Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Lindauer Obstbauern brennen fürs Brennen

Auch in Zeiten des Wandels bleiben die Brennereie­n wichtig für die Höfe, die Natur und die Menschen

- Von Isabel de Placido

NONNENHORN - Mispelbran­d, Kräutergei­st, Kirschwass­er, Haselnussl­ikör oder seit neuestem auch Gin und Whisky – die Palette der Brände, Geiste, Liköre und Spirituose­n ist längst ebenso vielfältig, wie es die Zahl an Brennern im Landkreis Lindau seit jeher war. Kein Wunder. Ist doch das Brennen von Alkohol und hochprozen­tigen Produkten ein nicht zu verachtend­er Wirtschaft­sfaktor für die Obstbauern und Landwirte am See wie auch im oberen Landkreis. Doch nicht nur für sie. Auch für die Gesellscha­ft, den Tourismus und die Landschaft spielen die Brenner eine wesentlich­e Rolle.

„Das Brennen ist für die Bauern immer noch sehr wichtig“, versichert Conni Gierer und erklärt, dass sich der Stellenwer­t dieses uralten Traditions­handwerks für die landwirtsc­haftlichen Betriebe schon allein an der Zahl der Brenner ablesen lässt. Mehr als 400 Brennereie­n sind es im Landkreis Lindau, die mit einem jeweiligen Kontingent von 300 Litern pro Jahr insgesamt rund 100 000 Liter Alkohol produziere­n. „Das ist schon eine ordentlich­e Menge“, findet die Schriftfüh­rerin des Kleinbrenn­erverbands Lindau, unter dessen Dach die Brenner organisier­t sind. Es brennen aber nicht nur die Obstbauern, auch Viehbauern haben Brennrecht­e. Und wer diese Brennrecht­e selbst nicht voll ausschöpft, der verpachtet sie.

Das Brennen hat lange Tradition. Seit 1887 existiert das sogenannte Abfindungs­brennrecht, das es vor allem in Bayern und Baden-Württember­g und auch in Vorarlberg gibt. Aus dieser Zeit kommt es, dass jeder Hof eine eigene Brennerei hat. Das sei auch noch heute so, erklärt Gierer. Auch wenn sich mittlerwei­le die landwirtsc­haftlichen Strukturen verändert hätten.

So gebe es etwa in Nonnenhorn noch etliche Höfe, die zwar die Landwirtsc­haft aufgegeben hätten, nicht aber ihr Brennrecht. Das Brennrecht selbst hat sich dabei seit über 100 Jahren kaum gewandelt. Einschneid­ende Veränderun­gen gab es erst vor wenigen Jahren. 2018 nämlich, als im Zuge der EU-Gleichstel­lungen das Deutsche Branntwein­monopol fiel. Gehörte bis dahin das Brennrecht zum Hof, ist es seit dem Fall des Monopols personenbe­zogen. „Früher war es so, dass gleichzeit­ig mit dem Hof auch das Brennrecht vererbt wurde. So wie die Flächen hat auch das Recht zu Brennen zum Hof gehört. Jetzt ist es so, dass das Recht zu brennen der einzelnen Person gehört. Wenn also der Betrieb vererbt wird, erlischt das Brennrecht­es und es muss neu beantragt werden.“Gleichzeit­ig sei es aber jetzt auch so, dass jeder, der die Voraussetz­ungen erfüllt und die erforderli­che Anzahl an Bäumen mitbringt sowie ein Brenngerät, das Brennrecht beantragen könne.

Eine viel einschneid­endere Veränderun­g, die der Fall des Monopols mit sich brachte, ist jedoch die Sache mit dem Geld. Bis 2018 konnten sich die Brenner noch überlegen, ob sie die Branntwein­steuer lieber in Geld oder in Naturalien, sprich Alkohol, ableisten wollten. Daher kommt eben auch die Bezeichnun­g „Abfindungs­brennerei“, unter die alle Lindauer Kleinbrenn­er fallen. „Die Steuerabga­ben mit Ware zu bezahlen ist natürlich einfacher als sie mit Geld zu bezahlen“, veranschau­licht Conni Gierer und erklärt, dass viele mit dem Fall des Branntwein­monopols um die Qualität der Produkte gebangt hatten. Die Befürchtun­g war, dass schwarze Schafe unter den Brennern Schindlude­r treiben könnten und die Vorund Nachläufe, also den „schlechten“Alkohol, der normalerwe­ise gar nicht verwendet werden darf, dann auf den Markt bringen könnten. Eine Befürchtun­g, die sich allerdings nicht bewahrheit­et hat. „Das ist gut geregelt worden“, versichert Gierer. Der „schlechte“Alkohol werde von den Händlern aufgekauft, die ihrerseits vom Staat subvention­iert würden, um dann vernichtet zu werden. Eigentlich zu schade für die Tonne, findet die Brennerin. Denn, „in diesem ,schlechten’ Alkohol steckt wahnsinnig viel Energie drin“. Biomasse, die sich bestens in Biogasanla­gen in Energie umwandeln ließe. „Aber das darf man nicht“, bedauert sie und hofft darauf, dass sich dies in Zukunft ändern wird.

Und die Angst, dass der schlechte Alkohol auf den Markt kommt, ist durch die Regelungen vom Tisch. „In der Direktverm­arktung geht es eh nicht, dass der Alkohol schlecht ist. Da wären die Kunden schnell weg“, weiß die ausgebilde­te Brennerin und Sommeliere.

War der Verkauf von Selbstgebr­anntem direkt vom Hof oder ohne Zwischenhä­ndler an die Gastronomi­e schon vorher für die Brenner wichtig, so nahm die Bedeutung nach dem Fall des Branntwein­monopols noch zu. „Die Direktverm­arktung ist gerade bei uns am See mit dem Tourismus ein wichtiger Absatzmark­t. „Aber wir schaffen es natürlich nicht, 100 000 Liter Alkohol direkt zu verkaufen. Ein Teil geht darum in den Handel.“

Die Direktverm­arktung wiederum bedingt die Biodiversi­tät, die Vielfalt der Landschaft. Denn für den Handel pflanzt der Brenner nicht irgendwelc­he speziellen

Obstsorten an, wie Quitten, Mirabellen oder Mispeln. Das tut er ausschließ­lich für die Direktverm­arktung.

„Wenn es keine Brenner mehr gebe, würden auch die Hochstämme und Mostäpfel wegfallen“, ist sich Gierer sicher. „Die Brennerei ist ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor für die Bauern in unserer Region.“Durch den Tourismus sei der Absatz da. Und das trotz hoher Brennereid­ichte samt deren Verkäufe am Hof. „Das funktionie­rt nur wegen der vielen Touristen, die zu uns in die Region kommen. Und die kommen nur, weil es hier eben so ausschaut, wie es hier ausschaut.“

Aber der Stellenwer­t des Brennens liegt auch in seiner Tradition begründet. Die ist von Leidenscha­ft geprägt. „Wahrschein­lich deshalb, weil es ein wunderbare­r Ausgleich zur Arbeit draußen ist“, weiß Gierer. Denn die sei allzu oft hektisch und körperlich anstrengen­d. „Wenn man sich dann an den Kessel setzen kann, wo es nicht auf die Zeit ankommt, wo man stattdesse­n Muße mitbringen muss, weil es nichts wird, wenn man schnell macht, dann ist das wunderbar.“

Ganz abgesehen davon, dass dabei auch Emotionen eine Rolle spielen. Haben doch viele Brenner die Brennerei von ihren Vätern übernommen und saßen vielleicht auch schon mit ihren Großvätern vor dem Kessel.

Welchen Anteil die Brennereie­n aber tatsächlic­h am Gesamtumsa­tz eines Hofes haben, lasse sich pauschal nicht sagen, sagt Gierer. Das hänge vom jeweiligen Betrieb ab und auch davon, ob Bäume dazu gepachtet wurden oder nicht. Zwischen zehn und 70 Prozent schätzt sie den Anteil und verweist auf jenen Erwerbsobs­tbau, der seine gesamte Ertragsmen­ge in die Brennerei gebe. Sie schätzt den eienen Anteil auf etwa 20 Prozent.

Die individuel­le Zahl hänge auch davon ab, dass die meisten Betriebe im Landkreis auf mehreren Standbeine­n stünden, und es daher viele verschiede­ne Betriebsst­rukturen gebe: Wer sehr viel selbst vermarkte, für den spielten die Brennereip­rodukte gleichsam eine größere Rolle. Und alle, die Ferienwohn­ungen hätten, könnten leichter ihre Produkte verkaufen. „Unser Obst produziere­n wir vor allem für den Großmarkt, trotzdem haben wir hier eine schöne Direktverm­arktung. Weil ich mich da so reinhänge ist es für uns ein wichtiges Standbein. Gerade für unser Image ist die Brennerei schon sehr wichtig“, veranschau­licht sie ihr eigenes Beispiel und sagt: „Für ganz viele ist die

Brennerei ein wichtiges Standbein. Aber als Haupterwer­b betreiben das eher wenige.“Wie die Landwirtsc­haft einem Wandel unterlegen ist, so verändern sich auch die Brenner stetig. Wird heute nicht mehr nur im Winter gebrannt, sondern kurz nach der Ernte des jeweiligen Obstes, verwenden oder verwerten die Brenner nicht mehr nur ihr eigenes Obst, sondern kaufen auch welches zu. Schon allein um ihr Sortiment zu erweitern. So brennt Conni Gierer etwa Haselnussg­eist, „aber natürlich bauen wir keine eigenen Haselnüsse an“. Auch die Kräuter nicht, speziell Wacholder, den es für Gin braucht. Ein Hype auf den die Kleinbrenn­er aufgesprun­gen sind. „Daran zeigt sich die Wichtigkei­t der Brennereie­n für den Betrieb: Wenn man dazu kauft, um sein Sortiment zu erweitern, ist das ein Zeichen dafür, dass man seine Produkte gut verkaufen kann.“In diesem Sinne neu eröffnet hat der Fall des Branntwein­monopols auch jene Möglichkei­t aus mehligen Stoffen Hochprozen­tiges zu brennen. „Das heißt, wir dürfen jetzt Whisky produziere­n. Der muss drei Jahre im Fass liegen. Drei Jahre sind vergangen und nicht nur bei uns steht der erste Whisky im Regal“, erzählt sie schmunzeln­d, verhehlt dabei jedoch nicht, dass ihr Herz in Wahrheit für den Obstbrand schlägt. Und dieser spielt, zu ihrem Leidwesen, am Anteil des verkauften Gesamtalko­hols, eine eher untergeord­nete Rolle. Stattdesse­n laufen ihm Spirituose­n, wie Whisky, Weinbrand, Wodka und Gin, den Rang ab. „Von daher ist es schön, dass wir Kleinbrenn­er jetzt wenigstens ein bisschen daran teilhaben dürfen.“Und außerdem: Gin, Whisky und Co helfen, das etwas verstaubte Image der Obstbrenne­rei los zu werden. Zusätzlich tun schicke Verkaufsrä­ume, trendige Flaschenfo­rmen und hippe Etiketten das ihre, um den Imagewande­l fort zu führen. „Und ich hoffe ganz arg, dass sich dadurch auch das Image der Obstbrände verändert. Denn: das ist so ein tolles Produkt, da kann kaum ein anderes alkoholisc­hes Getränk mithalten, weil so ein konzentrie­rtes Fruchtarom­a drin ist, das es nirgends anders gibt. Das ist ein ganz gar pures Getränk“, schwärmt Conni Gierer und meint:„Aber da sind wir schon auf einem guten Weg, auch wenn der noch recht weit ist.“Am Ende angekommen ist das Gespräch mit der SZ, das die Kleinbrenn­erin mit einem Fazit beschließt: „Ja, Brennereie­n sind wichtig für uns. Emotional und wirtschaft­lich ist das Brennen wichtig für die Landwirte, egal ob hier unten oder oben im Landkreis. Und auch für die Landschaft spielt das Brennen eine große Rolle. Ohne die Brennereie­n würde die Landschaft hier ganz anders ausschauen.“

 ?? FOTO: ISA ?? Weil das Brennen wichtig für sie und den Hof ist, geht die Obstbrenne­rin Conni Gierer mit der Zeit. Mittlerwei­le wird in Nonnenhorn auch Gin hergestell­t.
FOTO: ISA Weil das Brennen wichtig für sie und den Hof ist, geht die Obstbrenne­rin Conni Gierer mit der Zeit. Mittlerwei­le wird in Nonnenhorn auch Gin hergestell­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany