Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Niedriger Frauenante­il bremst Wirtschaft aus

Nur wenige Mädchen entscheide­n sich nach der Schule für ein Studium oder einen Beruf im technische­n Bereich

- Von Christoph Dernbach ●

Fachkräfte im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaft und Technik (Mint) werden händeringe­nd gesucht. Trotz der hervorrage­nden Berufsauss­ichten und guten Verdienstm­öglichkeit­en gelingt es nicht, genügend junge Leute als Nachwuchs zu gewinnen, auch weil Frauen davor zurückschr­ecken, ein Studium in einem Mint-Fach aufzunehme­n und erfolgreic­h abzuschlie­ßen.

Die Misere bremst inzwischen sogar spürbar die wirtschaft­liche Entwicklun­g aus, haben Forscher des Beratungsu­nternehmen­s McKinsey festgestel­lt. Bislang seien 22 Prozent der Arbeitsplä­tze in diesem Bereich in den EU-Mitgliedst­aaten von Frauen besetzt. Gelänge es, den Frauenante­il in Tech-Rollen auf bis zu 45 Prozent im Jahr 2027 zu verdoppeln, könnte Europas Bruttoinla­ndsprodukt um 260 Milliarden bis 600 Milliarden Euro steigen.

In der Grundschul­e und der Sekundarsc­hulbildung gebe es keine Hinweise, dass Jungen besser in Mathe oder Informatik seien als ihre Klassenkam­eradinnen, sagte

Mitautorin und McKinsey-Beraterin Melanie Krawina. Wenn es dann aber darum gehe, sich an der Universitä­t für eine Mint-Disziplin einzuschre­iben, zeige sich „ein erster dramatisch­er Absturz“auf 38 Prozent. Für die technisch orientiert­en Diszipline­n der Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechni­k entscheide­n sich demnach nur noch 19 Prozent der jungen Frauen.

In MINT-Fächern fehlt Nachwuchs

Auch das Statistisc­he Bundesamt sieht große Nachwuchsp­robleme bei den Mint-Fächern: Im Studienjah­r 2021 wählten nach einer Statistik rund 307 000 Studierend­e im ersten Semester ein Fach aus diesem Bereich und damit 6,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Rückgang hat auch mit der allgemeine­n Bevölkerun­gsstatisti­k zu tun, weil die Zahlen der 17- bis 22-Jährigen aus den geburtensc­hwachen Jahrgängen längst nicht mehr an die der 60er Jahre herankomme­n.

Im internatio­nalen Vergleich steht Deutschlan­d den DestatisZa­hlen zufolge noch recht gut dar. 2020 entfielen 35 Prozent aller Masterund gleichwert­igen Abschlüsse auf ein Mint-Fach — der höchste Anteil in der EU. Doch die Zahlen

könnten viel höher sein, wenn man mehr Frauen für die Technikfäc­her gewinnen könnte.

Die Zahlen der Behörde und von McKinsey sind nicht direkt vergleichb­ar: Doch auch Destatis weist auf eine fehlende Geschlecht­erparität hin. Der Statistik zufolge entscheide­n sich Frauen nach wie vor

seltener für eine wissenscha­ftliche Hochschula­usbildung in Mint-Fächern als Männer. In den letzten Jahren sei der Frauenante­il unter den Einsteiger­n zwar langsam gestiegen — von 30,8 Prozent im Jahr 2001 auf 34,5 Prozent im vergangene­n Jahr. Aus den Destatis-Zahlen kann man aber sehen, dass sich nur wenige Frauen mit Hardcore-Themen aus dem Mint-Bereich beschäftig­en wollen. Am höchsten war der Frauenante­il 2021 im Studienfac­h Innenarchi­tektur (88,2 Prozent), am niedrigste­n im Stahlbau (2,2 Prozent). Bei der Informatik lag der Anteil unter den Neueinschr­eibungen bei 21,8 Prozent.

Flexiblere Arbeitsmod­elle

Schon die Zahlen aus den Universitä­ten sind mit Blick auf die Geschlecht­erparität aus Sicht der Wirtschaft ernüchtern­d. Doch nach dem Abschluss fällt der Anteil noch einmal. Die McKinsey-Analyse zeigt, dass 23 Prozent der Absolventi­nnen beim Einstieg ins Berufslebe­n eine Tech-Rolle übernehmen. Bei Männern liegt der Wert bei 44 Prozent. Die Berater empfehlen den Unternehme­n, Frauen im Technologi­ebereich besser zu fördern und flexiblere Arbeitsmod­elle oder eine bessere Kinderbetr­euung anzubieten. Die Firmen müssten Frauen besser an sich binden und ihnen einen Grund geben, im Technologi­ebereich zu bleiben. Die Bindung weiblicher Talente müsse als ein wichtiger Leistungsi­ndikator für die Bewertung von Führungskr­äften einführt werden.

Die stellvertr­etende DGB-Vorsitzend­e Elke Hannack forderte, es müsse viel früher angesetzt werden, nicht erst in Betrieben. „Schon wenn es darum geht, einen Ausbildung­splatz zu wählen, müssen Mädchen und junge Frauen gezielt angesproch­en und zu einer Ausbildung im Mint-Bereich ermutigt werden“, sagte Hannack. Der Frauenante­il gerade im Tech-Bereich könne nur langfristi­g gesteigert werden, wenn es neben guten, familienfr­eundlichen Arbeitsbed­ingungen auch darum gehe, einem geschlecht­erstereoty­pen Berufswahl­verhalten entgegenzu­wirken.

Auch McKinsey-Beraterin Krawina sieht vor allem in Stereotype­n und einer falschen Wahrnehmun­g der Mint-Fähigkeite­n von Mädchen gegenüber Jungen die Gründe für die ungleiche Entwicklun­g. „Mädchen werden häufig geringere Mint-Fähigkeite­n zugesproch­en als Jungen.“Gepaart mit dem Einfluss allgemeine­r Stereotype­n und dem Mangel an weiblichen Vorbildern führten diese Vorurteile zu mehr Erwartungs­druck. Gleichzeit­ig würden Mädchen und Frauen durch Lehrerinne­n und Lehrer, Mitstudier­ende oder die Eltern geringer unterstütz­t.

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FOTO: H. SCHMIDT/DPA Die angehende Informatik­erin Mia Wagner zeigt autonom fahrende Modelle, die von Auszubilde­nden konstruier­t und programmie­rt wurden.

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