Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das Christentum verliert seine Wurzeln im Nahen Osten
Andreas Knapp glaubt an die friedensstiftende Kraft der Religionen – Sein Buch „Die letzten Christen“gleicht einem Abgesang auf die Wiege des Christentums
ndreas Knapp ist nicht als Berichterstatter aus Krisengebieten bekannt, dennoch hat er jetzt ein Buch über den Irak geschrieben. Der 58-jährige Priester und Poet hat sich bisher vor allem durch spirituelle Texte und Gedichte einen Namen gemacht. In christlichen Kreisen stehen Knapps Werke für Tiefgang und Nähe zu den Ursprüngen des Glaubens. Vor mehr als zehn Jahren hat sich der promovierte Theologe aus Freiburg den Kleinen Brüdern vom Evangelium angeschlossen und lebt seither in einer Ordensgemeinschaft in Leipzig. Die Gemeinschaft gilt als Wegweiser für eine neue Gestalt einer entglorifizierten Kirche, für die auch Papst Franziskus steht.
Die Solidarität mit den Bedürftigen, Armen, Ausgeschlossenen und Leidenden ist für den katholischen Priester Programm. Er verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Hilfsjobs, arbeitet in der Gefängnisseelsorge und hilft in einer Pfarrei in Leipzig-Grünau aus. Darüber hinaus schreibt er über die Suche nach Gott, Geschichten gegen den Tod, Gedichte zum Glauben und Kinderbücher. Das jetzt vorliegende Buch mit dem Titel „Die letzten Christen“ist alles andere als geistliche Poesie. Es gleicht eher einem Abgesang auf die Wiege des Christentums im Nahen Osten. In 19 Kapiteln nimmt Knapp den Leser auf eine Reise in den Irak mit. Die Menschen, die er dort trifft, und die Geschichten, die sie ihm erzählen, lassen wenig Hoffnung aufkommen, dass die Konflikte und Kriege im Nahen Osten ein baldiges und gutes Ende nehmen.
Für den Tenor des Buches passt es gut, dass eine Beerdigung Anlass der Reise war. Als noch Hunderttausende Flüchtlinge auf der Balkanroute nach Europa unterwegs waren, machten sich Knapp und sein Begleiter Yousif, ein aus Mossul geflüchteter aramäischer Christ, Anfang November 2015 per Flugzeug auf den Weg nach Erbil, einer Stadt im autonomen Kurdengebiet des Nordirak. In dem Vorort Ankawa lebten Tausende Flüchtlinge, die weiter nach Europa wollten. Yousif wollte an der Beerdigung seines Vaters teilnehmen, kam aber zu spät.
In der Region sind Islamisten seit Jahren dabei, das Christentum auszurotten. Knapp blendet in Exkursen weit in die Geschichte der Kirche des Ostens zurück, in eine Zeit, in der sich Christentum und Islam mit Respekt begegneten. Doch die Polemik begann schon vor 1000 Jahren, als die Türken Kleinasien eroberten. Und sie setzt sich bis heute fort: Nach dem Einmarsch von US-Truppen und dem Sturz des Diktators Saddam Hussein im Jahr 2003 hat sich ihre Lage noch verschlimmert. Sie wurden von den neuen Machthabern für den „Kreuzzug“der Amerikaner in Sippenhaft genommen und mit Terror überzogen. Der sogenannte Islamische Staat (IS), der sich um ehemalige Geheimdienstoffiziere der irakischen Streitkräfte gebildet hatte, ging noch viel radikaler vor. Die Terrormiliz sprengte in den von ihnen besetzten Gebieten Klöster und Kirchen, verschleppte, vertrieb und ermordete alle, die nicht bereit waren, sich ihnen anzuschließen. Für Knapp sind diese Massaker im Irak und Syrien ein Menetekel dafür, dass „wir gerade dabei sind, unsere Wurzeln zu verlieren“.
Die Ausbreitung eines Islam, der religiöse Überzeugung und politische Macht vermengt und sich gegenüber Andersgläubigen intolerant gebärdet, macht Christen, Chaldäer, Jesiden und andere zu Rechtlosen und entzieht ihnen die Lebensgrundlagen. Viele der letzten Christen sitzen im Land ihrer Väter auf gepackten Koffern, weiß Knapp. Selbst in Deutschland können sie sich nicht mehr sicher fühlen, wie der Autor von syrischen Christen aus Leipzig berichtet. Es sei nicht nur die rechte Szene, die ihnen zusetzt. In Asylunterkünften werden sie nicht selten von muslimischen Mitbewohnern diskriminiert und unter Druck gesetzt.
Knapp argumentiert nicht ideologisch, spricht nicht von Leitkultur, sondern plädiert für das säkulare Staatsmodell. Wer Religion zur absoluten Richtschnur für die Beantwortung politischer und gesellschaftlicher Fragen erhebe, drifte in die Barbarei ab. Pluralismus sei im religiösen Bereich möglich. Vielfalt habe sich unter den Kirchen in der ökumenischen Bewegung durchgesetzt. Aber auch interreligiös könne sie unter gleichberechtigten Partnern funktionieren und in einen fruchtbaren Dialog münden.
Das Gebot der Stunde sei ein Bündnis zwischen religiösen Strömungen, die nicht mehr in den Kategorien von gläubig und ungläubig urteilen, die auf Gewaltfreiheit setzen, und die die friedensstiftende Kraft der Religionen aktivieren. Knapp ist überzeugt: Alle Religionen haben einen friedlichen Kern und sind auf Versöhnung ausgerichtet. Sobald aber politische Machtansprüche hinzukommen, werden sie gewalttätig und stacheln zu Kreuzzügen gegen Andersgläubige auf. Das Christentum hat diese Phase schon einmal überwunden, der Islam noch nicht. Er muss sich dringend reformieren.
Andreas Knapp, Die letzten Christen. Flucht und Vertreibung aus dem Nahen Osten, 2016, AdeoVerlag, 256 S., 17,99 Euro