Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Radfahren muss so bequem wie möglich sein“
Forscher Dennis Knese zum Fahrradklima-Test und zu vernünftigen Radwegenetzen in der Stadt und auf dem Land
BERLIN - Karlsruhe und Münster sind die fahrradfreundlichsten Großstädte Deutschlands. Das hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) am Dienstag bei der Vorstellung des Fahrradklima-Tests verkündet. Was eine fahrradfreundliche Stadt ausmacht und was auf dem Land für den Drahtesel getan werden muss, weiß Dennis Knese. Der Wissenschaftler von der Frankfurt University of Applied Sciences ist einer von sieben von der Bundesregierung geförderten Stiftungsprofessoren für Radverkehr und bildet künftige Verkehrsplaner aus. Dorothee Torebko hat sich mit ihm darüber unterhalten, auf was es beim Radverkehr ankommt.
Corona hat einen Radboom in Deutschland ausgelöst. Wird das Rad das Auto ersetzen?
Wir werden auch in Zukunft Autos auf den Straßen haben. Aber es gibt derzeit einen Wandel und der wird weiter fortgesetzt. Nicht zuletzt Corona hat gezeigt, dass vieles mit dem Rad möglich ist.
Was ist nötig, damit das Rad bei uns das Verkehrsmittel Nummer 1 wird?
Die Planungskultur muss sich wandeln. Jahrzehntelange war alles auf das Auto ausgerichtet. Wir müssen jetzt die Stadt als den Ort für Menschen begreifen. Dazu gehört, dass man jedes Verkehrsmittel gleichberechtigt nebeneinander sieht. Wenn wir langfristig unsere Klimaziele erreichen wollen, führt kein Weg dran vorbei, dass wir die Anzahl der Kraftfahrzeuge reduzieren.
Wie werden Städte fahrradfreundlicher?
Wir brauchen attraktive Alternativen zum Auto. Dazu gehören durchgängige Radwegenetze, sichere Abstellanlagen und die Verknüpfung zwischen Verkehrsmitteln. Dass man also mit der Bahn fahren und dann für die letzte Meile aufs Rad umsteigen kann. Dazu gehören Anreize von Arbeitgebern, die den Kauf von Rädern unterstützen oder Duschen am Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Dazu gehört auch die Radlogistik. Künftig wird der Lieferverkehr durch den Online-Handel weiter steigen – das Rad bietet eine umweltfreundlichere und platzsparendere Alternative zum Lieferwagen. Zugleich muss man aber auch über Maßnahmen nachdenken, die das Autofahren weniger attraktiv machen.
Was meinen Sie damit zum Beispiel?
Ein wichtiger Hebel in der Verkehrsplanung ist das Parkraum-Management. Autos stehen 23 Stunden am Tag herum, städtische Fläche ist aber sehr wertvoll. Diese Flächen können anders verwendet werden. Geschwindigkeitsbegrenzungen in Städten sind ebenfalls wichtig, denn sie machen das Radfahren sicherer. Auch eine City-Maut kann eine Möglichkeit sein.
Und was muss auf dem Land passieren?
Da gibt es noch viel Potenzial. Mit Elektrofahrrädern, die sehr beliebt sind, kann man lange Strecken zurücklegen. Dafür braucht es aber vernünftige Radwegenetze. In der Rhein-Main-Region werden jetzt zum Beispiel Radschnellwege geplant, die Orte über viele Kilometer miteinander verbinden und etwa Serviceleistungen an der Strecke anbieten. Radfahren muss so bequem wie möglich sein, dass die Leute umsteigen.
Bis wann wird sich der Mobilitätsmix verändert haben?
Es wird sicherlich nicht so sein, dass wir in Deutschland in fünf Jahren paradiesische Zustände im Radverkehr haben. Ein Wandel braucht Zeit. Das haben übrigens auch die Vorreiterländer beim Radverkehr Niederlande und Dänemark gezeigt. Diese Länder haben seit den 1970er-Jahren eine Verkehrspolitik gefahren, die auf den Radverkehr zugeschnitten war.
Gibt es mittlerweile ein Umdenken in der Politik?
Die meisten haben die Dringlichkeit der Situation erkannt. Das Bundesverkehrsministerium fördert den Radverkehr mit immensen Mitteln. Aus den Kommunen kommt jedoch auch ein Hilfeschrei. Aufgrund der jahrzehntelangen Vernachlässigung des Radverkehrs haben die Kommunen gar nicht die Kompetenzen, um alle finanziellen Mittel umzusetzen. Da sehen wir als Stiftungsprofessoren auch einen Auftrag. Wir wollen die Expertise für die Planung der Radinfrastruktur ausbilden. Doch das braucht Zeit und geht nicht von heute auf morgen.
Ist Radverkehr denn schon an den Hochschulen angekommen?
Wir versuchen jetzt, nach und nach das Thema Radverkehr in die Studiengänge zu integrieren. Wir entwickeln gerade einen eigenen Masterstudiengang Nachhaltige Mobilität, wo es einen Schwerpunkt Radverkehr geben soll. Das Interesse bei unseren Studenten ist groß – von den Bauingenieuren bis hin zu den Wirtschaftswissenschaftlern.
Was nützen die vom Bund geförderten Stiftungsprofessuren?
Dadurch können wir einen anderen Schwerpunkt setzen in der Verkehrsplanung. Die traditionelle Verkehrsplanung war stärker darauf ausgerichtet, technische Grundlagen im Bereich der Straßenplanung für die Autos zu vermitteln. Diese fußen zum Teil noch auf den Prinzipien der autogerechten Stadt. Der Radverkehr spielte eine Nebenrolle. Das ändern wir jetzt.