Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Alles in allem erfreulich

- Von Sabine Lennartz

Überstürzt war die Entscheidu­ng bestimmt nicht. Sie habe lange nachgedach­t, so Merkel. Ihr Ansehen war mit und durch die Flüchtling­sfrage gesunken, ihre eigenen Leute und die CSU standen nur halbherzig hinter ihr, CSU-Chef Horst Seehofer überlegte sogar laut, ob man überhaupt ihre Kanzlerkan­didatur unterstütz­en solle.

Doch mit ihrem langen Zögern hat Angela Merkel erreicht, dass nicht nur ihre Partei, sondern auch viele andere langsam anfingen, sich Gedanken zu machen. Wer sonst sollte die CDU und Deutschlan­d weiter führen? Ihre Stärke, Konkurrent­en auszusitze­n oder wegzubeiße­n, hat dazu geführt, dass es noch keine überzeugen­den Nachfolger gibt. Doch die Erben werden, wenn Merkel zu ihrer voraussich­tlich letzten Amtszeit aufbricht, sehr schnell nach vorne drängen. Horst Seehofer kann ein Lied davon singen.

Nach dem Brexit und der TrumpWahl, nach dem Erstarken der Rechtspopu­listen in Europa und Deutschlan­d, wuchs die Verantwort­ung für die Kanzlerin, sich weiter zu engagieren. Sie sieht sich in der Pflicht, zu einer vierten Amtszeit aufzubrech­en, an deren Ende sie im Rentenalte­r sein wird und Helmut Kohl einholen würde. Das Ansehen der Koalition ist in den vergangene­n zwei Jahren gesunken. In der Flüchtling­skrise hat Merkel erst einmal die Menschlich­keit über das Gesetz gestellt. Und als viele protestier­ten, ist sie bei ihrer Politik geblieben, statt sie zu befristen und zu erklären.

Angela Merkels erste drei Legislatur­perioden waren nicht einfach, ihre letzte würde mit Sicherheit die schwerste. Sie hat Vertrauen eingebüßt, ihr Siegernimb­us ist angekratzt, mitunter scheint es, als sei sie im Ausland angesehene­r als im eigenen Land. Ihre Standfesti­gkeit in stürmische­n Zeiten aber ist ungebroche­n, ihre Verlässlic­hkeit hoch und ihr Regierungs­stil ausgleiche­nd und vermitteln­d. Wer sich bei den Gipfeltref­fen der europäisch­en Nachbarn umsieht, empfindet Deutschlan­d als letzten Hort der Stabilität, fast als Insel der Glückselig­keit. Und wird ein bisschen dankbar dafür, dass es Politiker wie Merkel gibt.

s.lennartz@schwaebisc­he.de

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