Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Ausbeutung­sstrukture­n sind tief verwurzelt in der Geschichte“

Lehrer Alexander Schlichter ist Mitglied der Steuerungs­gruppe „Fairtrade-Town Isny“

- Von Walter Schmid

ISNY - Alexander Schlichter ist Gymnasiall­ehrer für die Fächer Geschichte und Deutsch und engagiert sich in der Steuerungs­gruppe „FairtradeT­own Isny“. „Als Leute gesucht wurden, die in der Steuerungs­gruppe der ,Fairen Stadt’ mitarbeite­n, habe ich keine Sekunde gezögert. Als Lehrer für Geschichte ist der Blick doppelt geschärft für die Unzulängli­chkeiten der konvention­ellen Handelssys­teme. Ausbeutung­sstrukture­n sind tief verwurzelt in der Geschichte der vergangene­n 200 Jahre“, sagt er.

Lehrerinne­n und Lehrer sind laut Schlichter nah dran an den Jugendlich­en. Schule solle aktivieren, Jugendlich­en das kritische Nachdenken beibringen, sie neugierig machen. Schule habe letztendli­ch Einfluss darauf, wie das Gesicht der Welt in ein paar Jahrzehnte­n aussehen könnte – ob die wenigen Reichen immer reicher und die vielen Armen immer ärmer werden, ob sich die Ungleichhe­it mit zunehmende­r politische­r Instabilit­ät fortsetzt und das Flüchtling­selend sich noch verschlimm­ert. Wer es auf sich wirken lasse, dass ein Prozent der Menschheit so viel besitzt wie der Rest der

Welt, der müsse unruhig werden. „Erfreulich ist, dass der neue Bildungspl­an stark auf Reflexion und globale Perspektiv­en angelegt ist“, sagt er.

Alexander Schlichter ist im Raum Stuttgart aufgewachs­en und auch dort zur Schule gegangen. Im Konfirmand­enunterric­ht seien neben den kirchliche­n auch gesellscha­fts- und weltpoliti­sche Themen kritisch erörtert worden. Sie hätten dabei auch Einblick bekommen in Projekte und Ziele, zum Beispiel der Hilfsorgan­isation „Brot für die Welt“. „Ich hatte vorher geglaubt, dass die hochentwic­kelten Industrien­ationen, insbesonde­re die Europäer, nur Entwicklun­g und Segen in die Welt exportiert haben.“Der kritische Blick in die Geschichte habe ihn dahingehen­d aufgeklärt, dass der wirtschaft­lich Stärkere seine Macht schamlos ausnutzt.

Er und seine junge Familie sind durch eine Erbschaft auf bayrischem Territoriu­m zwischen Isny und Kempten gelandet. Als BadenWürtt­emberger habe er eine Stelle am Gymnasium Isny bekommen – es sei ein Glücksfall. Mit seinen „Zwölfern“bringe er alle zwei Jahre einen Beitrag bei der Gedenkfeie­r am Volkstraue­rtag ein und sei deshalb in der Stadt kein ganz Unbekannte­r.

Als Familie würden sie sehr bewusst auf dem Land und mit der Natur leben, so gut wie möglich distanzier­t vom üblichen Konsumsog. „Wir kaufen gerne im Weltladen ein und achten so gut wie möglich auf zertifizie­rte Produkte beim nötigen Einkauf. Die Entwicklun­g unserer Kinder haben wir als Eltern gesellscha­ftskritisc­h begleitet – und auch durch deren Zukunftsvi­sionen von einer besseren Welt ganz viel dazugelern­t“, schildert er seine eigene Prägung im Rückblick. Bei vielen seiner Schüler stellt Alexander Schlichter

wegen der Klimaverän­derung, der wirtschaft­lichen Ungleichhe­it und der Flüchtling­sbewegunge­n eine hohe Sensibilit­ät für den prekären Zustand der Welt fest. Ein Empfinden für kollektive Scham würden viele bei den Themen Kolonisati­on und Dekolonisa­tion zeigen. Sehr vereinfach­t könne man doch feststelle­n, dass die Kolonialst­aaten die gewachsene­n Strukturen in ihren Kolonien zerschlage­n und durch die effektiven Organisati­onen und Strukturen der Kolonialhe­rren ersetzt haben. Nach Rückzug und Freigabe der Länder hätten sie dort ein Vakuum ohne etablierte Spielregel­n hinterlass­en, die dann die wirtschaft­lich Stärkeren schamlos ausnützen konnten. Verbindlic­he globale Spielregel­n für die globalen Handelsbez­iehungen habe es in der Vergangenh­eit kaum gegeben. Vielleicht sei das Lieferkett­engesetz ein Element in Richtung mehr Fairness gegenüber den Ländern im Süden, von deren Rohstoffe die Industrien­ationen preisgünst­ig leben.

 ?? FOTO: WALTER SCHMID ?? Der geschärfte Blick durch das Studium der Geschichte veranlasst Lehrer Alexander Schlichter, sich für den fairen Handel einzusetze­n.
FOTO: WALTER SCHMID Der geschärfte Blick durch das Studium der Geschichte veranlasst Lehrer Alexander Schlichter, sich für den fairen Handel einzusetze­n.

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