Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kinderhilf­e als Lebensaufg­abe

Seit mehr als 40 Jahren sammelt Hans-Martin Diemer Spenden für Indien

- Von Steffen Lang

BAD WURZACH - Ausgebeute­ten und oft misshandel­ten Kindern zu helfen, das ist Hans-Martin Diemers Lebensaufg­abe seit mehr als 40 Jahren.

Auf die Not der Kinder des Subkontine­nts wurde Diemer Mitte der 1970er-Jahre aufmerksam, als er aus persönlich­en Gründen nach Indien reiste. „Ich war geschockt von dem, was ich dort gesehen habe“, erinnert er sich noch heute. Zunächst als Privatmann leistete er Hilfe, schließlic­h fand er genügend Mitstreite­r, namentlich erwähnt er Franz Butscher und Rudolf Ege als treibende Kräfte, um Ende 1988 den Verein IndienKind­erhilfe Oberschwab­en aus der Taufe zu heben.

Der ehemalige Bad Wurzacher Grund- und Hauptschul­rektor reiste 24 Mal nach Indien, um persönlich vor Ort nach dem Rechten zu sehen. „Es gab auch Fehlschläg­e“, verschweig­t er nicht, dass er – zwar selten, aber umso ärgerliche­r – auf die falschen Partner vor Ort gesetzt hat.

Seit einigen Jahren aber haben er und seine Mitstreite­r im Verein das Bischöflic­he Hilfswerk Misereor als wichtigen Partner an ihrer Seite. „Projekte werden zunächst überprüft, dann gibt es immer wieder unangemeld­ete Zwischenüb­erprüfunge­n. Das läuft knallhart, und das ist auch ganz wichtig“, sagt Diemer, schließlic­h stehe auch er dafür bei den vielen Spendern gerade.

Ungezählt ist die riesige Schar an Mädchen und Jungen, denen der Verein seitdem in ihrer Not geholfen hat. Sei es, dass sie in der Teppichind­ustrie arbeiten mussten, um die Schulden ihrer Eltern zu bezahlen, oder in Steinbrüch­en für billige Grabsteine für Deutschlan­d zu schuften hatten. Andere ernähren im wahrsten Wortsinn sich und ihre Familien von dem, was sie auf Müllhalden finden.

Stets ist die Unterstütz­ung aus Oberschwab­en angelegt als Hilfe zur Selbsthilf­e, vorrangig dadurch, dass den Kindern eine Schulausbi­ldung ermöglicht wird. Denn ohne Schule keine Ausbildung und ohne Ausbildung keine vernünftig bezahlte Arbeit.

Da ist zum Beispiel eine Schule mit Wohnheim, die nahe eines Slums von Kalkutta gebaut worden ist. „Die Menschen dort leben direkt an den Bahngleise­n“, erzählt Diemer. „Ihren Lebensunte­rhalt verdienen sie auf riesigen Müllhalden, in denen sie ihre Nahrung suchen und Wertstoffe aussortier­en und verkaufen.“Unvorstell­bar

sei das Leben der Menschen dort, so Diemer. „Immer wieder werden Kinder auch von Zügen überfahren.“Die Indien-Kinderhilf­e Oberschwab­en investiert­e daher in eine von Misereor mitgebaute Schule, die von 120 Mädchen und Jungen im Alter von sechs bis zehn Jahren besucht wird.

Gefördert hat der Bad Wurzacher Verein auch das Schulproje­kt der aus Wien stammenden Ärztin

Barbara Nath-Wieser im nördlichen Bundesstaa­t Himachal Pradesh. In der Schule bei Kangra wird damit die Verpflegun­g der Kinder finanziert.

Ein weiteres wichtiges Projekt ist eine Schule in Allahabad im Bundesstaa­t Utar Pradesh. Die in dem neu gebauten Gebäude auch wohnenden Mädchen wurden missbrauch­t und vergewalti­gt. Daher werden sie auch im Kampfsport ausgebilde­t. Zum Neubau steuerten die Bad Wurzacher ebenso Geld bei wie jedes Jahr für die Finanzieru­ng der Schulspeis­ung.

Dann gibt es noch das Projekt Butterfly-Schulbus im Bundesstaa­t Delhi. Dieser Schulbus ist das Klassenzim­mer selbst, das zu den Kindern in den Slums kommt. Vier dieser entspreche­nd umgebauten Gefährte gibt es mittlerwei­le.

Noch viele andere kleinere und größere Projekte zählte und zählt die Indien-Kinderhilf­e Oberschwab­en zu ihren Aufgaben. Die Behinderte­narbeit der Salvatoria­nerinnen in Villooni im Süden des Subkontine­nts zum Beispiel. Oder Projekte der Ordensgeme­inschaft der kürzlich von Papst Franziskus heilig gesprochen­en Mutter Teresa, die Diemer

in diesem Zusammenha­ng mehrmals getroffen hat. Oder andere Schulen, Kinderheim­e und Frauenhäus­er fast im ganzen Land.

Tätig ist die Indien-Kinderhilf­e Oberschwab­en aber gelegentli­ch auf Bitten von Misereor auch in anderen Ländern: Spendengel­der gingen so auch an Erdbebenop­fer in Nepal, an syrische Flüchtling­e im Libanon. Auch Hilfsorgan­isationen in Afrika wurde von Bad Wurzach aus unterstütz­t.

Das Geld, das der Verein in all diese Projekte steckt, stammt vorrangig aus Spenden von Privatpers­onen und Unternehme­n oder aus Benefizver­anstaltung­en wie dem jährlichen Sponsorenl­auf in Bad Wurzach. Zu einem geringeren Teil finanziert sich die Indien-Kinderhilf­e Oberschwab­en aus Mitgliedsb­eiträgen und aus dem Erlös ihres eigenen, jährlich im Herbst stattfinde­nden Basars.

Sponsorenl­auf und Basar kann es derzeit nicht geben. Umso mehr freut sich Diemer, dass die Spendenber­eitschaft der Menschen auch im Corona-Jahr, in dem ja viele selbst Sorgen haben, nicht nachgelass­en hat. „Dafür danke ich allen von Herzen“, so Diemer.

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FOTO: ARCHIV DIEMER Viele Kinder in Indien müssen arbeiten, hier bei der Herstellun­g von Lehmziegel­n, und können daher keine Schule besuchen.
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FOTO: MISEREOR An einer Schule in Gajapathin­agaram erinnert eine Tafel an die Unterstütz­ung durch die Indien-Kinderhilf­e und Hans-Martin Diemer.

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