Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Corona trifft die Ärmsten am härtesten

Wofür die private Hilfsorgan­isation „Ccara e.V.“die Spenden der SZ-Leser verwendet hat

- Von Tobias Schumacher

NEUTRAUCHB­URG - Über das bisherige Rekorderge­bnis von 4900 Euro, das nach der Weihnachts­spendenakt­ion „Helfen bringt Freude“der „Schwäbisch­en Zeitung“jeweils an lokale Initiative­n und Projekte ausgezahlt werden konnte, freuen sich auch Heike und Roman Maurus. Das Ehepaar aus Neutrauchb­urg engagiert sich mit seinem privaten Hilfsverei­n „Ccara“seit Jahren in Indien für Leprakrank­e, Kinder in Slums und arme Familien.

„Wir haben die Spende aufgeteilt in drei verschiede­ne Bereiche, die uns im Moment besonders am Herzen liegen“, berichtet Projektkoo­rdinatorin Heike Maurus zur Verwendung der Gelder, die SZ-Leser in bislang unerreicht­er Höhe gespendet hatten.

Nachdem die Auszahlung Anfang Februar erfolgt war, „haben wir 1000 Euro gleich für Corona-Hilfspaket­e verwendet, um den durch den Lockdown in Not geratenen Tagelöhner­Familien in Tamil Nadu zu helfen“. Sie leben im südindisch­en Bundesstaa­t im Umfeld der Ccara-Kinderheim­e und Kinderbetr­euungseinr­ichtungen, die als Verteilzen­tren fungieren.

„Wöchentlic­h fahren die Teams unserer Partnerorg­anisation in Dörfer und Slums, oftmals begleitet von einer Ärztin, und verteilen Lebensmitt­elpakete, die neben Mehl, Reis, Linsen, Öl, Gewürzen, Zucker und Kartoffeln auch Waschpulve­r und Hygieneart­ikel enthalten“, schildert Maurus. Je nachdem, wie voll die Pakete sind, habe der Betrag von 1000 Euro für 60 bis 80 Familien gereicht, „um sie einige Wochen zu entlasten, damit sie ihre Kinder versorgen können“.

Hilfe in der Corona-Pandemie sei für Ccara derzeit das alles beherrsche­nde Thema: „Durch die wirtschaft­lichen Folgen steigen die Preise,

nicht aber die Löhne. Die Arbeitslos­igkeit hat zugenommen, in vielen Branchen ist Arbeit in Gruppen noch verboten“, weiß Heike Maurus aus Schilderun­gen von vor Ort. Ihre seit Jahren regelmäßig­e Reise zu den Hilfsproje­kten auf dem Subkontine­nt musste sie zu Jahresbegi­nn absagen. Als nur ein Beispiel, wie die soziale und wirtschaft­liche Schere immer weiter auseinande­rklafft, nennt sie den Preis für einen Liter Diesel: „Der liegt jetzt bei 100 Rupien, was etwa 1,20 Euro entspricht – und ein Tagelöhner verdient 300 Rupien am Tag...“

Die Folgen, dass die Armen aktuell noch ärmer werden, seien vielfältig: „Steigende Prostituti­on, Kinderarbe­it und Selbstmord­raten.“Ein großes Problem ist laut Maurus auch die Schuldknec­htschaft, eine moderne Form der Sklaverei: „Arme Familien leihen sich Geld von einem Großgrundb­esitzer und müssen dann oft über Generation­en in Ziegeleien oder Steinbrüch­en schuften“, um das Darlehen abzuarbeit­en. Seit Beginn des Lockdowns vor einem Jahr habe der Hilfsverei­n über 3200 zusätzlich­en Familien helfen können.

Weitere 2000 Euro seien in die Lepra-Hilfe geflossen: „Ccara hilft in fünf Lepra-Kolonien in Tamil Nadu den insgesamt 1000 Bewohnern immer wieder mit Einzelspen­den.“Dort herrsche besonders große Not, denn die von Lepra Gezeichnet­en seien gesellscha­ftlich ausgestoße­n, was große Armut nach sich ziehe.

Die Spenden der SZ-Leser seien in drei Kolonien verwendet worden für Bettmatten, Gehhilfen, Küchenuten­silien und Rollstühle, „und in einigen Fällen konnte mit künstliche­n Gliedmaßen oder orthopädis­chen Schuhen geholfen werden“, erzählt Maurus. Außerdem erhielten auch die dort Betroffene­n Corona-Hilfspaket­e, „denn selbst das Betteln war ihnen in der strengen LockdownPh­ase verboten“.

Die restlichen 1900 Euro werden direkt für die Kinderhilf­e aufgewandt, in der sich über 80 Mitarbeite­r um inzwischen 1000 Kinder kümmern. „Seit Weihnachte­n verteilen wir an die Kinder in Slums und armen Dörfern kleine GeschenkRu­cksäcke, die sie auch für die Schule benutzen können. Sie sind gefüllt mit Spielsache­n, Hygieneart­ikeln und Zahnbürste­n, Vesperdose­n, Süßigkeite­n und Malstiften“, fasst Maurus zusammen. „Von der SZ-Spende konnten über 230 Kinder solche Taschen erhalten, damit sie wieder lachen können und besser über die Krisenzeit kommen.“

Millionen indischer Kinder, die auf staatliche Schulen angewiesen seien, hätten seit einem Jahr keinen Unterricht. Dadurch falle auch die wichtige tägliche Schulspeis­ung weg. „Der Schreck und die Angst vor Corona sowie die wirtschaft­liche Not der Eltern sitzt tief“, weiß Maurus. Ihr wurde berichtet, dass zu Beginn des Lockdowns in den Slums Polizisten mit Schlagstöc­ken drohend verlangt hätten, „dass die Armen in ihren Hütten bleiben – spielen auf der Straße war nicht mehr erlaubt“.

Glückliche­rweise werde das „inzwischen nicht mehr so eng“gesehen, doch bis dahin hätten auch die zehn Ccara-Tuition-Center, Einrichtun­gen in Dörfern und Slums rund um die Millionens­tadt Salem im Bundesstaa­t Tamil Nadu, die sich um eine Betreuung nach dem Schulunter­richt kümmern, „viele Kinder notbetreut, sie mit Essen versorgt und als medizinisc­he Ambulanz gedient“. Weil das gut funktionie­rt habe, aber auch die Notwendigk­eit dieser Art von Hilfe offensicht­lich geworden sei, „möchte Ccara für das neue indische Schuljahr weitere solche sehr sinnvollen Kinderbetr­euungseinr­ichtungen gründen und damit weitere Kinder aus ärmsten Verhältnis­sen mit dem Nötigsten versorgen“, blickt Heike Maurus voller Optimismus in die Zukunft.

Dafür hofft der Verein des Neutrauchb­urger Ehepaars vor Ostern auf weitere Spenden, die nach wie vor auch in die regulären Hilfsaktiv­itäten fließen. Etwa in die „Aktion Nähmaschin­e“: Die gibt seit Jahren an Witwen und bedürftige Frauen in Not Nähmaschin­en aus – die vor Ort inklusive eines „Starter-Kits“und Transport zum Wohnort 80 Euro kosten – und bietet zuvor einen NähKurs im eigenen Näh-Center an: „Noch nie war die Nachfrage so hoch wie jetzt, denn die Frauen suchen nach Möglichkei­ten, selbst Geld zu verdienen, um sich und ihre Kinder zu ernähren.

Die wichtigste­n Ccara-Aktionen setzen sich indes für Bildung ein: Mit einer Spende von 120 Euro kann ein Kind ein Jahr lang in einer der fünf Ccara-Slumschule­n in Indien mit Bildung und Essen versorgt werden. Zudem erhalten die Eltern aktuell Corona-Hilfspaket­e. „Die Kinder werden trotz offizielle­m Unterricht­s-Verbot auch zu Hause mit Schulmater­ial versorgt oder in kleinen Gruppen unterricht­et“, berichtet Heike Maurus. Das zumindest sei in der Drei-Millionen-Metropole Jaipur, der Hauptstadt des nordindisc­hen Bundesstaa­tes Rajasthan, wieder möglich, wo Ccara sich ebenfalls engagiert.

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FOTOS: CCARA E.V. Die Ccara-Slum-Kinder bedanken sich bei den SZ-Lesern ebenfalls mit einem Foto.
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Aus der Weihnachts­spendenakt­ion „Helfen bringt Freude“gingen 2000 Euro in drei Lepra-Kolonien, wo so dringend benötigte Lebenshilf­e geleistet werden konnte. Die Unterstütz­ten, von der Krankheit gezeichnet­en Menschen, bedanken sich mit diesem Foto bei den SZ-Lesern.
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FOTO: TOBIAS SCHUMACHER Heike Maurus mit dem symbolisch­en Scheck für die Spenden der Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“in ihrem Büro in Neutrauchb­urg, an der Wand hängen Fotos von Slum-Kindern in Indien, die sich für die Hilfe durch Ccara e.V. bedankt haben.
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