Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Vorlesen verlangt vollen Körpereinsatz
Praktiker aus Poetry Slam und Improvisationstheater geben in Weingarten Pädagogen Tipps zur Vermittlung literarischer Texte an Kinder
WEINGARTEN - Die Schwerpunkte ändern sich von Jahr zu Jahr, wenn die PH Weingarten und das regionale Bildungsbüro für Lehrer, Studenten, ältere Schüler und Eltern Workshops und Kurzseminare zum internationalen Vorlesetag veranstalten. Doch immer geht es darum, wie man bei Kindern Lust aufs Lesen wecken kann. Diesmal lag der Schwerpunkt bei Text und Performance mit Poetry Slam und Improvisationstheater.
Jürgen Belgrad und Ludger Baum hatten dazu am Freitagnachmittag eine illustre Expertenrunde eingeladen, die sich nicht lange mit theoretischen Erläuterungen aufhielt, sondern das Thema sehr schnell praktisch anging. Auch die beiden Grußwortredner – der Weingartener Oberbürgermeister Markus Ewald in seiner Funktion als Schirmherr und Joachim Simon, Dezernent für Allgemeine Verwaltung, Kultur und Bürgerservice beim Landratsamt – wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, andere Menschen durch einen lebendigen Textvortrag für eine Idee zu begeistern.
In ihrem Einladungsflyer hatten die Veranstalter eine AllensbachStudie aus dem Jahr 2007 angeführt, aus der hervorgeht, dass fast 60 Prozent der Kommunikation über die Körpersprache ablaufen und jeweils nur etwa 20 Prozent über die Stimme und den reinen Textinhalt. Schauspieler, die auf der Bühne oder im Film agieren, können diese Körpersprache wirkungsvoll einsetzen. Beim reinen Textvortrag gilt es, bei den Zuhörern auf andere Weise ein Kino im Kopf der Zuhörer zu kreieren.
Der aus Tschechien stammende und in München lebende Kinderbuchautor und Gewinner zahlreicher Slam-Wettbewerbe, Jaromir Konecny, berichtete anhand einer Episode aus seinem eigenen Leben, wie schwer sich Jungs in der Pubertät tun, das Mädchen ihres Herzens mit einem coolen Spruch für sich zu gewinnen, weil ihnen im passenden Moment fast immer das Unpassendste einfällt.
Mit diesem Handicap schleppen sich viele eine Leben lang herum. Sein Lösungsvorschlag lautet, frühkindliche Sprachförderung immer mit einem Training der Feinmotorik und Körperschulung zu verknüpfen, weil beides die Gehirnfunktion anregt. Jonglieren mit drei oder mehr Bällen sei hierfür ein hervorragendes Hilfsmittel.
Beim Poetry Slam ist es allerdings strikt untersagt, klärte Nikita Gorbunow die Zuhörer auf. Er sei ein reiner Dichterwettstreit, bei dem das Publikum über Sieg und Niederlage entscheidet. „Weil das Ergebnis immer ungerecht ist und jedes mal ein anderer gewinnt, verliert man auf der Bühne auch kein böses Wort über seine Konkurrenten“, berichtete der Veranstalter solcher Wettbewerbe, von denen er auch selbst viele gewonnen hat.
Es braucht ein bisschen Mut Häufig fassen jugendliche Zuhörer plötzlich den Mut, sich selbst auf die Bühne zu stellen, erzählte Tobias Heyel, der unter anderem die jährlichen Workshoptage des Vereins „sprachmächtig e. V.“am Ravensburger Jugendhaus begleitet und zwei Schülerinnen mitgebracht hat, damit sie eigene Texte vor einem erlauchten Auditorium im Festsaal der PH Weingarten vortragen. Nicht nur die beiden Veranstalter waren beeindruckt von der inhaltlichen Tiefe, die diese literarische Kurzform bei Jugendlichen hervorbringen kann.
In eine ganz andere Richtung zielte der Beitrag des Schauspieler- Paares Jutta Klawuhn und Alex Niess, die nicht nur am Theater Ravensburg regelmäßig mit ihrem Improvisationstheater auftreten, sondern auch häufig mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.
Anhand von Stichwörtern, die aus dem Publikum zugeworfen werden, entwickeln die beiden kurze Szenen, in denen sie spontan in verschiedene Rollen schlüpfen. Welch ein Kontrast zu manch dröger Deutschstunde in der Schule oder dem krampfhaften Versuch mancher Eltern, ihre Sprösslinge für die hohe Dichtkunst zu begeistern. SEITE 3