Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Es wird leider den großen Knall brauchen“
Ellio Schneider, Chef der Waldburg-Zeil Kliniken, über Krankenhaus-Sterben, wirtschaftliches Arbeiten und die Versorgung der Patienten
- Der Chef der WaldburgZeil Kliniken befürchtet ein Krankenhaus-Sterben. Warum laut Ellio Schneider wirtschaftliches Arbeiten derzeit bestraft wird und wie er die Versorgung der Patienten verbessern würde.
Seit Jahren wird in Deutschland über die Krankenhausreform diskutiert – ohne greifbares Ergebnis. Doktert der Bund bei den großen Gesundheitsthemen nur an Symptomen herum?
Ellio Schneider: Es hätte schon lange vieles verändert gehört. Es ist ein Fehler, alles zentral von Berlin aus regeln zu wollen. Wir haben nun mal im Allgäu andere Verhältnisse als zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass etwas groß angekündigt wird, aber nicht überdacht und finanziert ist. Und die Betroffenen werden nicht eingebunden. Allgemein bekannt ist, dass am Wochenende neun von zehn Patienten in der Notaufnahme sitzen, weil sie keinen Termin beim Fach- oder Hausarzt bekommen haben. Aber keiner unternimmt etwas dagegen.
Auch im Allgäu verändert sich die Krankenhaus-Landschaft. Wie wird es Ihrer Meinung nach mit der Lindenberger Rotkreuzklinik weitergehen, die Insolvenz anmelden musste?
Schneider: Die Rotkreuzklinik wird ihr Leistungsspektrum erheblich reduzieren müssen und damit mehr in den ambulanten Bereich „verschwinden“, wenn sie weiterhin besteht. Auch sie ist ein Opfer der verfehlten Berliner Gesundheitspolitik.
Finanzielle Probleme plagen viele Häuser. Wie wird sich das auf die übrigen Akutkliniken in der Region auswirken, drohen Schließungen?
Schneider: Schließungen haben ja bereits stattgefunden: Leutkirch, Isny, Bad Waldsee. Weitere Kliniken haben gerade erhebliche
Probleme mit der Auslastung und geraten weiter in Schieflage. Die Schließungen sind von Gesundheitsminister Karl Lauterbach politisch gewollt und finden zwischenzeitlich faktisch täglich statt.
Zu den Problemen der Krankenhäuser gehört auch der Facharzt-Mangel. Was kann man dagegen unternehmen?
Schneider: Wir müssen aufhören, Menschen zu 100 Prozent überprüfen zu wollen. Wir führen Kontrollorganisationen wie den Medizinischen Dienst ein. Und wenn wir unter 1000 Ärzten einen finden, der eine falsche Rechnung geschrieben hat, dann gelten gleich alle als Abrechnungsbetrüger. Fehlendes Vertrauen führt zu Übergriffigkeit. Im Grunde haben wir keinen Fachkräfte-Mangel, sondern das Problem, dass wir die ausgebildeten Fachkräfte mit falschen Aufgaben betrauen – zum Beispiel mit der Dokumentation medizinischer Leistungen. Und es geht noch weiter: Wenn ich die geforderte Qualität erbringe, aber dafür weniger Ärzte als formell gefordert benötige, wird das Budget gekürzt. So entsteht kein Anreiz für Änderungen.
Was meinen Sie damit?
Schneider: Ein Beispiel: Die Vorgaben sehen für eine bestimmte Klinik 17 Ärzte vor. Eine Klinik schafft das aber mit zehn Ärzten, zwei Therapeuten und fünf Pflegekräften. Die Kosten liegen dann angenommen um eine halbe Million Euro niedriger. Da die
Klinik aber die Vorgaben aus Berlin nicht erfüllt hat, kann es passieren, dass sie künftig finanziell schlechter gestellt wird.
Was würden Sie ändern, wenn Sie frei entscheiden könnten?
Schneider: Ich würde die Berufsgruppen so zusammensetzen, dass der Patient das optimale Ergebnis bekommt. Das unterscheidet sich teilweise gravierend von den Vorstellungen der Krankenkassen, der Rentenversicherung und der Politik. Es hat keinen Sinn, allen Häusern Vorgaben zu machen, die vielleicht für irgendeine Klinik in Deutschland stimmen. Denn das eigene Haus hat möglicherweise ganz andere Besonderheiten. Ich habe hier und dort fünf Ärzte: Die einen haben viel Berufserfahrung, die anderen deutlich weniger. Der eine wurde eben erst Oberarzt, der andere macht es seit 20 Jahren. Das kann man so doch überhaupt nicht regeln. Den Einsatz des Personals und die Verteilung der Aufgaben muss derjenige übernehmen, der vor Ort die Verantwortung trägt. So ist es im Rest von Europa.
Wie könnte man die Finanznot im Gesundheitswesen entschärfen?
Schneider: Zunächst einmal braucht das Gesundheitswesen deshalb so viel Geld, weil wir so viele unsinnige Vorgaben haben. Ich muss doch überlegen, wie ich ein definiertes Ergebnis mit weniger Ressourcen erreichen kann – ohne dabei die Leistung einzuschränken. Zum Beispiel muss kein Akademiker eine Aufgabe ausführen, die auch eine Hilfskraft übernehmen kann. Das Problem ist, dass solche Sachverhalte der Politik schwer vermittelbar sind. Von den über 700 Bundestagsabgeordneten sind bestimmt 650 verdammt weit weg von der Praxis. In Berlin reden die Theoretiker mit den Halbtheoretikern und die Menschen aus der Praxis sind außen vor. Aus ideologischen und parteipolitischen Gründen wollen wir keine Veränderungen.
Viele Kontrollen und viel Bürokratie machen die Jobs in Kliniken nicht attraktiver. Wie können die Häuser den Kampf gegen den Arbeitskräfte-Mangel bestehen?
Schneider: Meine Philosophie ist, dass ich mich als Chef den Arbeitsmethoden meiner Mitarbeiter anpasse. Dann kann ich etwas erreichen und zum Beispiel Arbeitskräfte aus dem Ausland integrieren. Bei den Waldburg-Zeil Kliniken arbeiten Menschen aus 66 Nationen. Wenn sie alle englisch sprechen, müssen wir Deutsche überlegen, ob wir in betriebsinternen Arbeitsgruppen ebenfalls englisch sprechen. So könnte deren Integration schneller gelingen.
Warum machen die Kliniken in der öffentlichen Diskussion nicht stärker auf sich aufmerksam?
Schneider: Zum einen befinden wir uns, angefangen bei Corona, seit Jahren im Krisenmodus. Zum anderen sind die Interessen aufgrund unterschiedlicher Größen und Gesellschafter-Strukturen ganz unterschiedlich. Es wird leider den großen Knall brauchen, damit man die Scherben wieder mit Klebstoff zusammenfügt.
Was könnte dieser Knall sein?
Schneider: Es verschwinden mehr Kliniken, als gut ist. Man muss dann überlegen, was man wirklich braucht. Wir haben teilweise die falschen Angebote. Wir haben in einer Region zu viel Orthopädie, aber es fehlen psychosomatische Angebote. Doch aus Angst vor einer Wahlniederlage scheuen sich Kommunalpolitiker davor, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.
Was wäre aus Ihrer Sicht die richtige Konsequenz?
Schneider: Nicht Landrat und Kreistag dürfen entscheiden, sondern Chefärzte und kaufmännische Geschäftsführer müssen miteinander reden. Sonst kommen wir keinen Meter vorwärts und die Versorgung der Bevölkerung bleibt auf der Strecke.