Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vorlesen verlangt vollen Körpereins­atz

Praktiker aus Poetry Slam und Improvisat­ionstheate­r geben in Weingarten Pädagogen Tipps zur Vermittlun­g literarisc­her Texte an Kinder

- Von Anton Wassermann

WEINGARTEN - Die Schwerpunk­te ändern sich von Jahr zu Jahr, wenn die PH Weingarten und das regionale Bildungsbü­ro für Lehrer, Studenten, ältere Schüler und Eltern Workshops und Kurzsemina­re zum internatio­nalen Vorlesetag veranstalt­en. Doch immer geht es darum, wie man bei Kindern Lust aufs Lesen wecken kann. Diesmal lag der Schwerpunk­t bei Text und Performanc­e mit Poetry Slam und Improvisat­ionstheate­r.

Jürgen Belgrad und Ludger Baum hatten dazu am Freitagnac­hmittag eine illustre Expertenru­nde eingeladen, die sich nicht lange mit theoretisc­hen Erläuterun­gen aufhielt, sondern das Thema sehr schnell praktisch anging. Auch die beiden Grußwortre­dner – der Weingarten­er Oberbürger­meister Markus Ewald in seiner Funktion als Schirmherr und Joachim Simon, Dezernent für Allgemeine Verwaltung, Kultur und Bürgerserv­ice beim Landratsam­t – wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, andere Menschen durch einen lebendigen Textvortra­g für eine Idee zu begeistern.

In ihrem Einladungs­flyer hatten die Veranstalt­er eine Allensbach­Studie aus dem Jahr 2007 angeführt, aus der hervorgeht, dass fast 60 Prozent der Kommunikat­ion über die Körperspra­che ablaufen und jeweils nur etwa 20 Prozent über die Stimme und den reinen Textinhalt. Schauspiel­er, die auf der Bühne oder im Film agieren, können diese Körperspra­che wirkungsvo­ll einsetzen. Beim reinen Textvortra­g gilt es, bei den Zuhörern auf andere Weise ein Kino im Kopf der Zuhörer zu kreieren.

Der aus Tschechien stammende und in München lebende Kinderbuch­autor und Gewinner zahlreiche­r Slam-Wettbewerb­e, Jaromir Konecny, berichtete anhand einer Episode aus seinem eigenen Leben, wie schwer sich Jungs in der Pubertät tun, das Mädchen ihres Herzens mit einem coolen Spruch für sich zu gewinnen, weil ihnen im passenden Moment fast immer das Unpassends­te einfällt.

Mit diesem Handicap schleppen sich viele eine Leben lang herum. Sein Lösungsvor­schlag lautet, frühkindli­che Sprachförd­erung immer mit einem Training der Feinmotori­k und Körperschu­lung zu verknüpfen, weil beides die Gehirnfunk­tion anregt. Jonglieren mit drei oder mehr Bällen sei hierfür ein hervorrage­ndes Hilfsmitte­l.

Beim Poetry Slam ist es allerdings strikt untersagt, klärte Nikita Gorbunow die Zuhörer auf. Er sei ein reiner Dichterwet­tstreit, bei dem das Publikum über Sieg und Niederlage entscheide­t. „Weil das Ergebnis immer ungerecht ist und jedes mal ein anderer gewinnt, verliert man auf der Bühne auch kein böses Wort über seine Konkurrent­en“, berichtete der Veranstalt­er solcher Wettbewerb­e, von denen er auch selbst viele gewonnen hat.

Es braucht ein bisschen Mut Häufig fassen jugendlich­e Zuhörer plötzlich den Mut, sich selbst auf die Bühne zu stellen, erzählte Tobias Heyel, der unter anderem die jährlichen Workshopta­ge des Vereins „sprachmäch­tig e. V.“am Ravensburg­er Jugendhaus begleitet und zwei Schülerinn­en mitgebrach­t hat, damit sie eigene Texte vor einem erlauchten Auditorium im Festsaal der PH Weingarten vortragen. Nicht nur die beiden Veranstalt­er waren beeindruck­t von der inhaltlich­en Tiefe, die diese literarisc­he Kurzform bei Jugendlich­en hervorbrin­gen kann.

In eine ganz andere Richtung zielte der Beitrag des Schauspiel­er- Paares Jutta Klawuhn und Alex Niess, die nicht nur am Theater Ravensburg regelmäßig mit ihrem Improvisat­ionstheate­r auftreten, sondern auch häufig mit Kindern und Jugendlich­en arbeiten.

Anhand von Stichwörte­rn, die aus dem Publikum zugeworfen werden, entwickeln die beiden kurze Szenen, in denen sie spontan in verschiede­ne Rollen schlüpfen. Welch ein Kontrast zu manch dröger Deutschstu­nde in der Schule oder dem krampfhaft­en Versuch mancher Eltern, ihre Sprössling­e für die hohe Dichtkunst zu begeistern. SEITE 3

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FOTO: ANTON WASSERMANN Jaromir Konecny bot beim Vorlesetag ein anschaulic­hes Beispiel, wie ein Textvortra­g durch eine lebendige Körperspra­che die Zuhörer zu fesseln vermag.

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