Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Anwohner haben Ängste und Sorgen
Info-Veranstaltung von Stadt und Landkreis zu geplanten Flüchtlingsheimen in Leutkirch
- Hier stehen wir, wir können nicht anders: Dieses leicht abgewandelte Martin-Luther-Zitat könnte man über die Info-Veranstaltung zu zwei geplanten Flüchtlingsheimen von Stadt und Landkreis am Dienstagabend legen.
Das Interesse der Anwohner war erstaunlich gering. Etwa drei Dutzend Menschen hatten sich im Bocksaal eingefunden. Im Oktober vergangenen Jahres, als es eine ähnliche Veranstaltung gegeben hatte, waren es mehr als 100. Es wurde aber auch die Vermutung ausgesprochen, dass nicht alle betroffenen Anwohner eingeladen worden sei. Die Stadt will dies prüfen.
Keine zehn Anwesenden meldeten sich zu Wort und drückten fast ausschließlich ihre Ängste und Befürchtungen aus. Auch wenn teilweise harte Formulierungen und Klischees verwendet wurden, blieb die gesamte Diskussion sachlich.
Was plant der Kreis?
Der Landkreis Ravensburg will oberhalb des Kreisgebäudes beim ehemaligen Krankenhaus an der Ottmannshofer Straße ein dreistöckiges Gebäude in Holzmodulbauweise errichten, berichteten Sachbereichsleiter Matthias Jörg und die stellvertretende Amtsleiterin
Jessica Kohlbauer. 78 Personen hätten darin Platz, solange die Mindestquadratmeterzahl von 4,5 gilt. Sollten es wieder sieben Quadratmeter werden, passen 50 Menschen ins Gebäude.
Wer dort einziehen wird – alleinstehende junge Männer oder Familien – „wissen wir noch nicht“. Frühestens werde der Plan im Dezember dieses Jahres umgesetzt, so Kohlbauer. Der Kreis, der gerade zwei seiner großen vorläufigen Unterbringungen in Ravensburg und Wangen (Stadthalle) auflöst, stehe angesichts konstant hoher Flüchtlingsankünfte unter Druck, wurde erklärt.
Was plant die Stadt?
Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle und Bürgermeisterin
Christina Schnitzler stellten das ebenfalls dreistöckige Gebäude der Stadt an der Säntisstraße vor. Dort finden 100 Personen Platz. Entstehen werden vor allem Einund Zwei-Zimmer-Wohnungen. Auch hier gilt: „Wer kommt, wissen wir nicht.“
Und auch Henle erklärte die Notwendigkeit des Baus mit den hohen Flüchtlingszahlen. Leutkirch sei außerdem derzeit „ziemlich das Schlusslicht im Kreis“, was die Erfüllung der Aufnahmequote betrifft. 208 Personen müsse die Stadt daher bis Jahresende auf jeden Fall noch aufnehmen. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Wir müssen handeln, ob es uns gefällt oder nicht“, so Henle. Freie Wohnungen zum Anmieten würden der
Stadt keine mehr angeboten. Daher werde das eine Gebäude hinter dem Autohaus Seitz auch nicht ausreichen, machte der OB klar. Man sei bereits auf der Suche nach einem weiteren Standort, „und wir haben da auch was im Blick“. Dort würden dann Alleinstehende untergebracht, und in der Säntisstraße Familien.
Was wird kritisiert?
Die Anwohner an der Ottmannshofer Straße vermuten angesichts des großen kreiseigenen Geländes, dass noch mindestens ein weiteres Gebäude dort gebaut wird. Dann entstehe dort ein „Ghetto“, so ihre Befürchtung. Die Rede war zudem von einer „Explosionsgefahr“bei einem Betreuungsschlüssel von einem Sozialpädagogen auf 90 Flüchtlinge.
Eine Bürgerin, nach eigener Aussage ehemalige Ehrenamtliche des Helferkreises, gab zu bedenken, „dass uns die Ressourcen fehlen“. Es gebe beispielsweise schon jetzt zu wenig Ärzte und zu wenige Sprachkursplätze. „Man kann nicht jedem helfen, wenn man dabei selbst kaputtgeht“, fand ein anderer Anwohner deutliche Worte.
Mehrfach angesprochen wurde bei beiden Standorten auch die Nähe zu Kindergärten. „Wer kann das verantworten“, fragte eine Bürgerin, die später auch davon sprach, es kämen viele Menschen mit einer „archaischen Kultur, die gewaltaffiner sind, wenn es Probleme gibt“. Sie macht sich daher auch Sorgen, wenn Anwohner in der Nähe im Dunklen laufen müssten.
Was entgegnen Stadt und Kreis?
Ein zweites Gebäude an der Ottmannshofer Straße sei „derzeit nicht geplant“, so Henle. „Aber für alle Zukunft kann ich das nicht versprechen. Wir wissen nicht, was in zwei oder drei Jahren auf der Welt passiert.“Man müsse sich nur vorstellen, was passiert, wenn die Ukraine den Krieg verliert, gab Schnitzler ein Beispiel dafür.
Jörg räumte ein, dass „eine vollumfängliche Betreuung der Flüchtlinge durch den Kreis nicht möglich“sei. „Wir brauchen das Ehrenamt.“Der Landkreis tue mit Sozialbetreuung, Alltagshilfe und Heimverwaltung aber alles, was er könne, versicherte er.
Henle und Schnitzler versuchten, die Bedenken in Sachen Kindergärten zu zerstreuen. Es habe zum Beispiel im DRK-Kindergarten Piepmatz in unmittelbarer Nähe zu einer Flüchtlingsunterkunft „noch nie Probleme“gegeben. Man werde die Situation aber stets im Auge behalten und kontrollieren, versprach Henle. „Und den Waldkindergarten an der Ottmannshofer Straße kann ich notfalls an einen Traktor hängen und setze ihn woanders hin.“
Das größere Problem seien sicherlich die dunklen Straßen, so der Oberbürgermeister. Aber hier könne die Stadt etwas an der Situation ändern, also die Straßenbeleuchtung brennen lassen. Es seien schließlich aber auch „keine wilden Horden, die jede Nacht in Richtung Stadt ziehen“, setzte Kohlbauer solchen Klischees entgegen.
Henle machte aber auch unumwunden deutlich: „Ich kann nicht garantieren, dass nichts passiert und nur tolle Menschen zu uns kommen.“Er könne aber versprechen, „dass wir alle unser Bestes geben, ihre Sorgen sehr ernst nehmen und ganz genau hinschauen werden. Wir ducken uns nicht weg.“Auch er hob gleichzeitig hervor: „Die ganz überwiegende Anzahl Menschen will hier bei uns einfach sicher leben und sich ein Standbein schaffen.“
Das betonte auch Rainer Müller von der Caritas. Die Stärken von Leutkirch seien die große Erfahrung in der Betreuung und Integration Gef lüchteter sowie der Zusammenhalt in der Stadt. „Wir müssen die Menschen, die kommen, nicht umarmen, aber wir sollten ihnen die Hand reichen.“Er appellierte an die Anwesenden, sich in den Helferkreisen zu engagieren.