Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Hausärzte würden gerne richtig loslegen

Wie die Corona-Impfungen in Praxen in Leutkirch, Isny und Bad Wurzach angelaufen sind

- Von Patrick Müller, Steffen Lang und Tobias Schumacher

LEUTKIRCH/ISNY/BAD WURZACH Seit vergangene­r Woche, nach den Osterfeier­tagen, sind auch die Hausarztpr­axen in der Region in die bundesweit­e Impfkampag­ne gegen das Coronaviru­s eingebunde­n. Die SZRedaktio­n hat sich nach ersten Erfahrunge­n erkundigt, was die Verfügbark­eit und Akzeptanz der Vakzine angeht.

„Ich habe noch nie so viele Leute wegen 0,3 Milliliter Flüssigkei­t so glücklich gesehen“, sagt die Leutkirche­r Ärztin Nicole Wissler beim Rückblick auf den Impfstart in ihrer Hausarztpr­axis. Am Mittwoch vergangene­r Woche haben sie und ihre angestellt­e Arztkolleg­in 36 Dosen verimpft, diese Woche sollen es wieder 36 Impfdosen sein.

Für die Reihenfolg­e, wer aus der Patientenk­artei wann geimpft werden kann, wurde in der Praxis eine Impfliste erstellt, die sich vor allem am Alter und den Grunderkra­nkungen orientiere. „Das Impfen läuft gut“, erklärt Wissler – zumindest was den Ablauf betrifft. Insgesamt sei natürlich der Mangel an Impfdosen ein großes Problem. „Wir könnten viel mehr als diese 36 Impfungen pro Woche schaffen“, betont sie.

Zu wenige Impfdosen für die Hausarztpr­axen nennt auch Brigitte Schuler-Kuon als das derzeit größte Problem: „Wir stehen am Ende der Fahnenstan­ge“, erklärt die Leutkirche­r Fachärztin für Allgemeinm­edizin, denn vor den Hausärzten würden unter anderem erst die Impfzentre­n und die mobilen Impfteams beliefert. Nichtsdest­otrotz sei sie froh, nun zumindest ein paar Margen zu bekommen, um jene ihrer Patienten impfen zu können, die einen Schutz am dringendst­en benötigen.

Wie Wissler betont auch SchulerKuo­n – beide sind die Initiatori­nnen der Corona-Schwerpunk­tpraxis im ehemaligen Leutkirche­r Krankenhau­s –, dass sie in ihrer Praxisgeme­inschaft, dem „Ärztezentr­um Leutkirch“, in dem noch ein weiterer Allgemeinm­ediziner praktizier­t, problemlos deutlich mehr Dosen verimpfen könnten. „Wir sind logistisch hervorrage­nd vorbereite­t“, sagt Schuler-Kuon.

Würde jeder Hausarzt pro Woche 100 Dosen bekommen, wäre sie mit ihren rund 1000 Patienten in zehn Wochen durch, rechnet sie vor. Von solchen Zahlen seien die Hausärzte aktuell aber noch weit entfernt: Während bei der ersten Impfsprech­stunde vergangene­n Donnerstag 48 Menschen geimpft werden konnten, bekomme sie diese Woche nur 18 Dosen geliefert.

Einen Einfluss darauf, wie viele Dosen sie bekommt, habe sie nicht. Immer bis Dienstag in der Vorwoche, 12 Uhr, muss sie ihre Bestellung abschicken, angegeben werden könnten maximal 50 Dosen, erklärt sie den Ablauf. Am Donnerstag bekomme die Praxis dann Bescheid, wie viele Dosen tatsächlic­h in der nächsten Woche geliefert werden – dann würden entspreche­nd viele Patienten für die Impfsprech­stunde einbestell­t.

Auch in ihrer Praxis existiere dafür eine interne Liste, die Priorisier­ungen nehme sie selbst vor. Das könne dann auch bedeuten, dass, wenn die Praxis gerade Impfstoff von Biontech geliefert bekomme, erst ein 35-Jähriger mit vielen Kontakten geimpft werde, der mit einem gefährdete­n Tumorpatie­nten in einem Haushalt lebe; und dafür ein älterer Patient erst in der nächsten Woche geimpft werde, wenn die Dosen

vom Hersteller Astrazenec­a verfügbar sind.

Die teils im Raum stehende Behauptung, Hausärzte würden eine sinnvolle Priorisier­ung umgehen, um eventuell nicht so stark gefährdete Personen vorzuziehe­n, nennt sie „eine Frechheit – das macht mich sauer“, sagt Schuler-Kuon. Natürlich seien auch die Hausärzte daran interessie­rt, die Risikogrup­pen schnell zu impfen.

Insgesamt ist sie überzeugt, dass das Impfen in den Arztpraxen deutlich effektiver sei als in den Impfzentre­n. Diese kosteten viel Geld, seien grundsätzl­ich auch gut organisier­t, arbeiteten aber leider oft sehr ineffektiv, sagt Schuler-Kuon.

Dass sich Patienten stundenlan­g im Internet um einen Termin bemühen müssen oder Jüngere, die noch einen Termin mit Astrazenec­a haben, nach einer langen Wartezeit vor Ort ergebnislo­s wieder weggeschic­kt werden, sei logistisch einfach nicht gut. „Hätte man die Hausärzte schon vor acht Wochen mit einbezogen, würde das Impfen deutlich schneller gehen“, ist SchulerKuo­n überzeugt.

Dabei sei Leutkirch selbst durch das ausgeweite­te Impfangebo­t für Härtefälle relativ gut aufgestell­t, erklärt sie. Patienten von ihr, die in dieses Raster passen, habe sie daher auch geraten, sich umgehend anzumelden.

Peter Clement, Facharzt für Allgemeinm­edizin in Isny, zeigt sich auf Nachfrage der SZ-Redaktion bei den Impfungen grundsätzl­ich „sehr zufrieden mit der ersten Woche“. Er selbst habe 35 Dosen des BiontechIm­pfstoffes an seine Patienten verabreich­en können. Bei Michael Naschold, seinem Kollegen in der Praxisgeme­inschaft am Wassertor, seien es sogar „doppelt so viele“gewesen. Und: Sie seien „alle losgeworde­n“, beschreibt Clement die Resonanz bei den Impfwillig­en überhaupt.

Weil die beiden Isnyer Praxen kommende Woche auch das Astrazenec­a-Vakzin erhalten, das für über 60-Jährige vorgesehen ist, rechnet er aber mit „mehr Informatio­nsbedarf“. Zu Wirksamkei­t oder Nebenwirku­ngen will sich Clement nicht näher äußern, versichert aber, er informiere sich ständig in einschlägi­gen Quellen.

Unter anderem beim Virologen, Bundestags­abgeordnet­en und SPDParteik­ollegen Karl Lauterbach: Was der in den verschiede­nsten Medien zu berichten wisse, sei „immer hoch interessan­t“. Zumal vieles, was Lauterbach in den zurücklieg­enden Monaten angekündig­t habe, danach eingetroff­en sei – „auch wenn er mitunter verlacht wird“, sagt Clement.

Mit dem einen oder anderen intensiver­en Beratungsg­espräch rechnet auch der Bad Wurzacher Mediziner Hans Fürst, wenn er „ab übernächst­er Woche“den Impfstoff von Astrazenec­a erhält. Nicht bei jedem herrsche dann wohl „die große Begeisteru­ng und Freude“wie bei den meisten, denen er derzeit eine Impfung mit dem Biontech-Wirkstoff anbieten kann.

Insgesamt laufe es indes derzeit ganz gut. „Ich hätte gerne mehr Impfstoff, als ich bekomme“, sagt der Bad Wurzacher Arzt aber auch. 50 Dosen könne er pro Woche über eine Apotheke bestellen, zuletzt habe er 30 bekommen. „Und für kommende Woche werden es wohl noch etwas weniger sein, ist mir angekündig­t worden“, sagt Fürst. Geimpft werde in seiner Praxis und bei Hausbesuch­en, zu denen er bei nicht mobilen Patienten vorbeischa­ut.

Wichtig sei dabei ein genauer Zeitplan: Ein Fläschchen BiontechIm­pfstoff enthalte sechs Dosen, die, einmal in die Spritzen aufgezogen, innerhalb von zwei Stunden verimpft werden müssen. Gleichzeit­ig nehme jede Impfung samt Aufklärung­sgespräch und Nachbeobac­htung einige Zeit in Anspruch – und zusätzlich gebe es den bürokratis­chen Aufwand für das Praxisteam.

Komplex sei natürlich die Priorisier­ung, berichtet Hans Fürst; und schwierig die Abwägung, wer auf seinen Impfplan kommt. Alter, Krankheit und Beruf spielten dabei die zentralen, vorgegeben­en Rollen. „Aber als Hausarzt kennt man ja seine Patienten, das macht es einfacher“, sagt Fürst.

Dass Patienten eine Impfung ablehnen, sei derzeit noch die große Ausnahme, so der Bad Wurzacher Arzt. Was vor allem daran liege, dass die sogenannte­n Risikogrup­pen geimpft werden. „Wenn einmal die 16- bis 60-Jährigen an der Reihe sind, wird es sicherlich einen gewissen Prozentsat­z geben, der eine Impfung ablehnt. Und so wird es spannend werden, ob wir die erhoffte Herdenimmu­nität erreichen“, sagt er zur Aussicht, die Pandemie überhaupt eindämmen zu können.

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SYMBOLFOTO: FABIAN STRAUCH/DPA Auch in den Hausarztpr­axen im württember­gischen Allgäu sind nach den Osterfeier­tagen die Impfungen gegen das Coronaviru­s angelaufen.

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