Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Putin verweigert Friedensgespräche für Ostukraine
Leichte Entspannung in Krisenregion Krim – Debatte um mögliches Spitzentreffen zwischen Staatschefs
MOSKAU - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj würde sich gerne mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin treffen, um den Friedensprozess in der Ostukraine wieder in Gang zu bringen. Aber viele Ukrainer halten das für eine schlechte Idee. Und auch der Kreml stellt Vorbedingungen, die von wenig Interesse an einer Zusammenkunft zeugen.
„Warum nicht beim Papst in Rom? „Der Vatikan ist wirklich der ideale Ort für einen Friedensdialog“, sagte Wolodymyr Selenskyj der italienischen Zeitung „La Repubblica“in einem Interview, das am Mittwoch erschien. Der Heilige Stuhl sei ein unvoreingenommener Vermittler, dem alle Konfliktparteien vertrauten.
Russische, aber auch ukrainische Truppenaufmärsche hatten zuletzt international die Besorgnis ausgelöst, dass die Kämpfe im Konfliktgebiet Ostukraine wieder eskalieren könnten. Am vergangenen Freitag begann Russland nach offiziellen Angaben mit dem Abzug von zusätzlich auf der seit 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim verlegten Truppen. Die Ukraine begrüßte das.
Schon in der ersten Aprilhälfte, als im ostukrainischen Kriegsgebiet wieder blutige Kämpfe aufflackerten und Russland Truppen an der ukrainischen Grenze massierte, hatte Selenskyj versucht, Putin anzurufen, der Kreml dementierte hinterher jede ukrainische Anfrage.
Einige Tage später schlug Selenskyj Putin vor, sich an jedem beliebigen Ort im umkämpften und zum Großteil von prorussischen Separatisten
kontrollierten Donbas zu treffen. Putin antwortete, für Friedensgespräche solle sich Selenskyj direkt an die Führer der Rebellenrepubliken Donezk und Luhansk wenden. Aber der Ukrainer könne jederzeit nach Moskau kommen, um das bilaterale Verhältnis zu diskutieren.
Diese Position bekräftigte Kremlsprecher Dmitri Peskow später, sagte aber auch, man sei bezüglich eines Treffens im ständigen Kontakt mit der ukrainischen Seite. Der ukrainische Vizepremier Oleksij Resnikow schloss eine Reise Selenskyjs in die feindliche Hauptstadt aus. Selenskyj aber erklärte, Zeit und Ort des Treffens seien Details, wichtig sei der Inhalt.
Aber gerade dieser Inhalt ist höchst strittig. Selenskyj will den seit sechs Jahren klemmenden Minsker Friedensprozess in einigen Punkten
„modernisieren“, außerdem das Normandie-Format der Verhandlungen erweitern. Bisher waren außer Russland und der Ukraine Deutschland und Frankreich an den Gesprächen beteiligt, Selenskyj redet von weiteren „sehr ernsthaften Akteuren“, namentlich von den USA, Großbritannien und Kanada.
Aber jetzt verpackte Außenminister Sergei Lawrow gegenüber der Agentur RIA Nowosti das russische „Njet“zu allen Änderungen am Format und am Text von Minsk in wenig diplomatische Worte: „Wir dürfen Herrn Selenskyj und seine ganze Mannschaft nicht vom Haken lassen, auch wenn sie zappeln, wie sie können.“
Für Russland, das seine massive militärische Einmischung im Donbas-Krieg seit 2014 hartnäckig dementiert, ist das durchaus widersprüchliche Waffenstillstandsdokument von 2015 das letzte juristische Faustpfand des eigenen politischen Einflusses in der Ukraine. In Moskau gilt es als ausgeschlossen, dass Putin sich Selenskyjs Revisionsvorschläge überhaupt anhören wird. „Demagogie, die darauf setzt, alle anderen für dumm zu verkaufen“, nennt sie der Politologe Wladimir Scharichin gegenüber der Massenzeitung „Komsomolskaja Prawda“.
Aber auch in Kiew herrschen Zweifel am Sinn einer Zusammenkunft Selenskyjs mit Putin. „Wenn Russland grundsätzlich dagegen ist, das Donbas zu verhandeln, ist das Treffen zwecklos“, sagt der Politologe Ihor Rejterowitsch unserer Zeitung. „Mit Russland gibt es keine bilateralen Beziehungen mehr zu bereden, die nicht mit den Konflikten um das Donbas und die Krim zusammenhängen.“Und der politische Talkmaster Dmitri Gordon warnte seinen Präsidenten gegenüber dem russischen Oppositionskanal TV Doschd vor Putin. Selenskyj sei noch immer „mehr guter Mensch als Politiker“, Putin dagegen ein Kannibale. „Ich halte es für einen Fehler, mit einem Menschenfresser zu reden, weil er auch seinen Gesprächspartner auffressen kann.“
Rejterowitsch dagegen glaubt, auch vergebliche Bemühungen um ein Gipfeltreffen könnten für Selenskyj zum Erfolg werden, weil sie Putins Unwillen zu einer Wiederaufnahme der Friedensgespräche zeigten. Kremlsprecher Peskow aber erklärte der ukrainischen Agentur UNIAN, weder der Vatikan noch Russland wüssten offiziell etwas von Selenskys Rom-Plänen. „Ich kann nicht sagen, ob Präsident Putin bereit sein wird, irgendwohin zu reisen.“