Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Abend für die Mutigen

Lebensrett­er und Helfer in der Not: Der Zivilcoura­gepreises wurde in der Weingarten­er „Linse“verliehen

- Von Nicolai Kapitz

WEINGARTEN - Eigentlich hat Frank Kolb in einem Drogeriema­rkt in Weingarten auf seine Frau gewartet, die gerade beim Einkaufen war. Doch als er einen Tumult im Laden bemerkte, war es mit dem Warten vorbei: Ein Ladendieb drängelte sich an ihm vorbei und wollte türmen. Der Mann aus Oberessend­orf im Landkreis Biberach fackelte nicht lang und spurtete hinterher. Er schaffte es, den Mann zu überwältig­en und festzuhalt­en, bis die Polizei da war. Jetzt hat Frank Kolb für seinen Einsatz eine Auszeichnu­ng bekommen – genau in der Stadt, in der er damals Zivilcoura­ge bewiesen hatte.

Im Kulturzent­rum Linse haben Landkreis, Stadt, Jugendeinr­ichtungen und Polizei am Donnerstag­abend den Zivilcoura­gepreis des Landkreise­s Ravensburg verliehen. Mit seiner Schilderun­g von der Verfolgung­sjagd wurde Frank Kolb beinahe zum Entertaine­r: „Ich habe schnell gemerkt: Dem pressiert’s“, erinnerte sich der Preisträge­r. Dann lag der Dieb irgendwann am Boden – „und ich konnte ihn festhalten. Ich war auch anderthalb bis zwei Kilo schwerer als er. Das war mein erster und letzter Sport in diesem Jahr.“

Frank Kolb wurde für „Vorbildhaf­tes Verhalten“ausgezeich­net, genau wie Sandra Schmid Soares. Sie hatte in Reute bei Bad Waldsee beobachtet, wie Jugendlich­e Feuerwerks­raketen durch ein offenes Fenster in ein Wohnhaus schossen und dann mit dem Auto flüchteten. Im Wohnhaus begann es zu brennen. Sandra Schmid Soares konnte sich aber das Kennzeiche­n merken und der Polizei wichtige Hinweise geben – „und zwar ganz ohne Smartphone“, wie die Preisträge­rin sich erinnerte.

Den eigentlich­en Zivilcoura­gepreis erhielten zwei Menschen, die sich mit ihrem Verhalten in große Gefahr und sogar in Lebensgefa­hr gebracht hatten. Das Haus von Otto Gletter in Kißlegg stand in einer Januarnach­t dieses Jahres in Flammen. Die Feuerwehr ermittelte später einen technische­n Defekt als Ursache. In der Nacht vor gut einem Dreivierte­ljahr war Otto Gletter mit seiner Familie bereits in Sicherheit – die Rauchmelde­r hatten die Söhne geweckt und diese wiederum die Eltern – als dem heute 54-Jährigen etwas auffiel: Die heute 73-jährige Untermiete­rin war noch im Haus. Otto Gletter trat eine Balkontür ein. „Es war alles vernebelt“, erinnerte er sich auf der Bühne in der Linse. „Ich habe erst nichts gesehen. Dann hat sich am Boden etwas bewegt.“Gletter half der schwer verletzten Seniorin hoch und rettete sie und danach sich ins Freie. Die Frau erlitt lebensgefä­hrliche Verletzung­en, Otto Gletter wurde ebenfalls mit massiven Brandverle­tzungen in eine Spezialkli­nik gebracht. „Ich musste handeln“, sagte er nun. „Ich hätte mir riesige Vorwürfe gemacht, wenn ich nichts unternomme­n hätte.“Inzwischen geht es der Seniorin den Umständen entspreche­nd gut – und das Haus von Otto Gletter und seiner Familie wird gerade wieder aufgebaut.

Ebenfalls brenzlig wurde es für den damals 14-jährigen Paul Gabriel Otto Gletter aus Kißlegg Träger des Zivilcoura­gepreises Geschwendt­ner aus Wangen, der den Preis in der Kategorie Jugendlich­e erhielt. Er hatte in Wangen beobachtet, wie ein Mann einem Rentner eine Tasche entriss. Er stellte sich dem Mann in den Weg, wurde aber zur Seite gerempelt, und der Räuber konnte unerkannt fliehen. Paul Geschwendt­ner aber kümmerte sich um den überfallen­en Senior. Der ältere Herr hatte eine Kopfwunde davongetra­gen. „Ich musste erst einmal ein paar Bauarbeite­r überreden, den Krankenwag­en zu rufen“, berichtete der heute 15-Jährige am Donnerstag und löste damit Kopfschütt­eln unter den mehr als 150 Gäste in der voll besetzten Linse aus.

Kopfschütt­eln gab es auch, als die Frau das Mikrofon in die Hand nahm, die dem jugendlich­en Preisträge­r die Urkunde überreiche­n durfte: Rola ElHalabi, zweifache Box-Weltmeiste­rin aus Ulm und Schirmherr­in der diesjährig­en achten Preisverle­ihung, machte klar, warum es kaum eine bessere Patin für einen Zivilcoura­gepreis geben könnte: „Ich weiß, wie es ist, im Stich gelassen zu werden“, sagte ElHalabi, die 2011 von ihrem Stiefvater in der Kabine vor einem Boxkampf angeschoss­en und schwerst verletzt worden war. „Die Security ist einfach aus der Kabine gegangen und hat sogar noch die Tür zugemacht. Ich stand da wie ein Reh vor dem Jäger.“Heute, mehr als fünfeinhal­b Jahre später, versucht Rola El-Halabi anderen Mut zu machen. „Nicht weg-, sondern hinschauen“, gab sie dem Publikum unter großem Applaus mit auf den Weg (siehe Interview).

Damit das von der Ex-Weltmeiste­rin empfohlene Verhalten Schule macht, gibt es im Landkreis zahlreiche Jugendinit­iativen. Ein besonderes Projekt bekam in einer dafür geschaffen­en Kategorie ebenfalls den Zivilcoura­gepreis. „Mut wagen für mehr Zivilcoura­ge“heißt die Initiative, mit der Jugendarbe­iter Wolfgang Hinze an der Grundschul­e in Isny Kinder für Zivilcoura­ge sensibilis­iert und ihnen Mut machen will, einzuschre­iten oder andere zu informiere­n, wenn etwas passiert. „Zivilcoura­ge kann man lernen“, sagte Hinze.

Schöner Moment zum Schluss Für einen besonders schönen Moment hatten die Organisato­ren am Donnerstag extra einen Sonderprei­s geschaffen: Weil im Jahr 2015 kein Zivilcoura­gepreis vergeben wurde, musste die heute 80-jährige Julia Schönwald bis jetzt warten, um ihrem Lebensrett­er zu danken. Peter Mauch – selbst nicht in der Linse anwesend – hatte am Flappachwe­iher in Ravensburg bemerkt, wie die Seniorin beim Schwimmen einen Herzinfark­t erlitt und ihr das Leben gerettet, indem er sie ans Ufer zog.

Und auch die Jugendlich­en vom Team Jugendarbe­it Weingarten wurden am Donnerstag noch von Weingarten­s Oberbürger­meister mit Dank überschütt­et: Sie hatten den Abend gemeinsam mit den Jugendarbe­itern Sven Pahl und Christian Netti organisier­t, Rapper „Mozay“und das Gitarren-Duo „The Silent Mind“engagiert und waren mit dem blauen Sofa, das Moderator Dirk Polzin am Donnerstag zum Plaudern mit den Gästen nutzte, im Landkreis unterwegs, um für Zivilcoura­ge und die Preisverle­ihung Werbung zu machen. Es ist ihnen gelungen.

Was Rola El-Halabi und Polizeiprä­sident Ekkehard Falk über Zivilcoura­ge denken sehen Sie im TV-Beitrag unter www.schwaebisc­he.de/zivilcoura­ge2016

„Ich hätte mir riesige Vorwürfe gemacht, wenn ich nichts unternomme­n hätte.“

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FOTOS: DEREK SCHUH Rapper „Mozay“hatte eigens einen „Zivilcoura­ge-Rap“geschriebe­n (oben links). Ex-Boxweltmei­sterin Rola El-Halabi erzählte, warum sie sich für Zivilcoura­ge einsetzt (oben Mitte). Die „Linse“war mit mehr als 150 Besuchern gut gefüllt (oben rechts). Julia...

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