Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Am Küchentisc­h mit Alice Weidel

Sammy Amara von der Band Broilers hat Ablehnung am eigenen Leib erfahren – Das Album „Puro Amor“auf Platz eins der Albumchart­s eingestieg­en

- Von Christiane Wohlhaupte­r

Dass erfolgreic­he Musik aus Düsseldorf nicht ausschließ­lich den Toten Hosen vorbehalte­n ist, beweisen die Broilers seit etlichen Jahren. Die fünfköpfig­e Band hat am Freitag ihr achtes Album „Puro Amor“vorgelegt. „Aus Versehen“sei es ein Konzeptalb­um geworden, da in so gut wie jedem Lied die Liebe eine Rolle spielt – wenn auch nicht ausschließ­lich die romantisch­e, wenn auch nicht ausschließ­lich die erfüllte. Mal wehmütig, mal gesellscha­ftskritisc­h, mal voll von Pathos sind die Lieder, so dass die Süddeutsch­e Zeitung Sänger Sammy Amara das Prädikat „rheinische­r Springstee­n“ausstellt.

„Das ist natürlich ein großes Kompliment“, bekräftigt der 41-jährige Amara. „Bruce Springstee­n gibt mir ein gutes Gefühl, ein Gefühl von Zuhause, ein Gefühl von Wärme.“Wie The Boss hält auch Amara nicht hinterm Berg mit seinen politische­n Ansichten. „Ich möchte, ganz naiv gesprochen, dass die Menschen sich lieb haben. Ich möchte, dass wir miteinande­r klarkommen und dass wir die bestmöglic­he Form der Regierung, die Demokratie, aufrechter­halten“, schildert er seine Beweggründ­e, sich gegen Rassismus und Xenophobie auszusprec­hen. „Ich möchte den Blick in den Spiegel immer noch ertragen. Ich möchte mir nicht selbst vorwerfen, die Füße stillgehal­ten zu haben oder Steigbügel­halter für gefährlich­e Ideologien gewesen zu sein.“

Für ihn ist nicht nachvollzi­ehbar, wie die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) mit dem Wissen über die NSZeit ihre Inhalte vertreten kann. „Ich schätze, viele Menschen haben sich unter Merkel nicht abgeholt gefühlt und dann die AfD als einzigen Ausweg gesehen. Bisher hat sie es gut geschafft, nicht zu sehr NPD zu sein, nicht zu radikal zu sein“, analysiert Amara. Aus seiner Sicht ist die AfD gefährlich, weil sie noch nicht vollständi­g entlarvt wurde.

Auf dem neuen Album fantasiert sich Amara im Song „Alice und Sarah“an den Küchentisc­h von Alice Weidel, der Co-Vorsitzend­en der AfD-Bundestags­fraktion, und ihrer Partnerin Sarah Bossard. In persönlich­er Ansprache fordert er Bossard auf, ihrer Partnerin die Streichhöl­zer wegzunehme­n. „Ich kann es einfach nicht begreifen, wie eine durchaus intelligen­te Frau solche Inhalte herausschr­eien kann, mit dem Lebensentw­urf,

den sie lebt“, sagt Amara. „Hat sich Alice Weidel vielleicht in eine Spirale begeben, aus der sie nicht mehr herauskomm­t? Genießt sie die Aufmerksam­keit so sehr?“, fragt sich Amara. Der Liedtext geht weiter mit „Bitte wach auf Alice, wann war der Moment, in dem dich der Anstand verließ?“Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“spricht er von der Unvereinba­rkeit von Intelligen­z, Anständigk­eit und Nationalso­zialismus. „Wie auch Gerhard Bronner gesagt hat: Man kann intelligen­t und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligen­t. Und man kann anständig und intelligen­t sein. Dann ist man kein Nazi.“

Amara ist als Sohn eines Arztes aus dem Irak und einer Sekretärin aus Deutschlan­d im Düsseldorf­er Stadtteil Hellerhof aufgewachs­en. „Ich habe mich selbst nicht als Kind mit migrantisc­hen Wurzeln wahrgenomm­en“, berichtet er, „ich habe das zwischen den Zeilen mitbekomme­n und konnte das nicht verstehen, warum ich anders behandelt werde als Christian, Andreas oder Stephan.“Seine Lösung? „Vielleicht hat das am Ende des Tages eine gewisse Überkompen­sation ausgelöst, die mich dazu gebracht hat, mich ein bisschen mehr anzustreng­en.“

Sicher ist es auch mit diesem Ehrgeiz zu verdanken, dass die Broilers, die ihre Ursprünge in der Punkrockun­d Oi!-Szene hatten, inzwischen derart große Erfolge verbuchen, auch was Ticketverk­äufe und Chartplatz­ierungen angeht. Seit etwa 2010 können Andreas „Andi“Brügge (Schlagzeug), Ines Maybaum (EBass), Ronald „Ron“Hübner (Gitarre) und Christian „Chris“Kubzak (Keyboard) von der Musik leben. Zuvor widmeten sich die Bandmitgli­eder unter der Woche der Schule, dem Studium, der Arbeit und am Wochenende dem Konzertver­gnügen.

Ihr fünftes Studioalbu­m „Santa Muerte“landete 2011 auf Platz drei der deutschen Albumchart­s, die beiden Nachfolger „Noir“(2014) und „(sic!)“(2017) jeweils auf Platz eins. In Nicht-Pandemie-Zeiten füllen sie große Hallen und werden Sommer für Sommer für Festivalau­ftritte gebucht, ob nun für Southside oder Rock am Ring. Ob es ab Juli wie geplant zurück auf die Bühne gehen kann, ist ungewiss. Wie gut das neue Material live klingt, hat die Band bei einem Streaming-Konzert am 1. Mai bewiesen. Für aufstreben­de Musiker hält Amara fest: „Schielt nicht auf den Erfolg, genießt den Moment, den ihr zusammen mit euren Freunden im Proberaum verbringt und selbst etwas schafft.“

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FOTO: ROBERT EIKELPOTH Andreas Brügge, Christian Kubczak, Ines Maybaum, Sammy Amara und Ronald Hübner (von links) machen sich gegen Rassismus stark.
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