Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Hausärzte würden gerne richtig loslegen
Wie die Corona-Impfungen in Praxen in Leutkirch, Isny und Bad Wurzach angelaufen sind
LEUTKIRCH/ISNY/BAD WURZACH Seit vergangener Woche, nach den Osterfeiertagen, sind auch die Hausarztpraxen in der Region in die bundesweite Impfkampagne gegen das Coronavirus eingebunden. Die SZRedaktion hat sich nach ersten Erfahrungen erkundigt, was die Verfügbarkeit und Akzeptanz der Vakzine angeht.
„Ich habe noch nie so viele Leute wegen 0,3 Milliliter Flüssigkeit so glücklich gesehen“, sagt die Leutkircher Ärztin Nicole Wissler beim Rückblick auf den Impfstart in ihrer Hausarztpraxis. Am Mittwoch vergangener Woche haben sie und ihre angestellte Arztkollegin 36 Dosen verimpft, diese Woche sollen es wieder 36 Impfdosen sein.
Für die Reihenfolge, wer aus der Patientenkartei wann geimpft werden kann, wurde in der Praxis eine Impfliste erstellt, die sich vor allem am Alter und den Grunderkrankungen orientiere. „Das Impfen läuft gut“, erklärt Wissler – zumindest was den Ablauf betrifft. Insgesamt sei natürlich der Mangel an Impfdosen ein großes Problem. „Wir könnten viel mehr als diese 36 Impfungen pro Woche schaffen“, betont sie.
Zu wenige Impfdosen für die Hausarztpraxen nennt auch Brigitte Schuler-Kuon als das derzeit größte Problem: „Wir stehen am Ende der Fahnenstange“, erklärt die Leutkircher Fachärztin für Allgemeinmedizin, denn vor den Hausärzten würden unter anderem erst die Impfzentren und die mobilen Impfteams beliefert. Nichtsdestotrotz sei sie froh, nun zumindest ein paar Margen zu bekommen, um jene ihrer Patienten impfen zu können, die einen Schutz am dringendsten benötigen.
Wie Wissler betont auch SchulerKuon – beide sind die Initiatorinnen der Corona-Schwerpunktpraxis im ehemaligen Leutkircher Krankenhaus –, dass sie in ihrer Praxisgemeinschaft, dem „Ärztezentrum Leutkirch“, in dem noch ein weiterer Allgemeinmediziner praktiziert, problemlos deutlich mehr Dosen verimpfen könnten. „Wir sind logistisch hervorragend vorbereitet“, sagt Schuler-Kuon.
Würde jeder Hausarzt pro Woche 100 Dosen bekommen, wäre sie mit ihren rund 1000 Patienten in zehn Wochen durch, rechnet sie vor. Von solchen Zahlen seien die Hausärzte aktuell aber noch weit entfernt: Während bei der ersten Impfsprechstunde vergangenen Donnerstag 48 Menschen geimpft werden konnten, bekomme sie diese Woche nur 18 Dosen geliefert.
Einen Einfluss darauf, wie viele Dosen sie bekommt, habe sie nicht. Immer bis Dienstag in der Vorwoche, 12 Uhr, muss sie ihre Bestellung abschicken, angegeben werden könnten maximal 50 Dosen, erklärt sie den Ablauf. Am Donnerstag bekomme die Praxis dann Bescheid, wie viele Dosen tatsächlich in der nächsten Woche geliefert werden – dann würden entsprechend viele Patienten für die Impfsprechstunde einbestellt.
Auch in ihrer Praxis existiere dafür eine interne Liste, die Priorisierungen nehme sie selbst vor. Das könne dann auch bedeuten, dass, wenn die Praxis gerade Impfstoff von Biontech geliefert bekomme, erst ein 35-Jähriger mit vielen Kontakten geimpft werde, der mit einem gefährdeten Tumorpatienten in einem Haushalt lebe; und dafür ein älterer Patient erst in der nächsten Woche geimpft werde, wenn die Dosen
vom Hersteller Astrazeneca verfügbar sind.
Die teils im Raum stehende Behauptung, Hausärzte würden eine sinnvolle Priorisierung umgehen, um eventuell nicht so stark gefährdete Personen vorzuziehen, nennt sie „eine Frechheit – das macht mich sauer“, sagt Schuler-Kuon. Natürlich seien auch die Hausärzte daran interessiert, die Risikogruppen schnell zu impfen.
Insgesamt ist sie überzeugt, dass das Impfen in den Arztpraxen deutlich effektiver sei als in den Impfzentren. Diese kosteten viel Geld, seien grundsätzlich auch gut organisiert, arbeiteten aber leider oft sehr ineffektiv, sagt Schuler-Kuon.
Dass sich Patienten stundenlang im Internet um einen Termin bemühen müssen oder Jüngere, die noch einen Termin mit Astrazeneca haben, nach einer langen Wartezeit vor Ort ergebnislos wieder weggeschickt werden, sei logistisch einfach nicht gut. „Hätte man die Hausärzte schon vor acht Wochen mit einbezogen, würde das Impfen deutlich schneller gehen“, ist SchulerKuon überzeugt.
Dabei sei Leutkirch selbst durch das ausgeweitete Impfangebot für Härtefälle relativ gut aufgestellt, erklärt sie. Patienten von ihr, die in dieses Raster passen, habe sie daher auch geraten, sich umgehend anzumelden.
Peter Clement, Facharzt für Allgemeinmedizin in Isny, zeigt sich auf Nachfrage der SZ-Redaktion bei den Impfungen grundsätzlich „sehr zufrieden mit der ersten Woche“. Er selbst habe 35 Dosen des BiontechImpfstoffes an seine Patienten verabreichen können. Bei Michael Naschold, seinem Kollegen in der Praxisgemeinschaft am Wassertor, seien es sogar „doppelt so viele“gewesen. Und: Sie seien „alle losgeworden“, beschreibt Clement die Resonanz bei den Impfwilligen überhaupt.
Weil die beiden Isnyer Praxen kommende Woche auch das Astrazeneca-Vakzin erhalten, das für über 60-Jährige vorgesehen ist, rechnet er aber mit „mehr Informationsbedarf“. Zu Wirksamkeit oder Nebenwirkungen will sich Clement nicht näher äußern, versichert aber, er informiere sich ständig in einschlägigen Quellen.
Unter anderem beim Virologen, Bundestagsabgeordneten und SPDParteikollegen Karl Lauterbach: Was der in den verschiedensten Medien zu berichten wisse, sei „immer hoch interessant“. Zumal vieles, was Lauterbach in den zurückliegenden Monaten angekündigt habe, danach eingetroffen sei – „auch wenn er mitunter verlacht wird“, sagt Clement.
Mit dem einen oder anderen intensiveren Beratungsgespräch rechnet auch der Bad Wurzacher Mediziner Hans Fürst, wenn er „ab übernächster Woche“den Impfstoff von Astrazeneca erhält. Nicht bei jedem herrsche dann wohl „die große Begeisterung und Freude“wie bei den meisten, denen er derzeit eine Impfung mit dem Biontech-Wirkstoff anbieten kann.
Insgesamt laufe es indes derzeit ganz gut. „Ich hätte gerne mehr Impfstoff, als ich bekomme“, sagt der Bad Wurzacher Arzt aber auch. 50 Dosen könne er pro Woche über eine Apotheke bestellen, zuletzt habe er 30 bekommen. „Und für kommende Woche werden es wohl noch etwas weniger sein, ist mir angekündigt worden“, sagt Fürst. Geimpft werde in seiner Praxis und bei Hausbesuchen, zu denen er bei nicht mobilen Patienten vorbeischaut.
Wichtig sei dabei ein genauer Zeitplan: Ein Fläschchen BiontechImpfstoff enthalte sechs Dosen, die, einmal in die Spritzen aufgezogen, innerhalb von zwei Stunden verimpft werden müssen. Gleichzeitig nehme jede Impfung samt Aufklärungsgespräch und Nachbeobachtung einige Zeit in Anspruch – und zusätzlich gebe es den bürokratischen Aufwand für das Praxisteam.
Komplex sei natürlich die Priorisierung, berichtet Hans Fürst; und schwierig die Abwägung, wer auf seinen Impfplan kommt. Alter, Krankheit und Beruf spielten dabei die zentralen, vorgegebenen Rollen. „Aber als Hausarzt kennt man ja seine Patienten, das macht es einfacher“, sagt Fürst.
Dass Patienten eine Impfung ablehnen, sei derzeit noch die große Ausnahme, so der Bad Wurzacher Arzt. Was vor allem daran liege, dass die sogenannten Risikogruppen geimpft werden. „Wenn einmal die 16- bis 60-Jährigen an der Reihe sind, wird es sicherlich einen gewissen Prozentsatz geben, der eine Impfung ablehnt. Und so wird es spannend werden, ob wir die erhoffte Herdenimmunität erreichen“, sagt er zur Aussicht, die Pandemie überhaupt eindämmen zu können.