Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Das Digitale ist kein Ersatz für das Analoge“
Wie die Jugendmusikschule Württembergisches Allgäu durch die Krise kommt
KREIS RAVENSBURG - Singen und Musizieren mit anderen oder mal ein Livekonzert: Vielen Menschen fehlt das musikalische Leben. Auch die Jugendmusikschule Württembergisches Allgäu mit Sitz in Wangen ist seit Mitte Dezember im Lockdown. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit Schulleiter Hans Wagner über die momentane Situation und die neue Unterrichtspraxis an der JMS gesprochen.
Zur aktuellen Lage sagt Wagner: „Wir sind natürlich belastet wie alle anderen auch. Langsam wird es zermürbend wie für alle gesellschaftlichen Bereiche.“Am Anfang des Lockdowns sei man noch mit viel Kreativität und Spaß an die Entwicklung digitaler Formate herangegangen, doch mittlerweile sei der Begeisterungseffekt auf allen Seiten abgeflaut.
Der Musikunterricht findet nun überwiegend über Online-Videokonferenzen statt. Zudem gibt es die Möglichkeit, dass Schüler ihr Musizieren aufnehmen und der Musikschullehrer anhand des Videos Probleme und Verbesserungen aufzeigt. „Wir sind im regen Austausch, wir können damit umgehen. Aber selbst in langer Zeit noch so ausgeklügelte digitale Angebote können das Physische nicht im Mindesten ersetzen.“
Die Einschränkungen beim Online-Unterricht seien auch in den Musikschulen sichtbar: „Von der Beziehungsebene abgesehen, sind die Klangbilder einer Trompete oder Geige online anders als live“, sagt Wagner. Aus diesem Grund empfiehlt die Jugendmusikschule auch keinen Einstieg in ein Instrument per Digitalunterricht. Bei älteren Schülern oder Erwachsenen könne man online beginnen, doch je jünger die Schüler seien, desto weniger konstruktiv sei solch ein Einstieg, so der JMS-Leiter. „Es gibt im Internet Angebote von Lehrern, die das machen, aber für uns ist das keine annehmbare Qualität des Lernfortschritts und des pädagogischen Anspruchs.“
Beim Nachwuchs der Musikschule gibt es – einigermaßen überraschend – positive Nachrichten: „Wir haben erstaunlicherweise eine tendenziell gute Anmeldelage, fast höher als in den Vorjahren. Das Interesse in der Pandemie-Zeit scheint sich fortzusetzen“, berichtet Wagner. Als Ursache hierfür vermutet er, dass durch die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche für viele ein neuer Blick auf das Präsente gewonnen wurde. „Das Digitale ist kein Ersatz für das Analoge. Das Echte hat in der gesellschaftlichen Wahrnehmung einen anderen Stellenwert.“Das zeige sich an der Musik, die vom eigenen Erleben lebe und mit der Freude des Publikums doppelt gehaltvoll sei.
Aber auch andere Bereiche sind im Musikschulleben aktuell eingeschränkt: Chöre, Orchester und Ensembles könnten nicht proben, da das gemeinsame digitale Musizieren aufgrund der Infrastruktur nicht funktioniere. Und: Oft hätten die Schüler Internetprobleme. Die musikalische Früherziehung sei ebenfalls nur in Präsenzform möglich.
Die Situation wirkt sich laut Wagner auch die Motivation der Schüler aus: „Die Schüler können ihre Arbeitsergebnisse nicht bei Konzerten präsentieren, das nagt an der Motivation, da sie nun kein Ziel mehr haben, auf das sie hinarbeiten können.“Deshalb finde beispielsweise der Musikwettbewerb „Jugend musiziert“dieses Jahr online statt. Dennoch gebe es eine „beeindruckende Solidarität“der Musikschulbesucher, da keine nennenswerte Zahl an Abgängern festzustellen sei. „Wir haben zwei Säulen der Krisenbewältigung: die Solidarität unserer Kunden und die Innovationskraft und Kreativität der Belegschaft, die online alles probiert haben“, sagt Wagner. „Das stützt uns im Moment und lässt uns mit Zuversicht in die nächste Zeit gehen.“
Auch finanziell: Bisher sei die Jugendmusikschule betriebswirtschaftlich relativ gut durch die Krise gekommen. Alle Arbeitsplätze sind laut dem JMS-Leiter erhalten worden. Vielleicht noch wichtiger: Mit dem jüngst vom Land veröffentlichten, möglichen Zeitplan zu Lockerungen bei weiter sinkenden Inzidenzzahlen scheint auch für Musikschulen sowie bei Konzerten und Veranstaltungen das Licht am Ende des Tunnels sichtbarer zu werden.