Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kinderhilfe als Lebensaufgabe
Seit mehr als 40 Jahren sammelt Hans-Martin Diemer Spenden für Indien
BAD WURZACH - Ausgebeuteten und oft misshandelten Kindern zu helfen, das ist Hans-Martin Diemers Lebensaufgabe seit mehr als 40 Jahren.
Auf die Not der Kinder des Subkontinents wurde Diemer Mitte der 1970er-Jahre aufmerksam, als er aus persönlichen Gründen nach Indien reiste. „Ich war geschockt von dem, was ich dort gesehen habe“, erinnert er sich noch heute. Zunächst als Privatmann leistete er Hilfe, schließlich fand er genügend Mitstreiter, namentlich erwähnt er Franz Butscher und Rudolf Ege als treibende Kräfte, um Ende 1988 den Verein IndienKinderhilfe Oberschwaben aus der Taufe zu heben.
Der ehemalige Bad Wurzacher Grund- und Hauptschulrektor reiste 24 Mal nach Indien, um persönlich vor Ort nach dem Rechten zu sehen. „Es gab auch Fehlschläge“, verschweigt er nicht, dass er – zwar selten, aber umso ärgerlicher – auf die falschen Partner vor Ort gesetzt hat.
Seit einigen Jahren aber haben er und seine Mitstreiter im Verein das Bischöfliche Hilfswerk Misereor als wichtigen Partner an ihrer Seite. „Projekte werden zunächst überprüft, dann gibt es immer wieder unangemeldete Zwischenüberprüfungen. Das läuft knallhart, und das ist auch ganz wichtig“, sagt Diemer, schließlich stehe auch er dafür bei den vielen Spendern gerade.
Ungezählt ist die riesige Schar an Mädchen und Jungen, denen der Verein seitdem in ihrer Not geholfen hat. Sei es, dass sie in der Teppichindustrie arbeiten mussten, um die Schulden ihrer Eltern zu bezahlen, oder in Steinbrüchen für billige Grabsteine für Deutschland zu schuften hatten. Andere ernähren im wahrsten Wortsinn sich und ihre Familien von dem, was sie auf Müllhalden finden.
Stets ist die Unterstützung aus Oberschwaben angelegt als Hilfe zur Selbsthilfe, vorrangig dadurch, dass den Kindern eine Schulausbildung ermöglicht wird. Denn ohne Schule keine Ausbildung und ohne Ausbildung keine vernünftig bezahlte Arbeit.
Da ist zum Beispiel eine Schule mit Wohnheim, die nahe eines Slums von Kalkutta gebaut worden ist. „Die Menschen dort leben direkt an den Bahngleisen“, erzählt Diemer. „Ihren Lebensunterhalt verdienen sie auf riesigen Müllhalden, in denen sie ihre Nahrung suchen und Wertstoffe aussortieren und verkaufen.“Unvorstellbar
sei das Leben der Menschen dort, so Diemer. „Immer wieder werden Kinder auch von Zügen überfahren.“Die Indien-Kinderhilfe Oberschwaben investierte daher in eine von Misereor mitgebaute Schule, die von 120 Mädchen und Jungen im Alter von sechs bis zehn Jahren besucht wird.
Gefördert hat der Bad Wurzacher Verein auch das Schulprojekt der aus Wien stammenden Ärztin
Barbara Nath-Wieser im nördlichen Bundesstaat Himachal Pradesh. In der Schule bei Kangra wird damit die Verpflegung der Kinder finanziert.
Ein weiteres wichtiges Projekt ist eine Schule in Allahabad im Bundesstaat Utar Pradesh. Die in dem neu gebauten Gebäude auch wohnenden Mädchen wurden missbraucht und vergewaltigt. Daher werden sie auch im Kampfsport ausgebildet. Zum Neubau steuerten die Bad Wurzacher ebenso Geld bei wie jedes Jahr für die Finanzierung der Schulspeisung.
Dann gibt es noch das Projekt Butterfly-Schulbus im Bundesstaat Delhi. Dieser Schulbus ist das Klassenzimmer selbst, das zu den Kindern in den Slums kommt. Vier dieser entsprechend umgebauten Gefährte gibt es mittlerweile.
Noch viele andere kleinere und größere Projekte zählte und zählt die Indien-Kinderhilfe Oberschwaben zu ihren Aufgaben. Die Behindertenarbeit der Salvatorianerinnen in Villooni im Süden des Subkontinents zum Beispiel. Oder Projekte der Ordensgemeinschaft der kürzlich von Papst Franziskus heilig gesprochenen Mutter Teresa, die Diemer
in diesem Zusammenhang mehrmals getroffen hat. Oder andere Schulen, Kinderheime und Frauenhäuser fast im ganzen Land.
Tätig ist die Indien-Kinderhilfe Oberschwaben aber gelegentlich auf Bitten von Misereor auch in anderen Ländern: Spendengelder gingen so auch an Erdbebenopfer in Nepal, an syrische Flüchtlinge im Libanon. Auch Hilfsorganisationen in Afrika wurde von Bad Wurzach aus unterstützt.
Das Geld, das der Verein in all diese Projekte steckt, stammt vorrangig aus Spenden von Privatpersonen und Unternehmen oder aus Benefizveranstaltungen wie dem jährlichen Sponsorenlauf in Bad Wurzach. Zu einem geringeren Teil finanziert sich die Indien-Kinderhilfe Oberschwaben aus Mitgliedsbeiträgen und aus dem Erlös ihres eigenen, jährlich im Herbst stattfindenden Basars.
Sponsorenlauf und Basar kann es derzeit nicht geben. Umso mehr freut sich Diemer, dass die Spendenbereitschaft der Menschen auch im Corona-Jahr, in dem ja viele selbst Sorgen haben, nicht nachgelassen hat. „Dafür danke ich allen von Herzen“, so Diemer.