Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bodenseekreis hält Betten für Zeltlager bereit
Es ist eine Frage der Zeit, bis Asylbewerber in neuen Notquartieren leben müssen – Auch Sporthallen im Visier
FRIEDRICHSHAFEN - Die Lage für Flüchtlinge im Bodenseekreis spitzt sich erneut zu: Seit 2014 wird der Wohnraum für Hilfesuchende aus aller Welt immer knapper. Jetzt ist die Einrichtung von Zeltlagern, Sportoder Mehrzweckhallen als Notunterkünfte offenbar nur noch eine Frage der Zeit. Das bestätigte Robert Schwarz, Pressesprecher des Landratsamtes Bodenseekreis.
Dass die Lage für Flüchtlinge im Kreis so dramatisch wird, hatte noch im September 2014 kaum einer zu denken gewagt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser reiche Landkreis Zelte oder Container aufstellen muss“, hatte damals ein Experte für Flüchtlingsfragen im Bodenseekreis formuliert. Doch die Realität dürfte demnächst diesen frommen Wunsch ad absurdum führen.
Wie Schwarz am Mittwoch im SZGespräch sagte, wird der Bodenseekreis auf kurz oder lang entweder Zeltlager einrichten oder Sport- oder Mehrzweckhallen in der Region zu Notfallquartieren umbauen, um neu ankommende Flüchtlinge aufzunehmen: „So ist das“, sagte Schwarz wörtlich. „Und es wird nicht bei einer Halle oder einem Zelt bleiben.“
Wo der Bodenseekreis die Notunterkünfte aufbauen will, dazu äußern sich die Behörden aus Angst vor Widerstand derzeit nicht. Klar ist nur: Bereits am Mittwoch wurde in der Löwentalerstraße in Friedrichshafen die erste „Notunterkunft“im Bodenseekreis in Betrieb genommen (siehe Bericht unten). Die 90 Betten in zwei kürzlich noch baufälligen Häusern
wurden in kürzester Zeit hergerichtet – und dürften bereits zum Ende der kommenden Woche weitgehend belegt sein. Das sagt Frederik Kessler, Leiter der Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber im Bodenseekreis.
Kreis wird vorgewarnt Die gesetzlich vorgeschriebenen 4,5 Quadratmeter Wohnraum pro Flüchtling werden in Notquartieren wie der Löwentaler Straße bereits unterboten. Das wird wohl auch der Fall sein, wenn 250 Metallbetten samt der zugehörigen Spinde, die der Landkreis derzeit in einem Lager bereithält, demnächst zum Einsatz kommen. Laut Landratsamt wurde der Kreis bereits von der zuständigen Landesbehörde vorgewarnt: Er müsse jederzeit in der Lage sein, 100 zusätzliche Flüchtlinge in kurzer Zeit aufnehmen zu können. Dass dies kein Gedankenspiel ist, beweist der Blick ins benachbarte Weingarten: Erst am Wochenende wurden dort 150 Flüchtlinge aus den Landeserstaufnahmestellen untergebracht. Für den Bodenseekreis bedeutet das: Wenn Ähnliches hier passiert, könnten jeweils 80 bis 90 Menschen auf einmal in eine Halle oder eine Zeltstadt gebracht werden. Wie sich das auf die humanitäre Lage der Flüchtlinge auswirken wird, wagt kaum einer im Kreis offen auszusprechen.
Konflikte unter Flüchtlingen Der syrische Flüchtling Ali Sulaiman, der seit mittlerweile drei Jahren im Bodenseekreis lebt und sich als Vermittler zwischen Flüchtlingen und Verwaltung engagiert, hat da weniger Hemmungen: „Alle in einer Halle? Das ist nicht gut. Es reicht, wenn einer dort glaubt, er sei Batman und könne den anderen sagen, was sie tun sollen“, sagte er am Mittwoch im Gespräch mit der Schwäbischen Zeitung. Konflikte unter Flüchtlingen seien programmiert, wenn so viele Menschen auf engem Raum zusammenleben müssten. Das dürfte die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den Neuankömmlingen letztlich auch nicht fördern – erst vor Kurzem gab es schließlich schon erhebliche Widerstände gegen reguläre Flüchtlingsunterkünfte im Kreis. In Billafingen wurde gar mit Angstparolen auf Plakaten Stimmung gegen die Hilfesuchenden gemacht.
Der Grund für die prekäre Lage bei den Flüchtlingsunterkünften ist indes weiter derselbe, wie schon zum Beginn der neuerlichen Flüchtlingswelle im Jahr 2014. Weil immer mehr Menschen weltweit vor Krieg Verfolgung und Armut fliehen, suchen immer mehr davon Schutz in Ländern wie Deutschland.
Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht. 150 bis 200 davon werden voraussichtlich im August Zuflucht im Bodenseekreis suchen. Zum Vergleich: Im Juli 2012 kamen monatlich 25 Menschen als Flüchtlinge in den Kreis. Seither wurden etliche neue Unterkünfte zwischen Überlingen und Kressbronn errichtet. Doch die Zahl der Flüchtlinge steigt trotz aller Bemühungen der Kreisbehörden schneller als die Zahl der Betten.
„Es wird nicht bei einer Halle oder einem
Zelt bleiben.“Robert Schwarz, Sprecher
des Landkreises