Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Täuschend echte Puppen mit Puls und Atmung
Einblicke in das neue digitale Pflegelabor der Geschwister-Scholl-Schule
LEUTKIRCH - Zwei Intensivbetten, wie man sie aus Krankenhauszimmern kennt, stehen an der gelben Wand. Darüber eine graue Technikleiste, in der unter anderem der Schwesternnotruf untergebracht ist. Während das eine Bett leer ist, liegt in dem anderen eine ältere Frau. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich, der Blick ist an die Decke gerichtet, immer wieder blinzelt sie. Auf dem Tisch neben dem Bett zeigt ein Bildschirm ihre Vitalwerte an. Das Zimmer, in dem diese Szenerie zu beobachten ist, ist Teil des neuen digitalen Pflegelabors der Leutkircher Geschwister-Scholl-Schule (GSS), die alte Frau ist eine lebensechte Puppe.
Während GSS-Schulleiter Heinz Brünz und Sylvia Kubenz-Schmid, die bei der GSS für den Pflegebereich zuständig ist, sichtlich stolz einen Einblick in das erst vor Kurzem in Betrieb genommene Pflegelabor geben, sind im Hintergrund noch die Handwerker mit den letzten Arbeiten beschäftigt. Auch wenn noch nicht der gesamte Raum komplett fertig ist, wurde das Labor bereits bei den Prüfungen genutzt. Coronabedingt konnte der praktische Teil nicht wie sonst in den jeweiligen Einrichtungen der Pflegeschüler stattfinden.
Das funktioniert, erklärt Brünz, da mit der digital vernetzten Puppe, die verschiedensten Szenarien simuliert werden können. Deren „Haut“kommt mit ihrer Haptik dem menschlichen Vorbild deutlich näher als alte Hartplastik-Modelle. Unter
anderem Puls und Atmung können vom Prüfer, der im, durch Plexiglas abgetrennten, kleinen Nebenraum sitzt, gesteuert werden. Von dort aus kann dieser auch Anweisungen geben oder in die Rolle der Puppe schlüpfen, um als Patient oder Heimbewohner mit dem Pflegeschüler zu sprechen.
Der Puppe können Infusionen gelegt und Spritzen gegeben werden. Außerdem können unter anderem die Augen ausgetauscht werden, um so etwa ein Schädelhirntrauma – dann erweitern sich die Pupillen und reagieren nicht auf Licht, erklärt Kubenz-Schmid – oder einen grauen Star mit eingetrübter Linse zu simulieren. Was die Pflegeschüler dann natürlich jeweils erkennen sollten.
Da bei diesen Puppen, von denen die GSS zwei hat, sogar die Genitalien
originalgetreu nachgebildet worden sind, können die angehenden Pflegefachkräfte an ihnen sogar üben, wie ein Blasenkatheter richtig gelegt wird. Während bei einem solchen Eingriff, der für einen echten Patienten alles andere als angenehm ist, normalerweise der Druck hoch ist, schnell fertig zu werden, ist es hier kein Problem, wenn es durch die Klärung von offenen Fragen, die bei der „Arbeit“am Menschen eventuell gar nicht gestellt werden würden, länger dauert.
Über einem der insgesamt vier Betten – neben den zwei Krankenhausbetten gibt es noch zwei Betten, wie sie typischerweise in Altenheimen genutzt werden – sind drei Kameras angebracht. Das hat gleich mehrere Vorteile, erklärt der Schulleiter. Zum einen können bei einer
Prüfung darüber die Prüfer beobachten, wie der Pflegeschüler vorgeht, zum anderen kann man mit den Aufnahmen im Nachgang mit den Schülern nochmals die einzelnen Schritte durchgehen um zu zeigen, in welchen Situationen sie noch besser hätten reagieren können.
Außerdem hängt im vorderen Bereich, in dem es wie in einem normalen Klassenraum Stühle und Tische gibt, an der Wand ein großes Board, auf dem die Kamerabilder live übertragen werden können. So können die Kollegen verfolgen, was am Bett passiert. Diese moderne Ausstattung hat allerdings auch ihren Preis. Das Equipment des digitalen Pflegelabors habe insgesamt rund 174 500 Euro gekostet. Dazu kommen noch die Kosten für den Umbau des Raumes, in dem davor eine Küche untergebracht war.
Mit dem neuen digitalen Pflegelabor „können wir eine supermoderne Ausbildung bieten“, freut sich Brünz. In der Region sei man eine der ersten Schulen, die eine solche Ausstattung bieten können. „Noch ist das definitiv kein Standard“, so Brünz. Zusätzlich zu dem digitalen Labor gibt es in der GSS auch noch ein zweites neues Pflegelabor, das wie ein Altenheimzimmer eingerichtet ist. Unter anderem mit einer großen Nasszelle mit einer großen Fensterfront, durch die die anderen Schüler zuschauen können. Hier wird noch mit Hartplastikpuppen gearbeitet, die früher der Standard waren.
Die Ausstattung des digitalen Labors mit zwei Krankenhausbetten und zwei Altenheimbetten bildet dabei auch die Anforderungen an die neue generalistische Pflegeausbildung ab, erklärt Kubenz-Schmid. Mit dem neuen Pflegeberufegesetz sind die drei Berufsbilder Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege zu einer dreijährigen generalistischen Ausbildung mit dem Abschluss als Pflegefachfrau beziehungsweise Pflegefachmann zusammengeführt worden. Dieser Abschluss wird in der ganzen Europäischen Union anerkannt.
Die ersten Resonanzen der Schüler zur neuen Ausbildung, bei der sie mindestens fünf verschiedene Bereiche durchlaufen, seien überwiegend sehr positiv, so Kubenz-Schmid. Was angesichts des vielzitierten Pflegenotstands, den man auch an der GSS merkt, zumindest keine schlechte Nachricht ist. Nichtsdestotrotz wird es an der GSS vermutlich auch in diesem Jahr wieder nur zwei „Klassen“geben. Früher waren es noch drei, sagt Brünz. „Ja, die Anmeldungen werden weniger“, bestätigt KubenzSchmid.
Positiv vor diesem Hintergrund ist aber, dass offenbar alle Pflegeschüler, die aktuell ihren Abschluss machen – und damit inzwischen über ein Jahr unter den verschärften Corona-Bedingungen in der Pflege gearbeitet haben – danach auch im Pflegebereich arbeiten möchten, wie Kubenz-Schmid berichtet. Ob sie sich dann nach fünf Jahren doch umorientieren, wird sich noch zeigen. Lediglich so lange verbleiben Pflegekräfte im Schnitt auf ihrer Stelle, skizziert Kubenz-Schmid eines der großen Probleme im Pflegebereich.