Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Radioaktiv­es Hochwasser in Westsibiri­en

Uranbergwe­rk in der russischen Region Kurgan von Überschwem­mung betroffen

- Von Stefan Scholl

- Das Hochwasser sinkt. Auch in der sibirische­n Gebietshau­ptstadt Kurgan beginnen die Einwohner, den angeschwem­mten Schmutz zu diskutiere­n. „Höchste Zeit, den Fluss zu säubern“, schreibt Nadeschda Igorjewna im Sozialnetz VK. „Aller möglicher Dreck ist direkt vor unseren Füßen gelandet.“

Das Jahrhunder­thochwasse­r im Südural und in Sibirien hat allein in der Region Orenburg 12.300 Wohnhäuser gef lutet, auch ganze Viertel der Stadt Orsk, 17.800 Menschen mussten evakuiert werden. Im Gebiet Tjumen wurden über 3000, in der Nachbarreg­ion Kurgan 15.000 Personen evakuiert. Die Schäden überschrei­ten allein im Orenburger Gebiet 400 Millionen Euro, laut dem Portal Waschnije Istorii kamen dort sieben Menschen ums Leben.

Aber wie böse die Auswirkung­en wirklich sind, ist noch unabsehbar. Nach Angaben des Exilportal­s Agenstwo kann der Dreck, den der Fluss Tobol in die Stadt Kurgan getragen hat, auch radioaktiv sein. Laut Agenstwo wurde teilweise auch das Gelände der Uran-Abbaugrube Dobrowolno­je überschwem­mt. Das belegen Satelliten­aufnahmen des Journalist­en

Mark Krutow und des Kurganer Gebietsgou­verneurs Wadim Schumkow, auf denen überschwem­mte Bohrgründe zwischen dem Flussufer und der Autostraße von dem Dorf Trud i Snanije nach Swerinogol­owskoje zu sehen ist.

Überschwem­mt wurde der Boden über alten, inzwischen geschlosse­nen Bohrschäch­ten aus den 80er-Jahren. Darin haben sich große Mengen von mit Uranresten und Schwefelsä­ure versetzter Flüssigkei­t gesammelt, wie Andrej Oscharowsk­ij, Atommüllex­perte der Russischen Sozialökol­ogischen Union, sagt. Sie stünden unter unterirdis­chem Druck und drängen so an die Erdoberflä­che. „Deshalb ist der Boden über den alten Bohrlöcher­n immer nass, ich habe dort selbst erhöhte Strahlenwe­rte gemessen“, so Oscharowsk­ij. Und diese Erde sei nun in den Tobol geschwemmt worden. „Natürlich verringert sich die Konzentrat­ion im Fluss sehr schnell. Messbare Überschrei­tungen der Normen wird es nicht geben.“Aber aus dem Tobol beziehe die 330.000 Einwohners­tadt Kurgan ihr Trinkwasse­r. „Und im Trinkwasse­r hat Uran nichts zu suchen.“Verbrauche­rn drohe Krebs durch innere Verstrahlu­ng.

Alexei Schwarz, Kurganer Ökologe und früherer Nawalny-Aktivist, befürchtet, dass auch aktive Bohrschäch­te überschwem­mt und Uran-Säure-Lösung tonnenweis­e in den Tobol gespült worden sind. Der nach Deutschlan­d emigrierte Schwarz wird deshalb vom nationalis­tischen Portal Zargrad als Relokant und Panikmache­r verhöhnt. Dinis Jeschurow, Generaldir­ektor der Firma Dalur, die das Uran in Dobrowolno­je abbaut, erklärte der Staatsagen­tur RIA Nowosti, das Vorkommen liege so hoch, dass das Hochwasser es nicht erreicht habe. Und auf dem Portal des Staatskonz­erns Rosatom, zu dem Dalur gehört, heißt es, alle Uranadern befänden sich in einem „Sarkophag" mit Fundament und Wänden aus „Kristallfe­lsen“und seien durch eine meterdicke, ebenfalls wasserdich­te Lehmschich­t „versiegelt“.

Aber auch die regionale Umweltstif­tung „Kurgan Ökologie Uran Prawo“bestätigt auf ihrer VK-Seite, bei der Überschwem­mung seien uranhaltig­e Stoffe in den Tobol geraten. Doch sie warnt vor allem vor einem f lüssigen Gemisch aus 2000 Tonnen Rest-Uran und einer Million Schwefelsä­ure, die zur Auslaugung des radioaktiv­en Metalls in die Bohrlöcher gepumpt worden seien. Dieses Gemisch befinde sich in 400 Meter Tiefe unter Druck, es sei früher oder später zu befürchten, dass es in andere Wasserader­n gerate. Die Stiftung, deren Aktivisten zum Großteil wackere Kommuniste­n sind, rufen den Präsidialb­evollmächt­igten im Ural auf, sich einzumisch­en.

Fraglich, wie der Kremlvertr­eter reagieren wird. Die industriel­le Ural-Förderung in Dobrowolno­je wurde erst im Dezember 2022 aufgenomme­n. Danach feierte das Wissenscha­ftsportal Sfera die Region Kurgan schon als „Uran-Herz Russlands“. Der Rohstoff für Atombrenns­täbe und Kernwaffen gilt in Russland weiter als unverzicht­bar. Und als Exportschl­ager, die Staatsagen­tur RIA Nowosti jubelt, die feindselig­en USA hätten im Kriegsjahr 2023 für 1,2 Milliarden Dollar russisches Uran gekauft. „Dabei bedeutet, Uran bei Rosatom zu kaufen, die Umwelt mit Füßen zu treten und den Krieg in der Ukraine zu unterstütz­en“, kommentier­t der Ökologe Wladimir Sliwjak. Auch Westeuropa versorge sich bei Rosatom, sagt Oscharowsk­ij. „Und das Uran, das am Tobol gefördert wird, ist zum Großteil für den Export gedacht.“

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FOTO: MAKSIM BOGODVID/IMAGO Das Jahrhunder­thochwasse­r im Südural und in Sibirien hat allein in der Region Orenburg 12.300 Wohnhäuser und viele Straßen überflutet.

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