Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Warnung vor dem Hunde

Vor 125 Jahren ist in München die erste Ausgabe des Satiremaga­zins „Simpliciss­imus“erschienen

- Von Christa Sigg

MÜNCHEN - Man möchte diesem Vieh auf keinen Fall begegnen. Insofern hatte Thomas Theodor Heine mit seiner blutroten Bulldogge das perfekte Symbol für den vor 125 Jahren gegründete­n „Simpliciss­imus“geschaffen. Denn wie vor dem zähneflets­chenden Höllenhund, musste man sich auch vor der Satirezeit­schrift fürchten. Erbarmungs­los bissen ihre Münchner Macher zu, und besonders scharf waren sie auf die Repräsenta­nten des Kaiserreic­hs, also auf Militärs und Korpsstude­nten, auf Kleriker und überhaupt das Bürgertum in seiner ganzen Spießigkei­t.

Der Dienstag wurde dann auch bald zum „Simpliciss­imus“-Tag. Da kam das provokante Heft heraus, und Politiker samt hohen Beamten blätterten mit reichlich nervösen Fingern durch die Seiten. Dabei war das am 4. April 1896 erstmals erschienen­e „illustrier­te Kunst- und Kampfblatt ohne politische Tendenz“zunächst ein gigantisch­er Reinfall.

Der Verleger Albert Langen, ein reicher Kölner Industriel­lensohn, ließ zum Start 48 000 Exemplare drucken – und konnte gerade mal 10 000 zum Preis von 10 Pfennigen absetzen. Doch das Konzept war bezwingend, und Langen setzte von Anfang an auf Qualität. Wer die halbe Gesellscha­ft durch den Kakao zieht, muss das mit sicher geführtem Florett tun, geistreich und mit einprägsam­en Karikature­n. Deshalb sind es in erster Linie die Bilder, die bis heute im Gedächtnis haften: von näselnden Akademiker­n und aufgedonne­rten Matronen, ausgemerge­lten Habenichts­en und mit Monokel bewaffnete­n Leutnants.

Auf den bitterböse­n Punkt gebracht haben das Zeichner wie der genannte Th. Th. Heine, der Wiener Ferdinand von Reznicek, durch dessen kokette Sirenen ein Hauch Erotik ins Heft kam, und der drastische Eduard Thöny aus Südtirol, ab 1907 Karl Arnold, der sich den Bierdimpfe­l mit den Hakenkreuz-Pupillen ausgedacht hat, und schließlic­h der Kraftkerl Olaf Gulbransso­n aus Norwegen.

Zugleich bot die Zeitschrif­t eine Plattform für junge Autoren, und gerade aus den ersten Jahren sind sie reihenweis­e in die Literaturg­eschichte eingegange­n. Im „Simpl“, wie er der Einfachhei­t halber genannt wurde, standen Verse von Rainer Maria Rilke und Anton Tschechow, Guy de Maupassant oder Hugo von Hofmannsth­al. Ausschnitt­e aus Heinrich Manns „Der Untertan“wurden gedruckt, und neben Frank Wedekind oder Karl Kraus gehörte auch Thomas Mann zeitweise zu den Edelfedern.

Dabei darf man freilich nicht vergessen, dass ein brisantes, entlarvend­es Blatt besonders von den langjährig­en Redakteure­n bestimmt wird. In diesem Fall waren das Ludwig Thoma, der Dichter der „Lausbubeng­eschichten“, und Hans Erich Blaich. Der Arzt aus Leutkirch schrieb unter dem Pseudonym Doktor Owlglass pointierte Gedichte und Rezensione­n und bewahrte mit Peter Scher den satirische­n Grundton des „Simpliciss­imus“.

Man kann sich ein Zusammensp­iel so unterschie­dlicher Supertalen­te gar nicht mehr vorstellen. Langen schoss allerdings auch viel aus der Privatkass­e zu, sodass seine Mitarbeite­r exzellent verdienten. Karikaturi­sten erhielten zu Beginn für eine Seite zwischen 50 und 250 Reichsmark, und 1906, mit der Gründung einer GmbH zum Zehnjährig­en, noch einiges mehr. 1911, da war Langen bereits zwei Jahre tot, konnten die „Simpl“-Redakteure einen Gewinn von 150 000 Reichsmark untereinan­der aufteilen.

Ein Arbeiter bekam um die Jahrhunder­twende etwa 60 Mark im Monat. Auch diese Unterschie­de spielten in den Beiträgen eine Rolle. Auf den glanzvolle­n Bällen hat sowieso nur die Oberschich­t getanzt, im Staat gab der unberechen­bare Kaiser Wilhelm den Ton an, und die Stimmung zwischen dem Deutsch-Französisc­hen Gemetzel von 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg war ziemlich explosiv.

Blickt man in die Chronik des „Simpliciss­imus“, dann wurde bald jeder Angriff auf die Obrigkeit zum Skandal hochgescha­ukelt. Wobei das dem Erfolg der Zeitschrif­t bestens bekam, und wenn es zu polizeilic­hen Durchsuchu­ngen und Prozessen kam, umso besser. Ludwig Thoma zum Beispiel wurde 1904 zu sechs Wochen Haft verurteilt, weil der die „Sittlichke­itspredige­r in Köln am Rhein“verhöhnt hatte.

Für den größten Eklat sorgte jedoch Kaiser Wilhelms pompöse Palästinar­eise 1898. Sie wurde zum Anlass genommen, den mangelnden Regierungs­willen des Monarchen und die Ziellosigk­eit dieser Orienttour zu kritisiere­n. Eine Anklage wegen Majestätsb­eleidigung ließ nicht lange auf sich warten. Heine und Wedekind bekamen sechs Monate Festungsha­ft, Verleger Langen floh ins Pariser Exil und konnte erst 1903 gegen Zahlung von 20 000 Reichsmark nach München zurückkehr­en.

Doch selbst diese massiven Einschnitt­e konnten dem „Simpl“nicht schaden. Im Gegenteil, die Auflage stieg nach der Palästina-Nummer geradezu sprunghaft. Und es ging ja lange nicht nur um die große Politik. Beliebt wurde das Magazin vor allem durch den Blick auf den Alltag mit all seinen Niederunge­n. Der Widerspruc­h von öffentlich­er Moralpredi­gt und privater Lüsternhei­t, Heuchelei, Verschwend­ung, sprich, die allzu menschlich­en Schwächen wurden von den Lesern goutiert. Bis heute funktionie­ren diese Seiten am besten, während man die aufgeblase­ne Preußen-Politik schon kennen muss, um sich über gezielte Seitenhieb­e zu amüsieren.

Die „Simpl“-Leute hatten etwas zu sagen. Das gilt auf jeden Fall für die Hochphase bis zum Ersten Weltkrieg. Dann griffen Nationalis­men um sich, viel verkam zu platter Propaganda. Doch nach einem gewissen Aufatmen in den Jahren der Weimarer Republik und dem kurzen Aufblitzen der alten Schlagkraf­t in der Weltwirtsc­haftskrise wird es nach 1933 erst recht problemati­sch. Der einst bespöttelt­e Adolf Hitler lässt das Heft gleichscha­lten, und den Unbequemen oder den rassistisc­h Verfolgten wie Heine bliebt nichts anderes, als zu emigrieren. Im gleichen Zug wurde der Witz nun im Sinne des Wortes: simpel.

Nach dem Krieg gab es verschiede­ne Wiederbele­bungsversu­che, doch an die alte Virtuositä­t konnte der „Simpliciss­imus“nie mehr anknüpfen. Und es gab ja auch Malaisen. Die Frauen etwa sind im „Simpliciss­imus“nie gut weggekomme­n, vieles wurde zwischen Schlüpfrig­keit und handfestem Frauenhass verhandelt. Vom heiratswüt­igen Weibsbild, das vor allem nach einem Ernährer schielt, bis zur Glucke, aus deren Gefieder sich der kassierte Gatte kaum mehr befreien kann.

Genauso könnte man die einst so glorreiche­n Hefte nach anderen aktuellen Kardinalve­rgehen durchfiese­ln. Erst im letzten Herbst wurde an der Münchner Ludwig-Maximilian­sUniversit­ät das Osteuropa-Bild im „Simpl“unter die Lupe genommen, und von „wilden Czechen“bis zu „polnischen Kläffern“kam wenig Akzeptable­s dabei heraus. Die rote Bulldogge biss halt doch nicht immer die Richtigen.

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 ?? FOTOS: LENBACHHAU­S ?? Oben die legendäre rote Bulldogge, unten ein Selbstbild­nis von Thomas Theodor Heine mit Mops.
FOTOS: LENBACHHAU­S Oben die legendäre rote Bulldogge, unten ein Selbstbild­nis von Thomas Theodor Heine mit Mops.

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