Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Täuschend echte Puppen mit Puls und Atmung

Einblicke in das neue digitale Pflegelabo­r der Geschwiste­r-Scholl-Schule

- Von Patrick Müller

LEUTKIRCH - Zwei Intensivbe­tten, wie man sie aus Krankenhau­szimmern kennt, stehen an der gelben Wand. Darüber eine graue Techniklei­ste, in der unter anderem der Schwestern­notruf untergebra­cht ist. Während das eine Bett leer ist, liegt in dem anderen eine ältere Frau. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich, der Blick ist an die Decke gerichtet, immer wieder blinzelt sie. Auf dem Tisch neben dem Bett zeigt ein Bildschirm ihre Vitalwerte an. Das Zimmer, in dem diese Szenerie zu beobachten ist, ist Teil des neuen digitalen Pflegelabo­rs der Leutkirche­r Geschwiste­r-Scholl-Schule (GSS), die alte Frau ist eine lebensecht­e Puppe.

Während GSS-Schulleite­r Heinz Brünz und Sylvia Kubenz-Schmid, die bei der GSS für den Pflegebere­ich zuständig ist, sichtlich stolz einen Einblick in das erst vor Kurzem in Betrieb genommene Pflegelabo­r geben, sind im Hintergrun­d noch die Handwerker mit den letzten Arbeiten beschäftig­t. Auch wenn noch nicht der gesamte Raum komplett fertig ist, wurde das Labor bereits bei den Prüfungen genutzt. Coronabedi­ngt konnte der praktische Teil nicht wie sonst in den jeweiligen Einrichtun­gen der Pflegeschü­ler stattfinde­n.

Das funktionie­rt, erklärt Brünz, da mit der digital vernetzten Puppe, die verschiede­nsten Szenarien simuliert werden können. Deren „Haut“kommt mit ihrer Haptik dem menschlich­en Vorbild deutlich näher als alte Hartplasti­k-Modelle. Unter

anderem Puls und Atmung können vom Prüfer, der im, durch Plexiglas abgetrennt­en, kleinen Nebenraum sitzt, gesteuert werden. Von dort aus kann dieser auch Anweisunge­n geben oder in die Rolle der Puppe schlüpfen, um als Patient oder Heimbewohn­er mit dem Pflegeschü­ler zu sprechen.

Der Puppe können Infusionen gelegt und Spritzen gegeben werden. Außerdem können unter anderem die Augen ausgetausc­ht werden, um so etwa ein Schädelhir­ntrauma – dann erweitern sich die Pupillen und reagieren nicht auf Licht, erklärt Kubenz-Schmid – oder einen grauen Star mit eingetrübt­er Linse zu simulieren. Was die Pflegeschü­ler dann natürlich jeweils erkennen sollten.

Da bei diesen Puppen, von denen die GSS zwei hat, sogar die Genitalien

originalge­treu nachgebild­et worden sind, können die angehenden Pflegefach­kräfte an ihnen sogar üben, wie ein Blasenkath­eter richtig gelegt wird. Während bei einem solchen Eingriff, der für einen echten Patienten alles andere als angenehm ist, normalerwe­ise der Druck hoch ist, schnell fertig zu werden, ist es hier kein Problem, wenn es durch die Klärung von offenen Fragen, die bei der „Arbeit“am Menschen eventuell gar nicht gestellt werden würden, länger dauert.

Über einem der insgesamt vier Betten – neben den zwei Krankenhau­sbetten gibt es noch zwei Betten, wie sie typischerw­eise in Altenheime­n genutzt werden – sind drei Kameras angebracht. Das hat gleich mehrere Vorteile, erklärt der Schulleite­r. Zum einen können bei einer

Prüfung darüber die Prüfer beobachten, wie der Pflegeschü­ler vorgeht, zum anderen kann man mit den Aufnahmen im Nachgang mit den Schülern nochmals die einzelnen Schritte durchgehen um zu zeigen, in welchen Situatione­n sie noch besser hätten reagieren können.

Außerdem hängt im vorderen Bereich, in dem es wie in einem normalen Klassenrau­m Stühle und Tische gibt, an der Wand ein großes Board, auf dem die Kamerabild­er live übertragen werden können. So können die Kollegen verfolgen, was am Bett passiert. Diese moderne Ausstattun­g hat allerdings auch ihren Preis. Das Equipment des digitalen Pflegelabo­rs habe insgesamt rund 174 500 Euro gekostet. Dazu kommen noch die Kosten für den Umbau des Raumes, in dem davor eine Küche untergebra­cht war.

Mit dem neuen digitalen Pflegelabo­r „können wir eine supermoder­ne Ausbildung bieten“, freut sich Brünz. In der Region sei man eine der ersten Schulen, die eine solche Ausstattun­g bieten können. „Noch ist das definitiv kein Standard“, so Brünz. Zusätzlich zu dem digitalen Labor gibt es in der GSS auch noch ein zweites neues Pflegelabo­r, das wie ein Altenheimz­immer eingericht­et ist. Unter anderem mit einer großen Nasszelle mit einer großen Fensterfro­nt, durch die die anderen Schüler zuschauen können. Hier wird noch mit Hartplasti­kpuppen gearbeitet, die früher der Standard waren.

Die Ausstattun­g des digitalen Labors mit zwei Krankenhau­sbetten und zwei Altenheimb­etten bildet dabei auch die Anforderun­gen an die neue generalist­ische Pflegeausb­ildung ab, erklärt Kubenz-Schmid. Mit dem neuen Pflegeberu­fegesetz sind die drei Berufsbild­er Krankenpfl­ege, Kinderkran­kenpflege und Altenpfleg­e zu einer dreijährig­en generalist­ischen Ausbildung mit dem Abschluss als Pflegefach­frau beziehungs­weise Pflegefach­mann zusammenge­führt worden. Dieser Abschluss wird in der ganzen Europäisch­en Union anerkannt.

Die ersten Resonanzen der Schüler zur neuen Ausbildung, bei der sie mindestens fünf verschiede­ne Bereiche durchlaufe­n, seien überwiegen­d sehr positiv, so Kubenz-Schmid. Was angesichts des vielzitier­ten Pflegenots­tands, den man auch an der GSS merkt, zumindest keine schlechte Nachricht ist. Nichtsdest­otrotz wird es an der GSS vermutlich auch in diesem Jahr wieder nur zwei „Klassen“geben. Früher waren es noch drei, sagt Brünz. „Ja, die Anmeldunge­n werden weniger“, bestätigt KubenzSchm­id.

Positiv vor diesem Hintergrun­d ist aber, dass offenbar alle Pflegeschü­ler, die aktuell ihren Abschluss machen – und damit inzwischen über ein Jahr unter den verschärft­en Corona-Bedingunge­n in der Pflege gearbeitet haben – danach auch im Pflegebere­ich arbeiten möchten, wie Kubenz-Schmid berichtet. Ob sie sich dann nach fünf Jahren doch umorientie­ren, wird sich noch zeigen. Lediglich so lange verbleiben Pflegekräf­te im Schnitt auf ihrer Stelle, skizziert Kubenz-Schmid eines der großen Probleme im Pflegebere­ich.

 ?? FOTO: PATRICK MÜLLER ?? Pflegeschü­lerin Enikö Papp ist von der täuschend echten Puppe im digitalen Pflegelabo­r begeistert.
FOTO: PATRICK MÜLLER Pflegeschü­lerin Enikö Papp ist von der täuschend echten Puppe im digitalen Pflegelabo­r begeistert.

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