Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mehr Gewalt in den Notaufnahmen
Immer mehr Kliniken setzen auf Sicherheitsleute, um Patienten und Personal vor aggressiven Besuchern zu schützen
RAVENSBURG (mah) - In den Krankenhäusern der Region kommt es immer häufiger zu Beleidigungen und Handgreiflichkeiten – vor allem in und nahe der Notaufnahmen. Viele Kliniken setzen auf einen eigenen Wachschutz, um Mitarbeiter und Patienten zu schützen. So schieben etwa an der Ravensburger Oberschwabenklinik jede Nacht zwei Sicherheitsleute Wache. Dort kommt es mehrmals in der Woche zu Zwischenfällen. Bis zu dreimal im Monat müssen Störer sogar fixiert werden.
RAVENSBURG - Krankenhaus St. Elisabeth, Dienstagabend, 22 Uhr: Ein Arzt huscht durch die lichtdurchfluteten Gänge. Hier und da sind leise Gespräche zu hören. Es ist angenehm ruhig in der Notaufnahme der Ravensburger Klinik. Doch die Ruhe ist trügerisch. Jede Minute kann sie sich ins Gegenteil verkehren. Wann genau die Störer kommen, weiß niemand. Aber es ist damit zu rechnen, dass sie kommen. Dann grölen sie, zerstören Zimmer, bedrohen Pfleger oder beschimpfen Pflegerinnen als Schlampen. „Es ist schlimm geworden“, sagt Chefarzt Franz Maurer. Man könne sich nicht vorstellen, wie häufig die Mitarbeiter mittlerweile mit Anzüglichkeiten, Beleidigungen und sogar Handgreiflichkeiten zu tun hätten. Deshalb leistet sich das Elisabethenkrankenhaus zwei Sicherheitsleute, die allnächtlich von 20 Uhr bis 6 Uhr Wache schieben. Diese zusätzlichen Kosten nehmen immer mehr Kliniken in Kauf, um ihrer aggressiven und alkoholisierten Besucher Herr zu werden.
Bei Krawall Hausverbot Breitschultrig und mit wachem Blick steht Ali Nuri vor dem Eingang der zentralen Notaufnahme in Ravensburg. Der durchtrainierte Bodybuilder ist die erste Person, die Ankommende dort zu später Stunde sehen. Freundlich begrüßt er die Leute, begleitet sie oder schiebt ihren Rollstuhl. „Es macht mir einfach Spaß, anderen zu helfen“, sagt der 43-Jährige. Er öffnet zwar jedem die Tür, der dort klingelt, achtet aber darauf, dass in der Regel außer dem Patienten nur noch eine Begleitperson die Klinik betritt. Wer sich weigert und Krawall macht, bekommt Hausverbot und muss das Gelände verlassen. Ausnahmen gibt es aber für Familien. Den Grund für die strenge Maßnahme erläutert Kliniksprecher Winfried Leiprecht: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es oft die Angehörigen der Patienten sind, die Konflikte verursachen.“Meistens reiche aber allein die Anwesenheit des Sicherheitspersonals, um für Ruhe zu sorgen.
„Es ist sowohl für die Patienten als auch das Klinikpersonal wichtig, dass sie nicht nur weiße, sondern auch schwarze Kittel sehen“, sagt Sylvi Riedl, Geschäftsführerin des Sicherheitsdienstes SWS. Dennoch ließen sich nicht alle Unruhestifter direkt von dunklen Uniformen abschrecken. „Wenn es unruhig wird, hilft es meist schon, zuzuhören und beruhigend auf die Betroffenen einzureden“, erklärt Ali Nuri, der neben Deutsch und Englisch auch die Sprachen Persisch, Kurdisch, Arabisch und Dari beherrscht und deshalb regelmäßig als Dolmetscher eingesetzt wird. Dadurch räumt er unnötige Missverständnisse schon von vornherein aus dem Weg oder nimmt notfalls eine vermittelnde Rolle zwischen den Konfliktparteien ein.
Aufgrund seines Sprachtalents kann Nuri den Ärzten beispielsweise mitteilen, welche Medikamente die Patienten nehmen oder welche Allergien sie haben. Diesen und ihren Angehörigen wiederum erklärt er das weitere Vorgehen der Ärzte oder warum sie länger warten müssen. Dadurch begreifen sie leichter, dass etwa die Notoperation eines schwer verletzten Unfallopfers im Nebenraum Vorrang hat vor einer Bagatelle. „Manchmal muss ich aber trotzdem laut und bestimmend werden“, sagt das Kraftpaket.
Bei durchschnittlich 650 Patienten in der Woche müssen laut Leiprecht zurzeit etwa fünf von den Sicherheitsleuten bewacht werden. Diese stehen dann im oder vor dem Behandlungsraum und beobachten die Situation. Mehr als 33 000 Personen würden jährlich die Notaufnahme aufsuchen – ein Plus von 50 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Knapp ein Drittel wird anschließend stationär aufgenommen.
Während Ali Nuri aufpasst, dass niemand die Pforte zuparkt, sieht sein Kollege Christian Stross in dem weitläufigen Gebäude nach dem Rechten. Bei seinen mehrstündigen Touren vom Tiefgeschoss bis auf die höchste Ebene achtet der 27-Jährige mit allen Sinnen darauf, dass der
Chefarzt Franz Maurer
Brandschutz gewährleistet ist, Türen geschlossen sowie Notausgänge frei sind und dass keine Störungen bei der Technik vorliegen. Beide Wachmänner halten ständig per Handy Kontakt, um im Ernstfall schnell reagieren zu können. Denn in manchen Fällen helfen Worte nicht weiter, dann sind Taten gefordert: Ein- bis zweimal im Monat müssen sie härter eingreifen und Randalierer fixieren. Fünf- bis sechsmal jährlich müssen sie sogar noch einen dritten Kollegen aus dem Bereitschaftsdienst hinzurufen. „Die Gewaltbereitschaft hat ohne Frage zugenommen. Hemmschwellen sind gesunken. Es gibt keine Alternative zur Security“, betont Franz Maurer. Seine Notaufnahme sei ein Spiegelbild einer aggressiver werdenden Gesellschaft. Auch am zweiten Standort der Oberschwabenklinik in Bad Waldsee schiebt nachts ein Wachmann Dienst. Dort komme es zwar zu weniger Zwischenfällen, erklärt Winfried Leiprecht. Aber weil nicht die ganze Nacht ein Polizeiposten am Ort sei, dauere es im Zweifel lange, bis das Personal Hilfe bekommt. Wie in Ravensburg gilt auch in Bad Waldsee: Tagsüber sind genug Pflegekräfte und Ärzte im Dienst, um bei Zwischenfällen ihren Kollegen zu Hilfe zu eilen. Im Nachtdienst aber arbeiten wesentlich weniger Angestellte, darunter der Großteil Frauen. Leiprecht: „Unsere Klinik in Bad Waldsee ist vergleichweise klein. Der Wachschutz sichert nicht nur Gebäude und Personal, sondern hilft zum Beispiel auch am Empfang aus.“
Am Standort Wangen gibt es dagegen laut Leiprecht bisher noch keinen Bedarf für einen Wachdienst. Das Problem der Klinik ist neben der steigenden Zahl der Konflikte noch ein anderes: die Kosten. Die Oberschwabenklinik muss die Kosten selbst tragen, Krankenkassen leisten keine Zuschüsse, der Träger – also der Kreis Ravensburg – muss einspringen. „Eine Stunde Arbeitszeit für einen Sicherheitsmann kostet im Schnitt zwischen 15 und 17 Euro. Das Geld ersetzt uns niemand“, sagt Winfried Leiprecht.
Die Klinik in Friedrichshafen setzt seit einigen Jahren ebenfalls nachts einen Wachdienst ein. Pressesprecherin Susann Ganzert kann zwar keine genauen Zahlen zur Entwicklung der Zwischenfälle nennen, bestätigt aber die Beobachtungen in Ravensburg. „Ich arbeite seit zwölf Jahren hier, und das Problem hat sich deutlich verstärkt.“Ganz grundsätzlich hätten Beschwerden zugenommen. „Viele Menschen denken, ein Krankenhaus sei ein Hotel. Und dass sie Ansprüche haben, die umgehend bedient werden müssen“, erklärt Ganzert. Oft sei die Hemmschwelle gering, Konflikte eskalierten innerhalb weniger Sekunden. Ärzte oder Schwestern lassen sich nachts manchmal vom Wachmann zum Parkplatz begleiten. Der Weg dorthin führt durch ein Waldstück und viele haben Angst, ein Konflikt aus der Nachtschicht könnte dort seine gewaltsame Fortsetzung finden. Die Klinik schult das Personal darüber hinaus gezielt, um bei Streitfällen reagieren zu können.
Streit wegen Wartezeiten Das Sana-Klinikum in Biberach heuerte während des diesjährigen Schützenfestes erstmals einen Wachdienst an. „Wir haben über die vergangenen Jahre festgestellt, dass das Aggressionspotenzial während des Festes steigt, wenn teils erhebliche Mengen Alkohol im Spiel sind“, begründet Sprecher Pascal Petry den Schritt. Ansonsten komme es auch hier vor allem wegen der Wartezeiten zu Streit mit Patienten. Das Team der Notaufnahme handelt nach dem sogenannten „Manchester-Triage-System“. Dieses sieht vor, dass Ärzte Fälle nach deren Schwere behandeln und nicht danach, wie lange jemand bereits wartet. Nur so lasse sich die steigende Zahl von Patienten sinnvoll bewältigen, so Petry. Denn: „Darunter befinden sich zahlreiche Patienten, die sich mit ihren Beschwerden eigentlich beim Hausarzt beziehungsweise dem kassenärztlichen Notdienst vorstellen müssten.“Weil es aber bisher keine körperliche Attacken gab, sei der Wachdienst in Biberach nicht regelmäßig im Einsatz.
„Die Gewaltbereitschaft hat ohne Frage zugenommen. Hemmschwellen sind gesunken.“