Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Renaissance des Bäckerhandwerks
Warum Bäckermeister Gerold Heinzelmann die Zukunft positiv sieht – Heute ist der offizielle „Tag des Brotes“
KREIS RAVENSBURG - Die Deutschen lieben Brot. Kein Wunder also, dass dem beliebten Backwerk in der Bundesrepublik seit 2013 einmal im Jahr ein offizieller Tag gewidmet wird. In diesem Jahr ist es der 21. April. Mehr als 3000 unterschiedliche Brotspezialitäten verzeichnet das deutsche Brotregister – eine einzigartige Vielfalt und ein Grund, heute einen besonderen Blick auf das Bäckerhandwerk zu werfen.
Es ist 0.30 Uhr mitten in der Nacht. Wie an jedem Wochentag steht Bäckermeister Gerold Heinzelmann als erster in seiner Backstube in Wolfegg. Vor dem Wochenende schon um 21.30 Uhr, damit die Kunden früh am Morgen ihr geliebtes Brot frisch auf dem Frühstückstisch haben. Seine zwei Bäcker beginnen um 2.30 Uhr, und die drei Auszubildenden kommen ab 4 Uhr. Schon so mancher frühe Nachtschwärmer ist in die heimelig warme Backstube, in der es immer verführerisch nach frischem Brot duftet, gelockt worden. Heinzelmann hat für alle ein offenes Ohr. Er ist mit Leib und Seele Bäcker und führt seine Bäckerei schon seit mehr als 30 Jahren. Er weiß alles über das Bäckerhandwerk. Natürlich auch, dass es hier wie in allen handwerklichen Berufen Nachwuchsmangel gibt. Liegt das an den wirklich sehr frühen Arbeitszeiten? „Unser Beruf wird nicht so offen gesehen, Brot zu machen passiert im Hintergrund“, meint der Obermeister der Innung Ravensburg Werner Leser. Die Arbeitszeiten seien inzwischen, auch coronabedingt, beispielsweise in seinem Betrieb so geändert worden, dass weniger Leute gleichzeitig in der Backstube sind. „Der Teig wird gekühlt und erst am Folgetag gebacken“, erklärt Leser die dadurch mögliche Aufteilung in eine Tag- und eine Nachtschicht. So könne man sich bei den Arbeitszeiten abwechseln.
Momentan sind in drei Lehrjahren im Kreis Ravensburg, Kreis Biberach und dem Bodenseekreis 62 junge Leute in der Bäckerausbildung, 37 Konditoren und 52 Fachverkäuferinnen. Ist das Bäckerhandwerk eine Männerdomäne? „Nein, wir haben im Ausbildungsbereich 30 Prozent Frauen“, so Werner Leser, der zwei Obermeisterinnen als seine Stellvertreterinnen hat. Gerold Heinzelmann, ebenfalls im siebenköpfigen Vorstand
der Innung, bestätigt das. Er hat momentan nur weibliche Auszubildende und ist voll des Lobes. „Das sind alle drei hervorragende Mädle“, meint er.
Eine davon ist Martina Weber aus Waldburg. Sie hat bereits eine abgeschlossene Ausbildung als Groß- und Außenhandelskauffrau und etliche Zeit in einem Metallunternehmen in
Stuttgart gearbeitet. Warum jetzt diese neue, ganz andere Ausbildung? „Das Kreative und Handwerkliche hat mich gelockt, und das ist für mich auch der erste Schritt in meine Selbstständigkeit“, sagt sie. Denn ihr Plan ist die Eröffnung einer eigenen kleinen Bäckerei. Gerold Heinzelmann freut sich darüber und sieht die Zukunft recht positiv. Er ist überzeugt, dass das Bäckerhandwerk in den nächsten Jahren eine Renaissance erleben wird. Das Interesse daran steige. Auch die Voraussetzungen dafür und der Anspruch daran. „Wir haben immer mehr junge Leute mit höherem Bildungsabschluss oder sogar mit Studium“, sagt er zu den Bewerbern. Er bekommt in der Begründung oft zu hören: „Wir wollen einen Beitrag leisten zu mehr natürlichen und unverfälschten Nahrungsmitteln, und das dient auch unserer persönlichen und beruflichen Zufriedenheit.“
Wie in vielen Branchen gibt es allerdings momentan coronabedingt auch Einbrüche in der Bäckereiwirtschaft, aber es halte sich in Grenzen. „Wir sind richtig froh, dass wir systemrelevant sind“, spricht Werner Leser für die 37 Bäckerbetriebe der Innung Ravensburg. Einbrüche gebe es, da die Café-Kunden wegfallen, die Schulen nicht mehr beliefert werden und auch mehr zu Hause, vor allem Kuchen, gebacken wurde. Bei der ersten Corona-Welle im vergangenen Jahr sei auch mehr Brot zu Hause gebacken worden. Jetzt allerdings nicht mehr, das sei wahrscheinlich dem hohen zeitlichen Aufwand geschuldet, den ein gutes Brot einfach braucht. In der Bäckerei Heinzelmann sind inzwischen alle Regale und Körbe mit Broten und Kleingebäck gefüllt, und in der Theke locken die Kuchen. Die Leute stehen Schlange bis auf die Straße und mögen gar nicht daran denken, dass auch ihr Bäcker Heinzelmann altersbedingt einmal in Ruhestand gehen wird. Aber hier scheint die Zukunft gesichert. Er habe so viele gute Bäcker ausgebildet, und viele davon seien inzwischen selbstständig. „Ich versuche an einen jungen Meister weiterzugeben, und da bin ich guter Hoffnung, dass ich jemanden Geeigneten finde“, meint er.