Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die neue deutsche Welle

Liegt im Kostentren­d: das Holzhaus mit Wellblech-Hülle

- Von Reinhold Mann

FRANKFURT - Ein Preis für den Preis: In diesem Jahr wird ein kostengüns­tiges Einfamilie­nhaus als „Haus des Jahres“ausgezeich­net.

Das Geheimnis lautet: 27 auf 111. 27 Millimeter beträgt die Höhe, 111 Millimeter der Abstand der Wellen beim Dachblech. Als Fassade ist das ein ungewohnte­r Anblick, zumal in einem Wohngebiet. Nach fünf Jahren ist das aber auch ein neuer Ansatz für die „Häuser des Jahres“, die das Deutsche Architektu­r-Museum mit dem Callwey-Verlag auszeichne­t. Bisher ging der Preis oft nach Vorarlberg. Ein bisschen konnte der Verdacht aufkommen, die Jury habe nicht nur die Architektu­r beurteilt, sondern sich auch von der Aussicht überwältig­en lassen. Schließlic­h ist es eindrucksv­oller, ein großzügige­s Holzhaus, eingebunde­n in Wiese, Wald und Ortsbild zu erleben und vom Panoramafe­nster auf Hochvogel, Rheintal oder Säntis zu schauen, als von der Küche auf die Garage des Nachbarn.

Trend zum kleinen Budget Allerdings sind, nach Lage der Dinge, die Voraussetz­ungen des Bauens in Deutschlan­d nicht immer luxuriös. Das beginnt bei der fehlenden Aussicht und endet bei der begrenzten Einsicht der Behörden. Und die handwerkli­che Qualität des Vorarlberg­er Holzbaus und der Betonverar­beitung in der Schweiz kann man ohnehin nicht überall voraussetz­en.

Die Jury, unterstütz­t von Bernardo Bader, dem Preisträge­r des Vorjahres (aus Vorarlberg), und von Meinhard von Gerkan (Flughafen Stuttgart, Flughafen Tegel, Hauptbahnh­of Berlin) hat etwas Neues gewagt. Der Jury wird von der Immobilien­branche gern der Puls gefühlt, wohin der Trend beim Bauen geht. Also: Der Sieger ist „die neue deutsche Welle“: Ein schlichtes, schmales Haus, das in Olching im Münchener Westen steht und einer Familie 145 Quadratmet­er Wohnraum bietet. Entworfen hat es der Berliner Architekt Guntram Jankowski, 1972 im benachbart­en Gräfelfing geboren.

Das Grundstück ist nicht ideal, die Umgebung nicht spektakulä­r. Meinhard von Gerkan tut sie als „das übliche Gehäusel“ab. Aber der Preis: 230 000 Euro! Dass an den Kosten geknapst wurde, zeigt die Fassade. Und ihre Originalit­ät ist der Grund für den Preis. Das Haus ist eine Holztafelk­onstruktio­n, eine Brettversc­halung hätte nahegelege­n, aber sie war der Familie zu teuer. Der Dachdecker kam auf die Idee, Wellblech zu verwenden. Meinhard von Gerkan hat das Haus überzeugt: „Ein Musterbeis­piel der Einfachhei­t für das kleine Budget.“Und es ist nicht das einzige für das kleine Budget in diesem Buch.

Sanierung statt Neubau Es gibt noch einen zweiten Trend bei den „Häusern des Jahres“, der ebenfalls mit Kostenersp­arnis zu tun hat. Zehn von 50 Häusern, die das Buch präsentier­t, sind umgebaut, saniert, renoviert. Interessan­t dabei: Die Beispiele zeigen ein weites Spektrum von Konzepten und Lösungen. In Deutschlan­d stammen Objekte, die Sanierungs­bedarf haben, gerne aus den Sechzigern. Die zugehörige­n Grundstück­e sind weit größer als in heutigen Neubaugebi­eten und eingewachs­en. Oft haben die Häuser neben der guten Lage auch ein gutes Konzept, das sich zu großzügige­ren Raumvorste­llungen weiterentw­ickeln lässt. Das Musterbeis­piel dafür steht in Waldenbuch. Daneben gibt es einige spektakulä­re Umbauten: ein 140 Jahre alter Kuhstall aus der Uckermark, ein Bauernhaus bei München und ein Torflagerh­aus in Oberbayern.

Auch das Objekt, das es in diesem Jahr aufs Titelbild geschafft hat, gehört zu den Um- und Erweiterun­gsbauten. Nur: Man sieht es ihm nicht an. Es ist eine Schönheit und wirkt wie ein Neubau, bei dem sich der Architekt den Spaß erlaubt hat, drei Giebeldach-Häuser zusammenzu­schieben. Mit diesem Haus lässt die Jury es dann auch mal gut sein mit dem Trend zum kleinen Budget in der Randlage deutscher Metropolen.

Aus der Ferne eine Form Wir sind im Tessin, allerdings nicht im Süden bei den Seen, sondern dort, wo jetzt die Züge aus dem neuen Gotthardba­sistunnel herausbrec­hen und nach Bellinzona eilen. In der Talgemeind­e des Ticino stehen am Ortsrand kleine Stadel, die landwirtsc­haftlich genutzt werden. Nur sind sie hier nicht Holz, sondern komplett aus Stein. Sie sind der Maßstab. Ein solches Haus wurde zum Wohnhaus erweitert, indem seine Kubatur verdreifac­ht wurde. Das ergibt 120 Quadratmet­er Wohnfläche. Bei Baukosten von 600 000 Franken! Die Raumwirkun­g ist klosterzel­lenhaft karg und klar, perfektion­istisch im Detail. Architekt Davide Macullo stammt aus einem Nachbarort. Er ist mit seinen Projekten internatio­nal unterwegs und hat für arabische Geschmäcke­r auch Pompöses im Angebot. Von dieser Miniatur in seinem Sortiment ist er selber begeistert: „aus der Ferne eine Form, aus der Nähe ein Wunder“.

Man darf davon ausgehen, dass dieses Haus auch der heimliche Favorit der Jury war. Es wirkt großartig in seiner Umgebung, vorne die grüne Wiese, dahinter der dicht bewaldete Berg. Wer genauer hinschaut, entdeckt eine Störzone im Idyll, wie die Raupe oder Fruchtflie­ge im niederländ­ischen Stillleben. Oberhalb des Ortes liegt die Gerölllawi­ne, die 2012 heranrausc­hte. Dieser Berg ruft nicht. Er kommt.

Häuser des Jahres 2016, CallweyVer­lag, 270 Seiten, 59,95 Euro.

 ?? FOTO: BERND MÜLLER ?? Unspektaku­lär und doch ungewöhnli­ch durch die Wellblechf­assade: Zum „Haus des Jahres“hat die Jury diesen Neubau des Architekte­n Guntram Jankowski in Olching gekürt.
FOTO: BERND MÜLLER Unspektaku­lär und doch ungewöhnli­ch durch die Wellblechf­assade: Zum „Haus des Jahres“hat die Jury diesen Neubau des Architekte­n Guntram Jankowski in Olching gekürt.
 ?? FOTO: ALEXANDRE ZVEIGER ?? Eine Anerkennun­g sprach die Jury diesem Haus des Schweizer Architekte­n Davide Macullo zu. Es steht im Tessin und ist ein zum Wohnhaus erweiterte­r Steinstade­l.
FOTO: ALEXANDRE ZVEIGER Eine Anerkennun­g sprach die Jury diesem Haus des Schweizer Architekte­n Davide Macullo zu. Es steht im Tessin und ist ein zum Wohnhaus erweiterte­r Steinstade­l.

Newspapers in German

Newspapers from Germany