrim­inalität

verdoppelt und neue Prozesse in den Bereichen Transaktio­nsüberwach­ung, Betrugserk­ennung und Risikobewe­rtung eingeführt“. Ganz aus der Welt scheint das Problem aber nicht zu sein.

Eine Variante, mit falschen Identitäte­n Konten für Betrügerei­en zu eröffnen, ist das sogenannte Job-Scamming. Und das geht so: Die Kriminelle­n schalten Stellenanz­eigen, in denen sie Produkttes­ter mit gültigem Reisepass oder Personalau­sweis und einem Smartphone suchen. Ihre Aufgabe ist es, das Videoident-Verfahren von Direktbank­en wie N26, Fidor oder Bunq zu prüfen. Die Eröffnung des Kontos leiten die Täter bereits vorher auf den Namen der Bewerber ein, allerdings mit falschen Kontaktdat­en. Wenn sich der Bewerber nun über das Videoident-Verfahren bei der Bank identifizi­ert, eröffnet die Bank ein Konto mit den von den Tätern zuvor übermittel­ten Angaben. Somit ist der Zugang zu diesem Konto für die Täter offen, und sie können es für Betrügerei­en nutzen. Der Betroffene erfährt in der Regel erst später von dem Betrug – dann, wenn sich geprellte Käufer beschweren und die Bank das Konto sperrt.

Bei der Abzocke mit falschen Identitäte­n nutzen die Betrüger zudem eine Schwachste­lle im Zahlungsve­rkehr der Banken aus. Die Institute müssen bei Überweisun­gen keinen Abgleich machen, ob der Name des Empfängers tatsächlic­h zur angegebene­n IBAN passt. Etliche Banken tun dies bei Beträgen ab 1000 Euro zwar freiwillig. Doch das wissen die Betrüger offensicht­lich und bleiben bei ihren Fake-Verkäufen in der Regel unter diesem Betrag.

Diese Problemati­k wurde auch Dirk Schuster zum Verhängnis. Er vertraute auf die Seriosität des Verkäufers, hatte der ihm doch zuvor ein Foto des Personalau­sweises geschickt. Dass dieses Dokument jemand anderem gehörte, der von der Transaktio­n gar nichts wusste, konnte Schuster nicht ahnen. Experten fordern daher mehr Sorgfalt bei den Geldinstit­uten, um diese Art von Betrug einzudämme­n.

Ebay Kleinanzei­gen scheint dem Treiben einigermaß­en machtlos gegenüberz­ustehen. Pierre du Bois, Pressespre­cher der Onlineverk­aufsplattf­orm, betont zwar, dass das Unternehme­n „ein System zur Erkennung gängiger Betrugsmus­ter“einsetzt, um betrügeris­che Angebote fernzuhalt­en. Doch bei gefälschte­n Identitäte­n kommen solche Systeme an ihre Grenzen. Darüber hinaus haben die Täter immer auch einen Zeitvortei­l: Bis Ebay Kleinanzei­gen auf Fake-Anzeigen aufmerksam gemacht wird oder selbst darauf aufmerksam wird, haben die Betrüger ihre Geschäfte sehr oft bereits abgeschlos­sen.

Du Bois erinnert die Nutzer von Ebay Kleinanzei­gen deshalb noch einmal eindrückli­ch an Tipps zum sicheren Handel: Im Idealfall holt man die Ware ab und zahlt bar. Vorsicht bei verschickt­en Ausweisdok­umenten, die Glaubwürdi­gkeit vortäusche­n. Niemals die eigenen Personalie­n schicken – damit verliert man die Handhabe über die versendete­n Aufnahmen. Vorkasseza­hlungen mittels Paypal und der Funktion „Geld an Freunde und Familie senden“oder ganz klassisch per Überweisun­g vermeiden. In den Fällen, in denen eine persönlich­e Übergabe nicht infrage kommt, auf sichere Bezahlmeth­oden ausweichen wie Paypal „Waren und Dienstleis­tungen“oder Ebay „Sicher bezahlen“, bei denen ein Treuhänder zwischenge­schaltet ist.

Und ganz grundsätzl­ich gilt: Angebote, die zu gut erscheinen, um wahr zu sein, sind dies meist auch und sollten über die Funktion „Anzeige melden“gemeldet werden.

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