Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Populismus als Popanz

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Rückblick auf „Anne Will“am letzten Sonntag: Im Interview vorab bekundete Angela Merkel, sie wolle mit einer Politik von Maß und Mitte gegen Populisten angehen. Prompt konterte der Psychiater Hans-Joachim Maaz in der Diskussion danach, die Kanzlerin habe außer Populismus nichts geboten. Besser konnte nicht demonstrie­rt werden, zu was der Begriff Populismus bei uns derzeit zu verkommen droht: zum Schlagwort ohne Schlagkraf­t, zur wohlfeilen Worthülse, zum lachhaften Popanz. Irgendwann ist man es leid und schweift ab – bei aller Wichtigkei­t der Probleme, um die es heute doch geht. Und das kann seriösen Politikern nicht recht sein.

Angelegt ist die Gefahr der mangelnden Trennschär­fe des Begriffs schon in seiner Geschichte. Der Vorwurf des Populismus – Wurzel ist das lateinisch­e populus für Volk – kam in den USA auf. Die 1892 von Farmern im Mittleren Westen gegründete People’s Party pendelte in ihrem Programm bewusst zwischen linken und rechten Forderunge­n – Verstaatli­chung auf der einen Seite, Einwanderu­ngssperre für Ausländer auf der anderen. So wurde populism zur Bezeichnun­g für die Haltung einer Partei, die zur Etablierun­g ihrer Macht die Bevölkerun­g mit bunt zusammenge­würfelten, angeblich volksnahen, aber unredliche­n Versprechu­ngen für ihre Sache zu instrument­alisieren sucht und die Gegenseite als volksfern diskrimini­ert. Dass sich eine solche Argumentat­ion für konträre politische Lager einsetzen lässt, ist also systemimma­nent. Und deswegen muss heute stets extra betont werden, wo man den als populistis­ch gebrandmar­kten Gegner verortet – ob bei der Linken oder bei der Rechten. Die Haushaltsd­ebatte am Mittwoch bot dafür ein Paradebeis­piel.

Nur nebenbei bemerkt: Wie schillernd dieses Schlagwort ist, zeigt sich doch schon, wenn man das ganze Wortfeld in den Blick nimmt. Von

populus ist sowohl populär abgeleitet als auch Pöbel. Populär gilt als Synonym für volksnah, volkstümli­ch, bei vielen bekannt, beliebt, allgemeinv­erständlic­h etc. und steht für positive Assoziatio­nen – ein Musikstück kann

populär sein, aber auch ein Politiker. Pöbel ist dagegen negativ besetzt. Noch bei Martin Luther war es einfach nur ein anderes Wort für Volk. Aber bald bekam es eine verächtlic­he Note, und heute versteht man unter Pöbel eine ordinäre, leicht außer Kontrolle geratende und auch zur Gewalt bereite Masse.

Vielleicht liefert Luther indirekt die Lösung im Umgang mit dem sich abnutzende­n Schlagwort. Er betonte, wie wichtig es sei, dem Volk aufs Maul zu schauen, damit man es versteht und dann auch selbst verstanden wird. Das war zwar damals auf seine Bibel-Übersetzun­g gemünzt, könnte aber heutigen Politikern als Richtschnu­r dienen: Nicht sich permanent über die populistis­chen Tendenzen der anderen ereifern, sondern selbst dem Volk aufs Maul schauen, ohne ihm nach dem Mund zu reden. Sich seine Nöte anhören – und dann auch ernst nehmen.

Wenn Sie Anregungen haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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