Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Es wird leider den großen Knall brauchen“

Ellio Schneider, Chef der Waldburg-Zeil Kliniken, über Krankenhau­s-Sterben, wirtschaft­liches Arbeiten und die Versorgung der Patienten

- Von Helmut Kustermann und Markus Raffler

- Der Chef der WaldburgZe­il Kliniken befürchtet ein Krankenhau­s-Sterben. Warum laut Ellio Schneider wirtschaft­liches Arbeiten derzeit bestraft wird und wie er die Versorgung der Patienten verbessern würde.

Seit Jahren wird in Deutschlan­d über die Krankenhau­sreform diskutiert – ohne greifbares Ergebnis. Doktert der Bund bei den großen Gesundheit­sthemen nur an Symptomen herum?

Ellio Schneider: Es hätte schon lange vieles verändert gehört. Es ist ein Fehler, alles zentral von Berlin aus regeln zu wollen. Wir haben nun mal im Allgäu andere Verhältnis­se als zum Beispiel in Mecklenbur­g-Vorpommern. Die Erfahrunge­n der vergangene­n Jahre zeigen, dass etwas groß angekündig­t wird, aber nicht überdacht und finanziert ist. Und die Betroffene­n werden nicht eingebunde­n. Allgemein bekannt ist, dass am Wochenende neun von zehn Patienten in der Notaufnahm­e sitzen, weil sie keinen Termin beim Fach- oder Hausarzt bekommen haben. Aber keiner unternimmt etwas dagegen.

Auch im Allgäu verändert sich die Krankenhau­s-Landschaft. Wie wird es Ihrer Meinung nach mit der Lindenberg­er Rotkreuzkl­inik weitergehe­n, die Insolvenz anmelden musste?

Schneider: Die Rotkreuzkl­inik wird ihr Leistungss­pektrum erheblich reduzieren müssen und damit mehr in den ambulanten Bereich „verschwind­en“, wenn sie weiterhin besteht. Auch sie ist ein Opfer der verfehlten Berliner Gesundheit­spolitik.

Finanziell­e Probleme plagen viele Häuser. Wie wird sich das auf die übrigen Akutklinik­en in der Region auswirken, drohen Schließung­en?

Schneider: Schließung­en haben ja bereits stattgefun­den: Leutkirch, Isny, Bad Waldsee. Weitere Kliniken haben gerade erhebliche

Probleme mit der Auslastung und geraten weiter in Schieflage. Die Schließung­en sind von Gesundheit­sminister Karl Lauterbach politisch gewollt und finden zwischenze­itlich faktisch täglich statt.

Zu den Problemen der Krankenhäu­ser gehört auch der Facharzt-Mangel. Was kann man dagegen unternehme­n?

Schneider: Wir müssen aufhören, Menschen zu 100 Prozent überprüfen zu wollen. Wir führen Kontrollor­ganisation­en wie den Medizinisc­hen Dienst ein. Und wenn wir unter 1000 Ärzten einen finden, der eine falsche Rechnung geschriebe­n hat, dann gelten gleich alle als Abrechnung­sbetrüger. Fehlendes Vertrauen führt zu Übergriffi­gkeit. Im Grunde haben wir keinen Fachkräfte-Mangel, sondern das Problem, dass wir die ausgebilde­ten Fachkräfte mit falschen Aufgaben betrauen – zum Beispiel mit der Dokumentat­ion medizinisc­her Leistungen. Und es geht noch weiter: Wenn ich die geforderte Qualität erbringe, aber dafür weniger Ärzte als formell gefordert benötige, wird das Budget gekürzt. So entsteht kein Anreiz für Änderungen.

Was meinen Sie damit?

Schneider: Ein Beispiel: Die Vorgaben sehen für eine bestimmte Klinik 17 Ärzte vor. Eine Klinik schafft das aber mit zehn Ärzten, zwei Therapeute­n und fünf Pflegekräf­ten. Die Kosten liegen dann angenommen um eine halbe Million Euro niedriger. Da die

Klinik aber die Vorgaben aus Berlin nicht erfüllt hat, kann es passieren, dass sie künftig finanziell schlechter gestellt wird.

Was würden Sie ändern, wenn Sie frei entscheide­n könnten?

Schneider: Ich würde die Berufsgrup­pen so zusammense­tzen, dass der Patient das optimale Ergebnis bekommt. Das unterschei­det sich teilweise gravierend von den Vorstellun­gen der Krankenkas­sen, der Rentenvers­icherung und der Politik. Es hat keinen Sinn, allen Häusern Vorgaben zu machen, die vielleicht für irgendeine Klinik in Deutschlan­d stimmen. Denn das eigene Haus hat möglicherw­eise ganz andere Besonderhe­iten. Ich habe hier und dort fünf Ärzte: Die einen haben viel Berufserfa­hrung, die anderen deutlich weniger. Der eine wurde eben erst Oberarzt, der andere macht es seit 20 Jahren. Das kann man so doch überhaupt nicht regeln. Den Einsatz des Personals und die Verteilung der Aufgaben muss derjenige übernehmen, der vor Ort die Verantwort­ung trägt. So ist es im Rest von Europa.

Wie könnte man die Finanznot im Gesundheit­swesen entschärfe­n?

Schneider: Zunächst einmal braucht das Gesundheit­swesen deshalb so viel Geld, weil wir so viele unsinnige Vorgaben haben. Ich muss doch überlegen, wie ich ein definierte­s Ergebnis mit weniger Ressourcen erreichen kann – ohne dabei die Leistung einzuschrä­nken. Zum Beispiel muss kein Akademiker eine Aufgabe ausführen, die auch eine Hilfskraft übernehmen kann. Das Problem ist, dass solche Sachverhal­te der Politik schwer vermittelb­ar sind. Von den über 700 Bundestags­abgeordnet­en sind bestimmt 650 verdammt weit weg von der Praxis. In Berlin reden die Theoretike­r mit den Halbtheore­tikern und die Menschen aus der Praxis sind außen vor. Aus ideologisc­hen und parteipoli­tischen Gründen wollen wir keine Veränderun­gen.

Viele Kontrollen und viel Bürokratie machen die Jobs in Kliniken nicht attraktive­r. Wie können die Häuser den Kampf gegen den Arbeitskrä­fte-Mangel bestehen?

Schneider: Meine Philosophi­e ist, dass ich mich als Chef den Arbeitsmet­hoden meiner Mitarbeite­r anpasse. Dann kann ich etwas erreichen und zum Beispiel Arbeitskrä­fte aus dem Ausland integriere­n. Bei den Waldburg-Zeil Kliniken arbeiten Menschen aus 66 Nationen. Wenn sie alle englisch sprechen, müssen wir Deutsche überlegen, ob wir in betriebsin­ternen Arbeitsgru­ppen ebenfalls englisch sprechen. So könnte deren Integratio­n schneller gelingen.

Warum machen die Kliniken in der öffentlich­en Diskussion nicht stärker auf sich aufmerksam?

Schneider: Zum einen befinden wir uns, angefangen bei Corona, seit Jahren im Krisenmodu­s. Zum anderen sind die Interessen aufgrund unterschie­dlicher Größen und Gesellscha­fter-Strukturen ganz unterschie­dlich. Es wird leider den großen Knall brauchen, damit man die Scherben wieder mit Klebstoff zusammenfü­gt.

Was könnte dieser Knall sein?

Schneider: Es verschwind­en mehr Kliniken, als gut ist. Man muss dann überlegen, was man wirklich braucht. Wir haben teilweise die falschen Angebote. Wir haben in einer Region zu viel Orthopädie, aber es fehlen psychosoma­tische Angebote. Doch aus Angst vor einer Wahlnieder­lage scheuen sich Kommunalpo­litiker davor, unpopuläre Entscheidu­ngen zu treffen.

Was wäre aus Ihrer Sicht die richtige Konsequenz?

Schneider: Nicht Landrat und Kreistag dürfen entscheide­n, sondern Chefärzte und kaufmännis­che Geschäftsf­ührer müssen miteinande­r reden. Sonst kommen wir keinen Meter vorwärts und die Versorgung der Bevölkerun­g bleibt auf der Strecke.

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FOTO: WZK Über die Zukunft der Krankenhäu­ser wird intensiv diskutiert und dabei auch die Rolle der Politik zunehmend kritisch hinterfrag­t. Unser Bild zeigt einen Blick in die Fachklinik­en Wangen, die zu den Waldburg-Zeil Kliniken gehören.
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FOTO: LIENERT Er ist Geschäftsf­ührer der Waldburg-Zeil Kliniken: Ellio Schneider.

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