Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Erinnerung an die alte bäuerliche Kultur und Arbeit
Stadl prägen die Allgäuer Landschaft, werden heute aber oft nicht mehr benötigt – und sind in Gefahr
LEUTKIRCH - Sie sind eine Erinnerung an die alte bäuerliche Kultur und Arbeit, standen früher auf fast jeder größeren Wiese – Holzstadl sind ein prägender Teil der Allgäuer Landschaft. Auch rund um Leutkirch stehen noch viele von ihnen. Aber wie lange noch? Während sich im Ferienpark bei Urlau sogar ein Teil der Häuser-Architektur an deren Stil orientiert, werden sie draußen auf den Wiesen für die heutige Landwirtschaft oft nicht mehr benötigt, stehen eher im Weg. Heimatverbundene Menschen wie Otto Schöllhorn von der Leutkircher Heimatpflege oder Berthold Büchele aus Ratzenried machen sich für ihren Erhalt stark.
Jemand, der sich noch an die Zeit erinnern kann, in der die Stadl ein wichtiger Teil des bäuerlichen Arbeitsalltags waren, ist Magdalena Boneberg . „Früher wurden Zugtiere, egal ob Ochs, Pferd oder Kuh, immer in den Stadln untergestellt, während wir das Gras auf den Wiesen mähten. Das hatte für die Tiere den Vorteil, dass sie im Schatten stehen konnten, um sich zu erholen, während wir draußen bei heißen Temperaturen arbeiten mussten“, erzählt die 91-Jährige aus Ottmannshofen. Zudem bot ein Stadl Unterschlupf bei Gewittern, erklärt sie.
Heute haben die alten Stadl ausgedient. Die Arbeit auf dem Feld hat sich verändert. „Inzwischen stehen sie aber im Weg, sind vielfach überflüssig geworden und werden, wenn kein Umdenken stattfindet, sicher über kurz oder lang zusammenbrechen wie die industrielle Landwirtschaft, die sie einst beseitigte“, befürchtet Heimatpfleger Büchele.
Dabei müssten diese prägenden Elemente der Allgäuer Landschaft unbedingt erhalten werden. „Sie sind letzte Zeugen einer ehemals bäuerlichen, kleinräumigen Landwirtschaft und sind wie ein symbolischer Kontrapunkt zur modernen, industriellen „Land-Wirtschaft“. Hier ,klein, aber fein’, bescheidene, handwerklich solide Zimmermannskunst mit regionalen Baumaterialien und harmonischen Proportionen als malerisches Landschaftsgestaltungselement, dort überdimensionierte und stillose Wellblechhallen, hier die Verbindung von Schönem mit Praktischem, dort nur das Praktische“, so Büchele.
In einer Zeit, in der die Nachteile der Globalisierung, des scheinbar unbegrenzten Wachstums und der industriellen „Land-Wirtschaft“immer deutlicher würden und die Wiesen zu „Produktionsflächen“und „Traktorpisten“geworden seien, stünden diese Schuppen wie Mahnmale in der Landschaft. Die landwirtschaftlichen Maschinen von heute sind längst viel zu groß für die kleinen Gebäude aus Holz. Und auch um das Heu auf den Wiesen abseits des Hofes nach der Ernte vor Nässe zu schützen, brauchte man die Stadl heute nicht mehr.
Otto Schöllhorn, Mitglied der Leutkircher Heimatpflege und Sprecher des Galeriekreises Leutkirch, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Allgäuer Stadln. Er hat sogar einmal eine Ausstellung dazu organisiert. „Da sich Kunst auch mit Phänomenen der umgebenden Landschaft auseinandersetzt, boten für mich die Allgäuer Holzstadel schon vor Jahrzehnten genug Anlass für eine Ausstellung im Sinne einer seriellen Anordnung,
wie sie die moderne Kunstfotografie nutzt“, erklärt Schöllhorn. Ohne diese Holzstadel, zumeist mit Feingefühl in Talmulden, an Waldrändern oder inmitten einer Wiese platziert, würde dem Allgäuer Landschaftsbild etwas Wesentliches fehlen: Nämlich die punktuelle Struktur, wie sie auch einzelne Büsche und Bäume bieten, so Schöllhorn.
„Welchen optischen Reiz lösen diese Holzstadel aus? Sie stehen da, umgeben mit verwitterten, in die Jahre gekommenen Holzbrettern, mit roten Ziegeln bedeckt und erinnern fast mystisch an Vergangenes, an alte bäuerliche Kultur und Arbeit. Mit ihrer Würde wirken sie wohltuend auf den Vorbeigehenden, der sich immer mehr öden Flächen, wie sie die moderne Landwirtschaft hervorbringt, gegenübersieht.“Darum bittet Schöllhorn die Landwirte eindringlich, dieses scheinbar unnütz gewordene Kulturgut zu erhalten, „denn alte Stadl gehören zum Allgäu wie das Vieh auf der Weide“. Leider habe zuletzt die Schneelast des diesjährigen Winters den einen oder anderen Stadl wieder in die Knie gezwungen.
Es gibt aber auch Beispiele, die zeigen, dass die Stadl nicht zwangsläufig ausgedient haben müssen. Ein 85-jähriger Landwirt aus dem Raum Leutkirch erklärt, dass er seinen 1930 erbauten Stadl nach wie vor nutzt. Ein Abriss komme für ihn nicht in Frage. Stattdessen stecke er viel Geld in die Renovierung der alten Scheune. Und eine 80-jährige Leutkircherin berichtet, dass ihnen ihr alter Holzstadl nach einer Umsetzung unter anderem als Brennholzlager und Unterstellort für einen Wohnwagen dient.
Wie stark die Allgäuer Landschaft nach wie vor mit den Holzstadeln verbunden wird, zeigt auch ein Blick in den 2018 neu eröffneten Ferienpark von Center Parks im Urlauer Tann. Die 250 Ferienhäuser der höchsten Kategorie, die dort gebaut wurden, orientieren sich mit ihrer Außenarchitektur aus Holz am Stil Allgäuer Holzstadl. Entworfen worden sind diese Ferienhäuser vom Architekturbüro Alpstein aus Immenstadt.