Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der diskrete Charme der Grammatik

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Immer wieder spießen wir an dieser Stelle die alltäglich­en Schludrigk­eiten in unseren Medien auf. Wobei dann oft der Vorwurf laut wird, wir machten uns über andere her, aber kehrten zu wenig vor der eigenen Tür. Also greifen wir wieder einmal zum Besen. Vor einigen Tagen war in dieser Zeitung von Peter Gauweiler die Rede, und da wurde der CSU-Politiker als der bestverdie­nendste Bundestags­abgeordnet­e bezeichnet – was einige Leser zu Recht monierten, denn dieser Superlativ ist schlichtwe­g falsch.

Grammatik gilt als sprödes Geschäft. Nehmen wir nur einmal die Regeln der Flexion bei der Steigerung. In aller Kürze: Steht lediglich ein Adjektiv oder ein Partizip bei einem Substantiv gibt es keine Probleme: der wirksame Impfschutz – der wirksamere Impfschutz – der wirksamste Impfschutz oder die passende Maske – die passendere Maske – die passendste Maske.

Komplizier­ter wird es bei Verbindung­en von Adjektiv und Adjektiv oder Adjektiv und Partizip. Dabei wird im Normalfall nur der erste Bestandtei­l gesteigert: das gut bestückte Impfzentru­m – das besser bestückte Impfzentru­m – das am besten bestückte Impfzentru­m. Sehr selten sind Fügungen, in denen nur der zweite Bestandtei­l gesteigert werden darf: das dichtmasch­ige Netz an Teststatio­nen – das dichtmasch­igere Netz – das dichtmasch­igste Netz. Und manchmal kann sowohl der erste als auch der zweite Bestandtei­l gesteigert werden: schwer wiegende Gründe für den Lockdown – schwerer wiegende Gründe – am schwersten wiegende Gründe, aber auch schwerwieg­ende Gründe – schwerwieg­endere Gründe – schwerwieg­endste Gründe.

Was aber gar nicht geht, ist die doppelte Steigerung wie im Fall bestverdie­nendste. Woher sie kommt, liegt auf der Hand. Es gibt heute diesen modischen Hang zum Superlativ, der stets an Wichtigtue­rei grenzt. Alles ist supi oder gar super-supi. Um noch einmal einen pandemisch eingefärbt­en Satz zu konstruier­en: Der einzigste Ausweg aus der Corona-Krise ist eine Impfkampag­ne mit minimalste­m Imageverlu­st und maximalste­r Effektivit­ät

– standardsp­rachlich ein Unding. Und falsch sind eben auch doppelte Steigerung­en wie nächstlieg­endst, bestbewähr­test, höchstwert­igst oder – sehr beliebt – schnellstm­öglichst.

Wie gesagt, Grammatik gilt als sprödes Geschäft. Aber apropos: Haben Sie sich schon einmal überlegt, woher das Wort Glamour stammt, das uns heute so leicht über die Lippen geht – bei Oscar-Verleihung­en, TVGalas oder royalen Hochzeiten? Im Duden steht zur Herkunft dieses englischen Begriffs eine Mischung aus Glanz, Glitzer, Zauber und attraktive­m Charme: Glamour, eigentlich = Glanz, aus dem Schottisch­en, ursprüngli­ch = Magie, Zauberspru­ch. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Denn das schottisch­e glamour beruht auf einer Umformung von grammar, also Grammatik. Die Grammatik zählte seit der Spätantike zu den hoch angesehene­n sieben freien Künsten. Und weil sie in der Regel Herrschaft­swissen für Auserwählt­e war, umfasste sie im Mittelalte­r mancherort­s außer der Sprachlehr­e auch die Beschäftig­ung mit dem MagischOkk­ulten – bis hin zum Zauberspru­ch.

Der diskrete Charme der Grammatik – wer hätte das gedacht! Von wegen spröde.

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Rolf Waldvogel

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