Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Abend für die Mutigen
Lebensretter und Helfer in der Not: Der Zivilcouragepreises wurde in der Weingartener „Linse“verliehen
WEINGARTEN - Eigentlich hat Frank Kolb in einem Drogeriemarkt in Weingarten auf seine Frau gewartet, die gerade beim Einkaufen war. Doch als er einen Tumult im Laden bemerkte, war es mit dem Warten vorbei: Ein Ladendieb drängelte sich an ihm vorbei und wollte türmen. Der Mann aus Oberessendorf im Landkreis Biberach fackelte nicht lang und spurtete hinterher. Er schaffte es, den Mann zu überwältigen und festzuhalten, bis die Polizei da war. Jetzt hat Frank Kolb für seinen Einsatz eine Auszeichnung bekommen – genau in der Stadt, in der er damals Zivilcourage bewiesen hatte.
Im Kulturzentrum Linse haben Landkreis, Stadt, Jugendeinrichtungen und Polizei am Donnerstagabend den Zivilcouragepreis des Landkreises Ravensburg verliehen. Mit seiner Schilderung von der Verfolgungsjagd wurde Frank Kolb beinahe zum Entertainer: „Ich habe schnell gemerkt: Dem pressiert’s“, erinnerte sich der Preisträger. Dann lag der Dieb irgendwann am Boden – „und ich konnte ihn festhalten. Ich war auch anderthalb bis zwei Kilo schwerer als er. Das war mein erster und letzter Sport in diesem Jahr.“
Frank Kolb wurde für „Vorbildhaftes Verhalten“ausgezeichnet, genau wie Sandra Schmid Soares. Sie hatte in Reute bei Bad Waldsee beobachtet, wie Jugendliche Feuerwerksraketen durch ein offenes Fenster in ein Wohnhaus schossen und dann mit dem Auto flüchteten. Im Wohnhaus begann es zu brennen. Sandra Schmid Soares konnte sich aber das Kennzeichen merken und der Polizei wichtige Hinweise geben – „und zwar ganz ohne Smartphone“, wie die Preisträgerin sich erinnerte.
Den eigentlichen Zivilcouragepreis erhielten zwei Menschen, die sich mit ihrem Verhalten in große Gefahr und sogar in Lebensgefahr gebracht hatten. Das Haus von Otto Gletter in Kißlegg stand in einer Januarnacht dieses Jahres in Flammen. Die Feuerwehr ermittelte später einen technischen Defekt als Ursache. In der Nacht vor gut einem Dreivierteljahr war Otto Gletter mit seiner Familie bereits in Sicherheit – die Rauchmelder hatten die Söhne geweckt und diese wiederum die Eltern – als dem heute 54-Jährigen etwas auffiel: Die heute 73-jährige Untermieterin war noch im Haus. Otto Gletter trat eine Balkontür ein. „Es war alles vernebelt“, erinnerte er sich auf der Bühne in der Linse. „Ich habe erst nichts gesehen. Dann hat sich am Boden etwas bewegt.“Gletter half der schwer verletzten Seniorin hoch und rettete sie und danach sich ins Freie. Die Frau erlitt lebensgefährliche Verletzungen, Otto Gletter wurde ebenfalls mit massiven Brandverletzungen in eine Spezialklinik gebracht. „Ich musste handeln“, sagte er nun. „Ich hätte mir riesige Vorwürfe gemacht, wenn ich nichts unternommen hätte.“Inzwischen geht es der Seniorin den Umständen entsprechend gut – und das Haus von Otto Gletter und seiner Familie wird gerade wieder aufgebaut.
Ebenfalls brenzlig wurde es für den damals 14-jährigen Paul Gabriel Otto Gletter aus Kißlegg Träger des Zivilcouragepreises Geschwendtner aus Wangen, der den Preis in der Kategorie Jugendliche erhielt. Er hatte in Wangen beobachtet, wie ein Mann einem Rentner eine Tasche entriss. Er stellte sich dem Mann in den Weg, wurde aber zur Seite gerempelt, und der Räuber konnte unerkannt fliehen. Paul Geschwendtner aber kümmerte sich um den überfallenen Senior. Der ältere Herr hatte eine Kopfwunde davongetragen. „Ich musste erst einmal ein paar Bauarbeiter überreden, den Krankenwagen zu rufen“, berichtete der heute 15-Jährige am Donnerstag und löste damit Kopfschütteln unter den mehr als 150 Gäste in der voll besetzten Linse aus.
Kopfschütteln gab es auch, als die Frau das Mikrofon in die Hand nahm, die dem jugendlichen Preisträger die Urkunde überreichen durfte: Rola ElHalabi, zweifache Box-Weltmeisterin aus Ulm und Schirmherrin der diesjährigen achten Preisverleihung, machte klar, warum es kaum eine bessere Patin für einen Zivilcouragepreis geben könnte: „Ich weiß, wie es ist, im Stich gelassen zu werden“, sagte ElHalabi, die 2011 von ihrem Stiefvater in der Kabine vor einem Boxkampf angeschossen und schwerst verletzt worden war. „Die Security ist einfach aus der Kabine gegangen und hat sogar noch die Tür zugemacht. Ich stand da wie ein Reh vor dem Jäger.“Heute, mehr als fünfeinhalb Jahre später, versucht Rola El-Halabi anderen Mut zu machen. „Nicht weg-, sondern hinschauen“, gab sie dem Publikum unter großem Applaus mit auf den Weg (siehe Interview).
Damit das von der Ex-Weltmeisterin empfohlene Verhalten Schule macht, gibt es im Landkreis zahlreiche Jugendinitiativen. Ein besonderes Projekt bekam in einer dafür geschaffenen Kategorie ebenfalls den Zivilcouragepreis. „Mut wagen für mehr Zivilcourage“heißt die Initiative, mit der Jugendarbeiter Wolfgang Hinze an der Grundschule in Isny Kinder für Zivilcourage sensibilisiert und ihnen Mut machen will, einzuschreiten oder andere zu informieren, wenn etwas passiert. „Zivilcourage kann man lernen“, sagte Hinze.
Schöner Moment zum Schluss Für einen besonders schönen Moment hatten die Organisatoren am Donnerstag extra einen Sonderpreis geschaffen: Weil im Jahr 2015 kein Zivilcouragepreis vergeben wurde, musste die heute 80-jährige Julia Schönwald bis jetzt warten, um ihrem Lebensretter zu danken. Peter Mauch – selbst nicht in der Linse anwesend – hatte am Flappachweiher in Ravensburg bemerkt, wie die Seniorin beim Schwimmen einen Herzinfarkt erlitt und ihr das Leben gerettet, indem er sie ans Ufer zog.
Und auch die Jugendlichen vom Team Jugendarbeit Weingarten wurden am Donnerstag noch von Weingartens Oberbürgermeister mit Dank überschüttet: Sie hatten den Abend gemeinsam mit den Jugendarbeitern Sven Pahl und Christian Netti organisiert, Rapper „Mozay“und das Gitarren-Duo „The Silent Mind“engagiert und waren mit dem blauen Sofa, das Moderator Dirk Polzin am Donnerstag zum Plaudern mit den Gästen nutzte, im Landkreis unterwegs, um für Zivilcourage und die Preisverleihung Werbung zu machen. Es ist ihnen gelungen.
Was Rola El-Halabi und Polizeipräsident Ekkehard Falk über Zivilcourage denken sehen Sie im TV-Beitrag unter www.schwaebische.de/zivilcourage2016
„Ich hätte mir riesige Vorwürfe gemacht, wenn ich nichts unternommen hätte.“