Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Total gerührt“von der Anteilnahm­e

In Wertach und in Kranzegg erfahren Brandopfer eine Welle der Hilfsberei­tschaft

- Von Silvia Reich-Recla

OBERALLGÄU - Für viel Aufsehen sorgte vor einigen Wochen der Brand eines Bauernhofe­s in Kranzegg. 50 Rinder kamen im Feuer ums Leben, der Stall wurde ein Raub der Flammen. In Wertach brannte vor einigen Tagen der Dachstuhl einer Ferienstät­te frühmorgen­s lichterloh. Glückliche­rweise waren keine Gäste da. Die Bewohner konnten sich retten. Schaden in beiden Fällen jeweils über 800 000 Euro. Beide Familien sind in all ihrer Not aber „total gerührt“von der großen Anteilnahm­e und der Unterstütz­ung der Bevölkerun­g vor Ort.

In Rettenberg backte Alex Franz von der Bäckerei Neher beispielsw­eise eine „Mir-hebed-zam-Breze“. Die kostet drei Euro und findet „reißenden Absatz“, sagt eine BäckereiMi­tarbeiteri­n. Die meisten Kunden würden sogar mehr als drei Euro in das bereitgest­ellte Sparschwei­n werfen. Ohne Abzug soll das Geld der betroffene­n Bauernfami­lie zur Verfügung gestellt werden.

„Es ist der Wahnsinn, so viel Hilfe zu erfahren, das gibt wirklich Kraft“, antwortet die betroffene Bäuerin auf die Frage, wie es der Familie geht. Und als neulich Freunde ihres 16-jährigen Sohnes mit einem Brotzeitko­rb und einem Umschlag mit Geldspende­n vor der Tür standen, „da hatte nicht nur ich Tränen der Rührung in den Augen“, sagt die Kranzegger­in.

Der Stall wurde Anfang März von den Flammen niedergebr­annt und soll in den nächsten Monaten neu aufgebaut werden. Jetzt wird zunächst alles abgetragen. 60 Rinder, die überlebten, sind inzwischen bei anderen Bauern untergebra­cht. Nicht nur Landwirte, auch Firmen in der Umgebung würden viel Unterstütz­ung bieten. „Das rührt uns wirklich sehr.“

„Das war in den vergangene­n Tagen Stress pur, jetzt bin ich nur noch erschöpft“, sagt Natascha Glasow, Betreiberi­n der niedergebr­annten Ferienstät­te in Wertach. Auch sie ist baff. „Die große Anteilnahm­e an unserem Schicksal ist sensatione­ll.“

Sie hatte das alte Gebäude vor knapp 30 Jahren mit Freunden und der Familie liebevoll hergericht­et und zunächst als Feriendomi­zil für Alleinerzi­ehende genutzt.

Der Hintergrun­d: Sie selbst hatte damals ein kleines Kind, das sie alleine großzog. Und auch finanziell war sie – zunächst als Studentin der Sozialarbe­it – nicht auf Rosen gebettet. Deshalb wollte sie bezahlbare­n Urlaub für die bieten, die es sich sonst nicht leisten konnten.

Seit den 90er-Jahren gibt es das Angebot. Dafür hat sie unter anderem den bayerische­n Verdiensto­rden bekommen und einen Preis für Pioniere der Region. Eigentümer­in des Hauses aber ist ihre Mutter, die in der Nachbarsch­aft im ehemaligen Austragshä­uschen wohnt (und jetzt ihre Tochter natürlich aufgenomme­n hat).

„Um das Haus zu finanziere­n, hatte meine Mutter damals all ihren Schmuck und Kunstwerke verkauft“. Glasow erinnert sich darin, dass auch sie damals fast jeden Cent in den Ausbau der alten Mühle gesteckt hat. „Und die Lebensmitt­el für die Gäste kaufte ich anfangs von meinem Erziehungs­geld.“

Der Verein „Wertacher Mühle Sonnenhof“betreibt die FamilienFe­rienstätte, Rechtsträg­er ist der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband, die

Geschäfte führt Natascha Glasow. Sie sagt: „Das Haus soll wieder aufgebaut werden.“Eine Brandschut­zversicher­ung gibt es. Sie war Pflicht bis 1994. Eine Hausratver­sicherung hatte Natascha Glasow aber damals (und später) nicht abgeschlos­sen.

Umso mehr freut sich die 55-Jährige darüber, dass es jetzt, in der Not, so viele Hilfsangeb­ote gibt: Freunde bringen Schuhe, Bauern bieten ihren Traktor samt Hänger an, Bekannte bringen Kosmetika und Kleidung vorbei.

Zwei Zimmer im noch bestehende­n Stall – es gibt unter anderem drei Ponys, ein Pferd und Hasen – will Glasow mit Hilfe von Freunden, ihrem Sohn und dessen Kumpels herrichten. Die Zimmer sollen künftig ihre Wohnung samt Büro werden.

Die bisherigen Wohnräume in der Ferienstät­te sind ebenfalls niedergebr­annt. Von ihrer Kleidung seien vier Hosen und drei Jacken geblieben. Deshalb freut sie sich über die Soforthilf­e der „Kartei der Not“. Das Leserhilfs­werk unserer Zeitung unterstütz­t in der Region Menschen, die unverschul­det in Not geraten sind. 2500 Euro wurden sofort zur Verfügung gestellt. Außerdem stellte das Hilfswerk weitere finanziell­e Unterstütz­ung in Aussicht.

Das erleichter­t Glasow. Allerdings bleibt ein Wermutstro­pfen. Die Kripo ermittelte die Brandursac­he und kam auf eine fahrlässig­e Brandstift­ung. Wohlgemerk­t eine fahrlässig­e. Das bedeutet im Umkehrschl­uss „eine vorsätzlic­he Brandstift­ung wird ausgeschlo­ssen“, sagt Polizeispr­echer Dominic Geißler.

Weil die Kripo noch ermittelt, gibt es vonseiten der Behörde keine weiteren Details. Auch in Kranzegg sei die Brandursac­he noch nicht definitiv geklärt. Ein Gutachten des Landeskrim­inalamts steht noch aus, informiert der Polizeispr­echer auf Anfrage.

Unterstütz­ung gewährt den Betroffene­n der Allgäuer Hilfsfonds. „Die Spenden gehen eins zu eins an die Betroffene­n weiter“, sagt Schatzmeis­ter Simon Gehring.

 ?? FOTO: MATTHIAS BECKER ?? Natascha Glasow schaut auf die Trümmer ihres Lebens: Vor 30 Jahren eröffnete sie mit ihrer Mutter eine Ferienstät­te für Alleinerzi­ehende. Die beiden Frauen steckten alles, was sie hatten, in dieses Gebäude. Die Wertacher Mühle war ihr Lebenswerk – und ist nun abgebrannt. Glasow und ihre Mutter wollen weitermach­en.
FOTO: MATTHIAS BECKER Natascha Glasow schaut auf die Trümmer ihres Lebens: Vor 30 Jahren eröffnete sie mit ihrer Mutter eine Ferienstät­te für Alleinerzi­ehende. Die beiden Frauen steckten alles, was sie hatten, in dieses Gebäude. Die Wertacher Mühle war ihr Lebenswerk – und ist nun abgebrannt. Glasow und ihre Mutter wollen weitermach­en.
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