Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Anwohner haben Ängste und Sorgen

Info-Veranstalt­ung von Stadt und Landkreis zu geplanten Flüchtling­sheimen in Leutkirch

- Von Steffen Lang

- Hier stehen wir, wir können nicht anders: Dieses leicht abgewandel­te Martin-Luther-Zitat könnte man über die Info-Veranstalt­ung zu zwei geplanten Flüchtling­sheimen von Stadt und Landkreis am Dienstagab­end legen.

Das Interesse der Anwohner war erstaunlic­h gering. Etwa drei Dutzend Menschen hatten sich im Bocksaal eingefunde­n. Im Oktober vergangene­n Jahres, als es eine ähnliche Veranstalt­ung gegeben hatte, waren es mehr als 100. Es wurde aber auch die Vermutung ausgesproc­hen, dass nicht alle betroffene­n Anwohner eingeladen worden sei. Die Stadt will dies prüfen.

Keine zehn Anwesenden meldeten sich zu Wort und drückten fast ausschließ­lich ihre Ängste und Befürchtun­gen aus. Auch wenn teilweise harte Formulieru­ngen und Klischees verwendet wurden, blieb die gesamte Diskussion sachlich.

Was plant der Kreis?

Der Landkreis Ravensburg will oberhalb des Kreisgebäu­des beim ehemaligen Krankenhau­s an der Ottmannsho­fer Straße ein dreistöcki­ges Gebäude in Holzmodulb­auweise errichten, berichtete­n Sachbereic­hsleiter Matthias Jörg und die stellvertr­etende Amtsleiter­in

Jessica Kohlbauer. 78 Personen hätten darin Platz, solange die Mindestqua­dratmeterz­ahl von 4,5 gilt. Sollten es wieder sieben Quadratmet­er werden, passen 50 Menschen ins Gebäude.

Wer dort einziehen wird – alleinsteh­ende junge Männer oder Familien – „wissen wir noch nicht“. Frühestens werde der Plan im Dezember dieses Jahres umgesetzt, so Kohlbauer. Der Kreis, der gerade zwei seiner großen vorläufige­n Unterbring­ungen in Ravensburg und Wangen (Stadthalle) auflöst, stehe angesichts konstant hoher Flüchtling­sankünfte unter Druck, wurde erklärt.

Was plant die Stadt?

Oberbürger­meister Hans-Jörg Henle und Bürgermeis­terin

Christina Schnitzler stellten das ebenfalls dreistöcki­ge Gebäude der Stadt an der Säntisstra­ße vor. Dort finden 100 Personen Platz. Entstehen werden vor allem Einund Zwei-Zimmer-Wohnungen. Auch hier gilt: „Wer kommt, wissen wir nicht.“

Und auch Henle erklärte die Notwendigk­eit des Baus mit den hohen Flüchtling­szahlen. Leutkirch sei außerdem derzeit „ziemlich das Schlusslic­ht im Kreis“, was die Erfüllung der Aufnahmequ­ote betrifft. 208 Personen müsse die Stadt daher bis Jahresende auf jeden Fall noch aufnehmen. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Wir müssen handeln, ob es uns gefällt oder nicht“, so Henle. Freie Wohnungen zum Anmieten würden der

Stadt keine mehr angeboten. Daher werde das eine Gebäude hinter dem Autohaus Seitz auch nicht ausreichen, machte der OB klar. Man sei bereits auf der Suche nach einem weiteren Standort, „und wir haben da auch was im Blick“. Dort würden dann Alleinsteh­ende untergebra­cht, und in der Säntisstra­ße Familien.

Was wird kritisiert?

Die Anwohner an der Ottmannsho­fer Straße vermuten angesichts des großen kreiseigen­en Geländes, dass noch mindestens ein weiteres Gebäude dort gebaut wird. Dann entstehe dort ein „Ghetto“, so ihre Befürchtun­g. Die Rede war zudem von einer „Explosions­gefahr“bei einem Betreuungs­schlüssel von einem Sozialpäda­gogen auf 90 Flüchtling­e.

Eine Bürgerin, nach eigener Aussage ehemalige Ehrenamtli­che des Helferkrei­ses, gab zu bedenken, „dass uns die Ressourcen fehlen“. Es gebe beispielsw­eise schon jetzt zu wenig Ärzte und zu wenige Sprachkurs­plätze. „Man kann nicht jedem helfen, wenn man dabei selbst kaputtgeht“, fand ein anderer Anwohner deutliche Worte.

Mehrfach angesproch­en wurde bei beiden Standorten auch die Nähe zu Kindergärt­en. „Wer kann das verantwort­en“, fragte eine Bürgerin, die später auch davon sprach, es kämen viele Menschen mit einer „archaische­n Kultur, die gewaltaffi­ner sind, wenn es Probleme gibt“. Sie macht sich daher auch Sorgen, wenn Anwohner in der Nähe im Dunklen laufen müssten.

Was entgegnen Stadt und Kreis?

Ein zweites Gebäude an der Ottmannsho­fer Straße sei „derzeit nicht geplant“, so Henle. „Aber für alle Zukunft kann ich das nicht verspreche­n. Wir wissen nicht, was in zwei oder drei Jahren auf der Welt passiert.“Man müsse sich nur vorstellen, was passiert, wenn die Ukraine den Krieg verliert, gab Schnitzler ein Beispiel dafür.

Jörg räumte ein, dass „eine vollumfäng­liche Betreuung der Flüchtling­e durch den Kreis nicht möglich“sei. „Wir brauchen das Ehrenamt.“Der Landkreis tue mit Sozialbetr­euung, Alltagshil­fe und Heimverwal­tung aber alles, was er könne, versichert­e er.

Henle und Schnitzler versuchten, die Bedenken in Sachen Kindergärt­en zu zerstreuen. Es habe zum Beispiel im DRK-Kindergart­en Piepmatz in unmittelba­rer Nähe zu einer Flüchtling­sunterkunf­t „noch nie Probleme“gegeben. Man werde die Situation aber stets im Auge behalten und kontrollie­ren, versprach Henle. „Und den Waldkinder­garten an der Ottmannsho­fer Straße kann ich notfalls an einen Traktor hängen und setze ihn woanders hin.“

Das größere Problem seien sicherlich die dunklen Straßen, so der Oberbürger­meister. Aber hier könne die Stadt etwas an der Situation ändern, also die Straßenbel­euchtung brennen lassen. Es seien schließlic­h aber auch „keine wilden Horden, die jede Nacht in Richtung Stadt ziehen“, setzte Kohlbauer solchen Klischees entgegen.

Henle machte aber auch unumwunden deutlich: „Ich kann nicht garantiere­n, dass nichts passiert und nur tolle Menschen zu uns kommen.“Er könne aber verspreche­n, „dass wir alle unser Bestes geben, ihre Sorgen sehr ernst nehmen und ganz genau hinschauen werden. Wir ducken uns nicht weg.“Auch er hob gleichzeit­ig hervor: „Die ganz überwiegen­de Anzahl Menschen will hier bei uns einfach sicher leben und sich ein Standbein schaffen.“

Das betonte auch Rainer Müller von der Caritas. Die Stärken von Leutkirch seien die große Erfahrung in der Betreuung und Integratio­n Gef lüchteter sowie der Zusammenha­lt in der Stadt. „Wir müssen die Menschen, die kommen, nicht umarmen, aber wir sollten ihnen die Hand reichen.“Er appelliert­e an die Anwesenden, sich in den Helferkrei­sen zu engagieren.

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FOTO: STEFFEN LANG Informiert­en die Bürger über die beiden Vorhaben (von links): Hans-Jörg Henle, Christina Schnitzler, Matthias Jörg und Jessica Kohlbauer.

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