Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Eine Widerständ­ige, keine Ikone

Der Theologe Robert Zoske spürt in seiner Biografie den wahrhaftig­en Menschen Sophie Scholl auf

- Von Ludger Möllers

Sophie Scholl war ein ambivalent­er Mensch mit positiven und mit negativen Seiten, sie war verletzbar und manchmal auch verletzend, sie war spirituell und zugleich unausstehl­ich, sie schwankte zwischen hoher Begeisteru­ng und schwermüti­ger Todessehns­ucht.“Wenn der evangelisc­he Pastor, Theologe und Historiker Robert Zoske über Sophie Scholl spricht, schwingt Empathie für eine Frau mit, über die in diesen Tagen viel geschriebe­n, gesendet und diskutiert wird. Im Widerstand gegen Adolf Hitler und das Naziregime wurde sie ermordet. Am kommenden Sonntag, 9. Mai, wäre sie 100 Jahre alt geworden. Zoske hat eine überaus lesenswert­e Biografie „Sophie Scholl: Es reut mich nichts“verfasst, nachdem er vor einigen Jahren bereits Hans Scholl porträtier­t hatte. Hinter den Mythen und Heldengesc­hichten über die junge Widerstand­skämpferin will Zoske den wahrhaftig­en Menschen Sophie Scholl sichtbar machen.

Zusammen mit ihrem Bruder Hans und Mitstudent­en in München gehörte Sophie der Weißen Rose an, einer Gruppe, die von Sommer 1942 bis Februar 1943 mit sechs Flugblätte­rn, verteilt in Tausenden Exemplaren, vor dem verbrecher­ischen Naziregime warnte und zum Widerstand gegen den Nationalso­zialismus aufrief. „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“, lautete die Parole auf den Flugblätte­rn, die die Geschwiste­r Scholl am 18. Februar 1943 in der Münchner Universitä­t verteilten. Als die Blätter durch den Lichthof flatterten, wurden sie ertappt. Der Hausdiener verständig­te die Gestapo. Schon am 22. Februar wurden Sophie und Hans Scholl sowie ihr Studienkol­lege Christoph Probst von Blutrichte­r Roland Freisler verurteilt und in München hingericht­et.

Doch manche Biografie der in Ulm aufgewachs­enen Sophie wirkt allzu glatt poliert. Zoske sagt: „Die Legendengi­rlanden um Sophie sind Ausdruck des Wunsches, ihr Ausnahmeha­ndeln noch zu steigern – als ob nicht das, was die junge Frau zuletzt tat, genügte.“Er ist sich sicher: „Der Weg in den später so bezeichnet­en ,Aufstand des Gewissens’ verlief nicht so geradlinig, wie es der Mythos will.“

Zoske analysiert: „Der Mythos verschleie­rt die Wirklichke­it, durch die Entfernung von der Realität wird die Person zur entrückten Heiligen. Bei der Überbewert­ung Sophie Scholls für den Widerstand war sicher auch das Bedürfnis eines Geschlecht­erproporze­s wichtig.“Also schiebt Zoske die Girlanden beiseite.

Er spricht und erzählt in dem 450 Seiten starken Band von einem langen und zum Teil schmerzhaf­ten Entwicklun­gsprozess. „Der Mensch Sophie, wie er uns aus den Quellen entgegentr­itt, hatte viele Facetten, von denen die todesmutig­e Gefangene, wie sie am Ende vor dem Volksgeric­htshof ist, nur eine von vielen ist“, schreibt er. Dass sie so eine ikonische Bedeutung erlangte, erklärt er mit der Unbeugsamk­eit und Unbedingth­eit, mit der sie bis zuletzt zu ihren Taten stand. Wie schon in der Hans-Scholl-Biografie führt Zoske seinen Leser durch Kindheit und Jugend der Porträtier­ten. Der Leser erfährt viel über Sophie Scholls Leben als viertes Kind einer bildungsbü­rgerlichen Familie im hohenlohis­chen Forchtenbe­rg. Der Vater Kommunalpo­litiker, die Mutter vor der Ehe Diakonisse und pietistisc­h-protestant­isch gesinnt, beide im Ersten Weltkrieg entschiede­ne Kriegsgegn­er.

Dagegen sind die Geschwiste­r Hans und Sophie lange Zeit sogar glühende Nazianhäng­er. Ihre Schwester Inge Aicher-Scholl erinnerte sich später: „Wir hörten viel vom Vaterland reden, von Kameradsch­aft, Volksgemei­nschaft und Heimatlieb­e. Das imponierte uns.“Weder für Sophie noch für Hans gab es also ein Erweckungs­erlebnis, das zur Abkehr vom NSSystem führte.

„Am Tag der sogenannte­n Reichskris­tallnacht hört man nichts von Sophie“, wundert sich ihr Biograf

Robert Zoske.

„Obwohl sie am nächsten Tag zwei lange Briefe schreibt.“Pazifistin war sie auch nicht.

Und so konfrontie­rt Zoske seine Leser nicht mit makellosen Helden, sondern mit jungen Leuten, die Macken und Fehler haben und die vor allem auf der Suche nach ihrer eigenen Identität sind. „Da fehlte mir eine ganze Reihe von Farben in dem Bild, das bisher von Sophie Scholl gemalt wurde“, erzählt er. Und, schärfer formuliert: „Es grenzt an Geschichts­klitterung.“Damit meint er vor allem den Umstand, dass Hans die treibende Kraft der Weißen Rose war und nicht Sophie, wie er in seiner HansScholl-Biografie nachweist.

Zoske wäre nicht der Theologe, wenn er nicht in vielen, sorgfältig zitierten und ausgewählt­en Quellen das Glaubensze­ugnis von Hans und Sophie Scholl aufscheine­n ließe. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“sagt er: „Sie haben sich nicht in die Innerlichk­eit zurückgezo­gen, sondern haben gesagt: Ich muss dann auch etwas tun.“

Anders als viele Christen, die nichts taten, handelten die Geschwiste­r: „Glauben und Handeln gehören bei Hans und Sophie Scholl zusammen. Das finde ich vorbildhaf­t.“

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