Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Wo Gefangene gebrochen werden sollen
Russischer Oppositionsführer Nawalny nennt sein Gefängnis „liebenswürdiges Konzentrationslager“
MOSKAU - Nach wochenlangen Transporten ist Alexej Nawalny in der Vollzugsanstalt angekommen, wo er voraussichtlich seine Haftzeit absitzen muss. Ein Straflager mit denkbar schlechtem Ruf.
Die Haltung der strammstehenden Strafgefangenen sei angespannt, sie hätten sogar Angst, den Kopf zu drehen, erklärte Nawalny auf Instagram. Das lasse die Geschichten glaubhaft erscheinen, hier seien noch vor Kurzem Leute mit Holzhämmern halb totgeschlagen worden. „Jetzt herrschen andere Methoden, und ehrlich gesagt, ich erinnere mich an keinen Ort, wo alle so höflich miteinander reden. Deshalb nenne ich mein neues Zuhause ,unser liebenswürdiges Konzentrationslager‘.“
Alexej Nawalny, der zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilte russische Oppositionsführer, ist nach über zweiwöchiger „Etappe“, wie Gefangenentransporte in Russland genannt werden, in der Justizvollzugsanstalt IK-2 der Region Wladimir angekommen. Hier wird er voraussichtlich seine Strafe absitzen, in einem Lager, das einen denkbar schlechten Ruf hat.
Die IK-2 in der Kleinstadt Pokrow liegt nur knapp hundert Kilometer östlich von Moskau. In den vergangenen Jahren berichteten Haftentlassene von tagelangem Prügeln, mit dem hier vor allem Neuankömmlinge psychisch gebrochen werden sollten. Diese Gewalttätigkeiten endeten allerdings nach einem Wechsel des Direktors 2019.
Trotzdem sagte die Rechtsanwältin Maria Ejsmont dem Portal Mediazona, das Regime in der IK-2 bezwecke weiter die völlige seelische Vernichtung der Häftlinge. Auch Nawalny Live, der YouTube-Kanal des eingesperrten Politikers, drehte schon zwei Filme über „die Gefängnishölle“von Pokrow. Und die BBC zitiert den nationalistischen Politiker Dmitri Demuschkin, der dort über zwei Jahre verbrachte: Das sei das härteste Straflager in Russland, „wenn es darum geht, Leute zu zerbrechen“. Acht Monate saß Demuschkin im „verschärften Kontrollsektor A“, in einer Baracke mit einer Innentemperatur von elf bis 13 Grad. Er sei von 105 auf 60 Kilo abgemagert. Niemand habe ihn angefasst, aber dort würden für Verstöße Mithäftlinge bestraft, sie müssten vier Stunden lang Gymnastik machen, danach verschwitzt im Frost „spazieren“gehen.
„Aber ich glaube nicht, dass Nawalny im IK-2 unter heftiges Pressing gerät“, sagt der Schriftsteller Maxim Gromow, der selbst über zweieinhalb Jahre wegen einer Protestbesetzung im Gefängnis saß, der „Schwäbischen Zeitung“. „Dafür konzentriert sich zu viel Aufmerksamkeit vonseiten der Medien und der Menschenrechtler auf ihn.“Wenn Nawalnys Anhänger jetzt viel Lärm um die Haftbedingungen in Pokrow machten, handelten sie richtig, weil der öffentliche Lärm die Gefängnisobrigkeit zwänge, Nawalnys Rechte als Gefangener zu beachten.
Tatsächlich gelang es dem Politiker mit seiner Instagram-Botschaft, die er bei einem Treffen seinen Anwälten diktierte, die „völlige Isolation“zu durchbrechen, über die sich Demuschkin und andere ehemalige Insassen beschwerten. Auch das von ihnen beklagte Sprechverbot scheint für Nawalny nicht zu gelten.
Allerdings wurde er als Häftling mit erhöhter Fluchtgefahr eingestuft. „Nachts wache ich jede Stunde auf, weil neben mir ein Mann in Joppe steht“, bloggte er auf Instagram. „Er filmt mich mit einer Kamera und sagt: ,2.30 Uhr, Strafgefangener Nawalny, gestrichen von der prophylaktischen Liste der Ausbrecher‘.“Er schlafe mit dem Gedanken wieder ein, dass es Menschen gibt, die immer für ihn da seien. „Ist doch klasse, oder?“
Nawalnys Humor scheint unbeschadet. Und seine Anwälte sagten der Agentur Interfax nach dem Besuch in der IK-2, ihr Klient sei lebhaft und gut gelaunt.