Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
1500 Menschen bilden „Band der Solidarität“
Im Kampf um Arbeitsplätze und mehr Lohn legen 7000 Metall-Beschäftigte die Arbeit nieder
FRIEDRICHSHAFEN - Live-Musik und Bratwurstduft: Wenn die IG Metall in Friedrichshafen zu Warnstreik und Kundgebung aufruft, weht über den dicht mit Mitarbeitern der Häfler Metallindustrie gefüllten Maybachplatz immer ein kleines bisschen Volksfestatmosphäre. Am Mittwoch war das anders. Keine dicht gedrängte Menschenmenge, keine Live-Band, keine Bratwurst. Nicht einmal die eigentlich obligatorischen Trillerpfeifen waren zu hören. Corona hatte die Gewerkschaft gezwungen, kreativ zu werden. Das Ergebnis: eine Menschenkette rund um die Häfler Industriebetriebe, in die sich etwa 1500 Beschäftigte einreihten. Mit Abstand und Maske.
Helene Sommer ist sichtlich nervös. Es ist kurz vor 10 Uhr, in wenigen Minuten soll sich ein menschliches Band der Solidarität durch die Stadt schlängeln, die Häfler Industriebetriebe sozusagen umarmen und in der laufenden Tarifauseinandersetzung ein starkes Signal in Richtung Arbeitgeber senden. Ob das wirklich funktionieren wird? Die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben und Singen ist sich selbst nicht so ganz sicher. „Wir brauchen 1500 Menschen. Viele sind natürlich im Homeoffice, manche fühlen sich auch nicht wohl beim Gedanken an eine Menschenkette. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, sagt sie. Investiert in die Aktion hat die Gewerkschaft ziemlich viel, der organisatorische und personelle Aufwand ist deutlich höher als sonst.
Als Helene Sommer schließlich das Mikrofon ergreift und den Blick von der MTU-Pforte über Colsmanstraße und Maybachplatz bis zum Riedlewald schweifen lässt, wirkt sie erleichtert. Innerhalb ihres Sichtfeldes wirkt die Kette sehr geschlossen, von außerhalb kommen sogar Hinweise auf Doppelreihen in manchen Teilabschnitten. Die benötigten 1500 Menschen sind gekommen, die Arbeit niedergelegt haben weitaus mehr: laut IG Metall 4000 bei ZF, 2500 bei MTU, 250 bei Zeppelin, 200 bei Liebherr und 150 bei DGH.
„Das ist ein richtig gutes Signal“, sagt Sommer beim Anblick der Menschenkette. Gewohnt markige Worte richtet sie an die Arbeitgeber. In einer Zeit mit erschwerten Arbeitsbedingungen – Stichwort Maske – eine Kürzung von Schichtzulagen zu fordern, sei „bodenlos unverschämt“. Und die „größte Respektlosigkeit überhaupt“sei, dass die Arbeitgeber „an der Alterssicherung schleifen“wollten. Sommers martialische Kampfansage, die via Zoom-Konferenz auf die Smartphones von etwa 100 Ordern und von diesen auf rund 100 Bluetooth-Lautsprecher übertragen wird: „Wenn sie da dran gehen, denn brennt Baden-Württemberg.“
Achim Zinser, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Rolls Royce Power Systems, macht zudem klar, dass es nicht nur darum geht, Kürzungen und Einschnitte zu verhindern, sondern auch um eine Erhöhung der Entgelte: „Die vier muss stehen“, sagt er. Vier Prozent mehr Lohn, das hätten sich die Beschäftigten verdient – gerade weil sie sich in der Coronakrise besonders reingehängt und die Produktivität gesteigert hätten. „Das muss belohnt werden“, sagt Zinser.
Achim Dietrich, Gesamtbetriebsratschef bei ZF, stellt fest, dass die Unternehmen aktuell vor den größten Herausforderungen aller Zeiten stünden – und meint damit eher Themen wie Automatisierung und Digitalisierung als direkte Auswirkungen der Coronakrise. In diesen Zeiten sei Sparen, Kürzen und Verlegen von Arbeitsplätzen ins Ausland sicher nicht der richtige Weg. „Mit Rezepten
aus dem Mittelalter gewinnt man nicht den Wettbewerb um die innovativsten Produkte“, sagt Dietrich.
Die Kundgebung ist rasch beendet, genauso schnell löst sich auch die Menschenkette wieder auf. Bratwurst gibt’s beim nächsten Mal wieder.