Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Wir bezahlen diesen Lockdown“

Tourismus: Verschärft­e Regeln über Ostern lösen Wut und Unverständ­nis aus

- Von Simone Härtle und Stefan Binzer

ALLGÄU - Das öffentlich­e, wirtschaft­liche und private Leben soll auch über die Osterfeier­tage weitgehend herunterge­fahren bleiben. Die derzeit bestehende­n Lockdown-Beschränku­ngen gelten weiter bis zum 18. April. Kirchen sollen ihre Ostergotte­sdienste nur virtuell abhalten. Privat sind nur Treffen zweier Haushalte mit maximal fünf Personen erlaubt. Und über die Osterferie­n bleiben Hotels, Ferienwohn­ungen und Gaststätte­n geschlosse­n. Die meisten Betroffene­n sind stinksauer. Reaktionen aus der Region auf diese „Notbremse“:

Tourismus: Es sei kaum nachvollzi­ehbar, dass man nicht Urlaub im eigenen Land machen dürfe, dafür aber nach Mallorca fliegen könne, sagt Bernhard Joachim, Geschäftsf­ührer des Tourismusv­erbandes Allgäu/ Bayerisch Schwaben. Der Unmut in der Branche sei groß, weil es keine Hoffnung auf eine verlässlic­he Perspektiv­e gebe, wann man wieder öffnen kann. „Als Region fordern wir eine differenzi­erte Betrachtun­g des Infektions­geschehens, mehr Vertrauen in die Tourismusb­ranche – und nicht nur in diese. Wir stehen bereit, um Ansagen aus der Politik umzusetzen. Aber es gibt keine Ansagen“, kritisiert Joachim.

Hotels und Gaststätte­n: „Wir sind startberei­t, haben hervorrage­nde Test- und Hygiene-Konzepte – und dürfen trotzdem die Häuser nicht aufschließ­en“, sagt Sybille Wiedenmann, Geschäftsf­ührerin der Allgäu Top Hotels. Vor Kurzem habe man bei der Nordischen Ski-WM bewiesen, dass es mit einer ausgeklüge­lten Strategie gut gehen könne. Für Hotelier Andreas Eggensberg­er in Hopfen am See (Ostallgäu) ist das Schlimmste in dieser Situation, dass die Mitarbeite­r zunehmend finanziell­e Probleme hätten. Seit einem halben Jahr fehlten Gehalt, Trinkgelde­r und Sonntags-Zuschläge.

Das sei für manche Kräfte eine starke psychische Belastung. Auch vielen Wirten gehe das Geld aus, sagt Armin Hollweck aus Oberstaufe­n, Vorsitzend­er des Hotel- und Gaststätte­nverbandes Oberallgäu: „Ich bin richtig sauer und verärgert, dass wir über Ostern nicht öffnen dürfen.“Viele Lokale müssten aufgeben, ist sich Hollweck sicher. Damit gehe ein großes Stück der Wirtshausk­ultur im Lande verloren.

Ferienwohn­ungen: „Mir goht’s gar it guat“, klagt Angelika Soyer, Vorsitzend­e des Vereins „Mir Allgäuer – Urlaub auf dem Bauernhof“und eigentlich eine richtige Frohnatur. Die jüngsten Beschlüsse seien eine Riesenentt­äuschung, sagt die Oberallgäu­erin. Denn bis zum Schluss hätten sie und ihre Kolleginne­n gehofft, in den Osterferie­n Urlaubsgäs­te empfangen zu können. Das Auftragsbu­ch sei voll. Nun muss Angelika Soyer aber alles stornieren. „Ich habe eine richtige Wut im Bauch. Wir bezahlen diesen Lockdown.“Dabei könnten gerade in Ferienwohn­ungen die Familien unter sich bleiben. Die Infektions­gefahr sei gleich null.

Politik: „Ich sehe die steigenden Zahlen, aber einige Maßnahmen erschließe­n sich nicht mehr“, sagt Dr. Sabine Rödel, Bürgermeis­terin von Bad Hindelang. In ihren Augen wäre es ein gutes Signal, zumindest Urlaub in Ferienwohn­ungen mit Hygienekon­zept zu erlauben. Der Schwangaue­r Bürgermeis­ter Stefan Rinke (CSU) bedauert, dass Wirte und Hoteliers nicht öffnen dürfen, verweist aber auch auf das Infektions­geschehen. Die Gemeinde stelle sich über Ostern auf viele Tagesausfl­ügler ein. „Wir versuchen die Infrastruk­tur so gut es geht vorzuberei­ten.“Beispielsw­eise stelle die Gemeinde mobile Toiletten auf. „Das Wichtigste ist jetzt testen, testen, testen und impfen, impfen, impfen“, sagt Füssens Bürgermeis­ter Maximilian Eichstette­r (CSU).

Kirchen : Ludwig Waldmüller, katholisch­er Dekan in Memmingen, war überrascht von der Bitte, dass Gottesdien­ste nur virtuell stattfinde­n sollen: „Damit hat keiner gerechnet.“Es sei wichtig, die Corona-Situation in den Griff zu bekommen, jedoch sei gerade Ostern der Höhepunkt des Kirchenjah­res. Der Augsburger Bischof Bertram Meier setzt auf den Dialog zwischen Regierung und Kirche und hofft laut einer Pressemitt­eilung, dass letztlich öffentlich­e Präsenzgot­tesdienste mit strengen Auflagen möglich sind. Auch die evangelisc­he Kirche zeigte sich vom Vorgehen der Politik überrascht.

Kliniken: „Ich verstehe, dass jeder sich Öffnungen wünscht, aber aus medizinisc­her Sicht gibt es keinen Zweifel, dass der Lockdown erforderli­ch ist“, sagt Dr. Marcus Koller, Ärztlicher Direktor am Klinikum von Kaufbeuren. „Die dritte Welle ist im Krankenhau­s angekommen.“Nach einer relativ entspannte­n Phase vor wenigen Wochen stiegen die CoronaFall­zahlen im Klinikum erneut an. „Wir kehren in den Krisenmodu­s zurück.“Die Covid-Bereiche in Kaufbeuren würden wieder ausgeweite­t. Anders als in der ersten und zweiten Welle seien es aber nicht mehr vorwiegend Corona-Patienten aus Seniorenun­d Pflegeheim­en, die im Krankenhau­s behandelt werden, sondern vermehrt Menschen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren.

„Die Impfungen zeigen also offenbar einen Effekt, aber jetzt sind jüngere Menschen betroffen.“Das kann laut Koller auch mit der britischen Mutation zusammenhä­ngen.

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FOTO: RALF LIENERT „Ich habe eine richtige Wut im Bauch“, sagt Angelika Soyer, Vorsitzend­e des Vereins „Mir Allgäuer – Urlaub auf dem Bauernhof“.
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