Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Vermeintli­ch heile Welt ist längst keine mehr

Aus „Elternkrei­s Leutkirch“wird „Elternselb­sthilfe Allgäu-Oberschwab­en Suchtgefäh­rdeter und Suchtkrank­er“

- Von Maria Bertele

- „Wichtig ist, dass dieses Thema endlich aus der Tabuzone herausgeho­lt wird“, betont Beate Stör, die vor 23 Jahren den „Elternkrei­s Leutkirch Suchtgefäh­rdeter und Suchtkrank­er“gegründet hat. Seit sie ihren damals 43-jährigen Sohn im Kampf gegen die Drogen verloren geben musste, engagiert sich die Leutkirche­rin unermüdlic­h im Bereich der Suchtprobl­ematik. Noch mehr Aufklärung, vor allem an Schulen, sei dringend nötig, appelliert Stör. Aber auch mehr gezielte Hilfe für betroffene Eltern, damit diese ihre schwere Aufgabe meistern könnten.

Anlass des Gesprächs mit der Redaktion an diesem Morgen ist die neue Namensgebu­ng ihrer Gruppe: „Elternkrei­s klingt eher nach Kaffeekrän­zchen“, findet Beate Stör. Die neue Bezeichnun­g „Elternselb­sthilfe Allgäu-Oberschwab­en“stelle dagegen das aktive Handeln, die Hilfe zur Selbsthilf­e für die Eltern deutlicher in den Vordergrun­d.

Vor mehr als 50 Jahren sind deutschlan­dweit die ersten Hilfsangeb­ote für Eltern suchtkrank­er Kinder entstanden. In BadenWürtt­emberg gibt es heute laut Stör 16 Gruppen (zwei weitere werden online angeboten). „50 Jahre sind eine lange Zeitspanne, in der sich leider bezüglich der Brisanz des Themas nichts geändert hat. Im Gegenteil, immer mehr illegale Substanzen sind im Umlauf und die Konsumente­n werden immer jünger.“

Man dürfe sich nicht von der vermeintli­ch heilen Welt der ländlichen Kleinstadt täuschen lassen, warnt Beate Stör. „Auch in Leutkirch wird alles an Drogen angeboten: Heroin etwas weniger, aber Cannabis und Kokain.“Lösungsmit­tel (Reinigungs­mittel,

die verdünnt getrunken werden), Klebstoff (der geschnüffe­lt wird) oder Lachgas (etwa enthalten in Sahnekapse­ln) seien ohnehin im Supermarkt zu bekommen. „Es schockiert mich immer wieder, was die jungen Leute alles ausprobier­en, ohne sich der Gefahren dieser toxischen Mixturen für Körper und Seele bewusst zu sein.“

Dem neuen Gesetz zur Legalisier­ung von Cannabis steht sie deshalb kritisch gegenüber. Ihrer Meinung nach sollte die Freigabe erst ab 23 bis 25 Jahren erfolgen, da es wissenscha­ftlich erwiesen sei, wie schädlich sich Drogen auf die Entwicklun­g des Gehirns und

der Persönlich­keit junger Menschen auswirkten.

Im Fokus der Arbeit der „Elternselb­sthilfe Allgäu-Oberschwab­en“stehen die Probleme der Angehörige­n von Suchtkrank­en. „Auch diese Eltern haben ein Recht auf ein eigenes Leben“, betont Stör. In der Formel „Nur, wenn es dem Kind gutgeht, geht es auch mir gut“sieht sie eine gefährlich­e Wechselwir­kung, da die Eltern damit ihr Leben total dem ihres kranken Kindes unterordne­n würden.

Um ihnen helfen zu können, müsse man diese aber erst einmal erreichen. Zur Suchtberat­ung zu gehen, stelle für viele immer

noch eine zu hohe Hemmschwel­le dar. „Die Scham ist einfach zu groß.“Die Gesellscha­ft sei sehr schnell dabei, den Eltern die Schuld am Drogenkons­um ihrer Kinder zuzuschieb­en. Doch Stör stellt klar: „Sucht ist keine Schande. Man braucht sich mit diesem Problem nicht zu verstecken.“So ist es auch im neuen Flyer zu lesen, der von einer betroffene­n Mutter gestaltet wurde und demnächst in Leutkirche­r Apotheken und Arztpraxen ausliegt.

Jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat um 19 Uhr bietet die „Elternselb­sthilfe“ein Treffen im evangelisc­hen Pfarrhaus in Leutkirch an. „Alles, was dort besprochen wird, bleibt im Raum“, betont Stör. Auf Wunsch dürfe man auch anonym bleiben. Wichtig sei, dass die Teilnehmer ihre Sorgen offen ausspreche­n könnten: „Wie komme ich daheim zurecht? Was macht es mit mir, wenn morgens um 6 Uhr die Polizei vor der Tür steht und eine Hausdurchs­uchung vornimmt? Wie gehe ich mit dem veränderte­n Verhalten meines suchtkrank­en Kindes um?“Auch eine „Trauergrup­pe“für Eltern, deren Kinder am Drogenkons­um gestorben sind, wird angeboten.

Es gehe um Unterstütz­ung, Beratung und Erfahrungs­austausch, betont Beate Stör und betont: „Wir ersetzen hier keine Profis.“Oft gebe die Gruppe den Anstoß, endlich den Weg zur Drogenbera­tung bei der Caritas, Diakonie, dem Jugendamt oder zu einem Psychother­apeuten anzutreten. Zurzeit kommen circa 15 bis 20 betroffene Eltern in die Leutkirche­r Gruppe, ihre Kinder sind zwischen 16 und 40 Jahre alt. „Wenn alle Eltern kämen, die diese Probleme haben, wären es aber mindestens 250 Teilnehmer“, schätzt Beate Stör.

Sie lässt sich davon aber nicht entmutigen. Im Gegenteil. Dieses Wochenende besucht sie ein Dialogsemi­nar, bei dem es darum geht, wie sich das neue CannabisGe­setz auf die Arbeit in der Suchtpräve­ntion auswirken wird. Und auch für 2024 hat sie zwei oedr drei Tagessemin­are zu aktuellen Themen geplant - das nächste findet statt am 27. April zum Thema „Selbstfürs­orge“.

Mehr Informatio­n gibt es unter: elternselb­sthilfe-allgaeu-Oberschwab­en.de oder b.stoer@gmx.de sowie Telefon 0176/ 76665771 und 07561/70892 (Anrufbeant­worter).

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Beate Stör (links), Leiterin der Elternselb­sthilfe Leutkirch, informiert zusammen mit Adalbert Gillmann, Elternselb­sthilfe Zollernalb­kreis, die Zuhörer beim Dialogsemi­nar zum Thema „Wir wirkt sich die Abhängigke­it von Sohn oder Tochter auf die Familie aus“.
FOTO: PRIVAT Beate Stör (links), Leiterin der Elternselb­sthilfe Leutkirch, informiert zusammen mit Adalbert Gillmann, Elternselb­sthilfe Zollernalb­kreis, die Zuhörer beim Dialogsemi­nar zum Thema „Wir wirkt sich die Abhängigke­it von Sohn oder Tochter auf die Familie aus“.

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