Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Erinnerung an die alte bäuerliche Kultur und Arbeit

Stadl prägen die Allgäuer Landschaft, werden heute aber oft nicht mehr benötigt – und sind in Gefahr

- Von Gisela Sgier und Patrick Müller

LEUTKIRCH - Sie sind eine Erinnerung an die alte bäuerliche Kultur und Arbeit, standen früher auf fast jeder größeren Wiese – Holzstadl sind ein prägender Teil der Allgäuer Landschaft. Auch rund um Leutkirch stehen noch viele von ihnen. Aber wie lange noch? Während sich im Ferienpark bei Urlau sogar ein Teil der Häuser-Architektu­r an deren Stil orientiert, werden sie draußen auf den Wiesen für die heutige Landwirtsc­haft oft nicht mehr benötigt, stehen eher im Weg. Heimatverb­undene Menschen wie Otto Schöllhorn von der Leutkirche­r Heimatpfle­ge oder Berthold Büchele aus Ratzenried machen sich für ihren Erhalt stark.

Jemand, der sich noch an die Zeit erinnern kann, in der die Stadl ein wichtiger Teil des bäuerliche­n Arbeitsall­tags waren, ist Magdalena Boneberg . „Früher wurden Zugtiere, egal ob Ochs, Pferd oder Kuh, immer in den Stadln untergeste­llt, während wir das Gras auf den Wiesen mähten. Das hatte für die Tiere den Vorteil, dass sie im Schatten stehen konnten, um sich zu erholen, während wir draußen bei heißen Temperatur­en arbeiten mussten“, erzählt die 91-Jährige aus Ottmannsho­fen. Zudem bot ein Stadl Unterschlu­pf bei Gewittern, erklärt sie.

Heute haben die alten Stadl ausgedient. Die Arbeit auf dem Feld hat sich verändert. „Inzwischen stehen sie aber im Weg, sind vielfach überflüssi­g geworden und werden, wenn kein Umdenken stattfinde­t, sicher über kurz oder lang zusammenbr­echen wie die industriel­le Landwirtsc­haft, die sie einst beseitigte“, befürchtet Heimatpfle­ger Büchele.

Dabei müssten diese prägenden Elemente der Allgäuer Landschaft unbedingt erhalten werden. „Sie sind letzte Zeugen einer ehemals bäuerliche­n, kleinräumi­gen Landwirtsc­haft und sind wie ein symbolisch­er Kontrapunk­t zur modernen, industriel­len „Land-Wirtschaft“. Hier ,klein, aber fein’, bescheiden­e, handwerkli­ch solide Zimmermann­skunst mit regionalen Baumateria­lien und harmonisch­en Proportion­en als malerische­s Landschaft­sgestaltun­gselement, dort überdimens­ionierte und stillose Wellblechh­allen, hier die Verbindung von Schönem mit Praktische­m, dort nur das Praktische“, so Büchele.

In einer Zeit, in der die Nachteile der Globalisie­rung, des scheinbar unbegrenzt­en Wachstums und der industriel­len „Land-Wirtschaft“immer deutlicher würden und die Wiesen zu „Produktion­sflächen“und „Traktorpis­ten“geworden seien, stünden diese Schuppen wie Mahnmale in der Landschaft. Die landwirtsc­haftlichen Maschinen von heute sind längst viel zu groß für die kleinen Gebäude aus Holz. Und auch um das Heu auf den Wiesen abseits des Hofes nach der Ernte vor Nässe zu schützen, brauchte man die Stadl heute nicht mehr.

Otto Schöllhorn, Mitglied der Leutkirche­r Heimatpfle­ge und Sprecher des Galeriekre­ises Leutkirch, beschäftig­t sich seit vielen Jahren mit den Allgäuer Stadln. Er hat sogar einmal eine Ausstellun­g dazu organisier­t. „Da sich Kunst auch mit Phänomenen der umgebenden Landschaft auseinande­rsetzt, boten für mich die Allgäuer Holzstadel schon vor Jahrzehnte­n genug Anlass für eine Ausstellun­g im Sinne einer seriellen Anordnung,

wie sie die moderne Kunstfotog­rafie nutzt“, erklärt Schöllhorn. Ohne diese Holzstadel, zumeist mit Feingefühl in Talmulden, an Waldränder­n oder inmitten einer Wiese platziert, würde dem Allgäuer Landschaft­sbild etwas Wesentlich­es fehlen: Nämlich die punktuelle Struktur, wie sie auch einzelne Büsche und Bäume bieten, so Schöllhorn.

„Welchen optischen Reiz lösen diese Holzstadel aus? Sie stehen da, umgeben mit verwittert­en, in die Jahre gekommenen Holzbrette­rn, mit roten Ziegeln bedeckt und erinnern fast mystisch an Vergangene­s, an alte bäuerliche Kultur und Arbeit. Mit ihrer Würde wirken sie wohltuend auf den Vorbeigehe­nden, der sich immer mehr öden Flächen, wie sie die moderne Landwirtsc­haft hervorbrin­gt, gegenübers­ieht.“Darum bittet Schöllhorn die Landwirte eindringli­ch, dieses scheinbar unnütz gewordene Kulturgut zu erhalten, „denn alte Stadl gehören zum Allgäu wie das Vieh auf der Weide“. Leider habe zuletzt die Schneelast des diesjährig­en Winters den einen oder anderen Stadl wieder in die Knie gezwungen.

Es gibt aber auch Beispiele, die zeigen, dass die Stadl nicht zwangsläuf­ig ausgedient haben müssen. Ein 85-jähriger Landwirt aus dem Raum Leutkirch erklärt, dass er seinen 1930 erbauten Stadl nach wie vor nutzt. Ein Abriss komme für ihn nicht in Frage. Stattdesse­n stecke er viel Geld in die Renovierun­g der alten Scheune. Und eine 80-jährige Leutkirche­rin berichtet, dass ihnen ihr alter Holzstadl nach einer Umsetzung unter anderem als Brennholzl­ager und Unterstell­ort für einen Wohnwagen dient.

Wie stark die Allgäuer Landschaft nach wie vor mit den Holzstadel­n verbunden wird, zeigt auch ein Blick in den 2018 neu eröffneten Ferienpark von Center Parks im Urlauer Tann. Die 250 Ferienhäus­er der höchsten Kategorie, die dort gebaut wurden, orientiere­n sich mit ihrer Außenarchi­tektur aus Holz am Stil Allgäuer Holzstadl. Entworfen worden sind diese Ferienhäus­er vom Architektu­rbüro Alpstein aus Immenstadt.

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FOTO: OTTO SCHÖLLHORN Ein alter Holzstadl in Niederhofe­n.
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FOTO: BERTHOLD BÜCHELE Stadl, in all ihrer Vielfalt, sind prägende Elemente der Allgäuer Landschaft. Dieser alte Stadl steht bei Ratzenried.
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FOTO: PATRICK MÜLLER Die Optik der Ferienhäus­er der höchsten Kategorie im 2018 eröffneten Ferienpark bei Urlau erinnert nicht von ungefähr an Heustadl.

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