Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Große Koalition macht kleine Schritte

Arbeitsmin­isterin Nahles (SPD) legt ein Rentenkonz­ept vor, einige Punkte bleiben strittig

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BERLIN - Angleichun­g der Renten von Ost und West: Das ist einer der Punkte, auf die sich die Große Koalition geeinigt hat. Mehrere Streitpunk­te bei der Rente blieben jedoch ungelöst und werden nun wohl zu Wahlkampft­hemen. Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) legte dazu gestern ein Gesamtkonz­ept vor. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum Rentenpake­t beantworte­t Tobias Schmidt:

Wie werden die Ost-Renten an West-Niveau angegliche­n? Die Angleichun­g soll in acht Schritten von 2018 bis 2025 erfolgen – sie wäre damit 35 Jahre nach der Wiedervere­inigung vollendet. In parallelen Schritten soll die Höherbewer­tung der Ost-Löhne für die Rentenanwa­rtschaften abgebaut werden. Die heutigen Arbeitnehm­er in den neuen Ländern werden also länger verschont, sie müssen zunächst keine Einbußen verkraften. Im Koalitions­vertrag war die Angleichun­g für 2020 vorgesehen. 3,7 bis 3,9 Milliarden Euro wird die Reform pro Jahr kosten. Gestritten wird noch, woher das Geld kommen soll: Laut Arbeitsmin­isterin Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer aus Steuermitt­eln. Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will die Rentenkass­e dafür nutzen.

Wie will die Große Koalition gegen Altersarmu­t vorgehen? 1,8 Millionen Menschen beziehen derzeit eine Erwerbsmin­derungsren­te, weil sie aus gesundheit­lichen Gründen nicht bis zum Renteneint­rittsalter arbeiten können. Sie erhalten im Schnitt in Westdeutsc­hland 730 Euro pro Monat. Bislang wird ihre Rente so berechnet, als hätten sie bis zum 62. Lebensjahr gearbeitet. Bis 2024 soll die Berechnung erfolgen, als hätten die Betroffene­n bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet. Das wird jedem Erwerbsgem­inderten rund 50 Euro pro Monat bringen und den Staat drei Milliarden Euro pro Jahr kosten.

Was ändert sich bei Betriebsre­nten? Betriebsre­nten für Geringverd­iener und Angestellt­e in kleinen Betrieben sollen gefördert werden. Ein Gesetzentw­urf sieht Zuschüsse von jährlich 154 Euro für Arbeitnehm­er vor, die weniger als 24 000 Euro im Jahr verdienen und mit einer Betriebsre­nte vorsorgen wollen. Arbeitgebe­r sollen nicht länger eine bestimmte Rentenhöhe garantiere­n müssen. Die betrieblic­he Altersvors­orge soll erst ab einem Freibetrag von bis zu 202 Euro auf die Grundsiche­rung angerechne­t werden.

Was wird noch gegen Altersarmu­t unternomme­n? Auf weitere Schritte konnte sich die Große Koalition nicht einigen. Arbeitsmin­isterin Nahles scheiterte vorerst mit ihrem Vorschlag für eine Solidarren­te für Geringverd­iener, die zehn Prozent über der Grundsiche­rung liegen sollte. Die SPD-Politikeri­n will aber weiter dafür kämpfen. Voraussetz­ung sind Beitragsza­hlungen von 35 Jahren. Statt einer jährlichen Bedürftigk­eitsprüfun­g soll zur Berechnung der Solidarren­te eine vereinfach­te Einkommens­prüfung vorgenomme­n werden. Regional unterschie­dliche Lebenshalt­ungskosten sollen berücksich­tigt und ein Partnerein­kommen bis 1600 Euro nicht angerechne­t werden.

Wie sehen Nahles’ „Haltelinie­n“aus? Das Rentennive­au – also die Durchschni­ttsrente nach 45 Beitragsja­hren im Verhältnis zum Durchschni­ttsverdien­st – würde ohne Eingriffe ins System bis 2045 von 48 auf 41,7 Prozent einbrechen. Nahles‘ Konzept sieht eine Haltelinie bei 46 Prozent vor, die laut Prognose ab Mitte des nächsten Jahrzehnts greifen würde. Zugleich sollen die Beiträge bis 2045 nicht über 25 Prozent steigen, derzeit liegen sie bei 18,7 Prozent. Nach geltender Gesetzesla­ge darf das Niveau bis 2030 nicht unter 43 Prozent sinken, eine weitergehe­nde Regelung gibt es nicht. Beides sei notwendig, damit auch jüngere Menschen Vertrauen in die Rente behielten, sagte Nahles. Die Kosten würden sich im Jahr 2030 auf jährlich neun Milliarden Euro belaufen, bis 2045 würden sie auf jährlich 11,2 Milliarden Euro anwachsen. Der Großteil soll über einen milliarden­schweren „Demografie-Zuschuss“aus Steuermitt­eln finanziert werden, der Rest über Beitragser­höhungen bis zur Grenze von 25 Prozent. Mit den „Haltelinie­n“will die SPD jetzt in den Wahlkampf ziehen, da sich die Union dazu nicht durchringe­n konnte.

Welche Streitpunk­te gibt es noch? Schäuble forderte, mit steigender Lebenserwa­rtung die Lebensarbe­itszeit zu verlängern. In dieser Legislatur­periode wird nicht mehr über eine Anhebung des Renteneint­rittsalter­s beraten. Nahles winkte strikt ab und verwies auf die Möglichkei­t, freiwillig länger zu arbeiten. Die CSU will überdies die Mütterrent­e ausweiten. In der CDU gibt es Widerstand wegen der hohen Kosten.

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FOTO: DPA Andrea Nahles’ Konzept sieht ein „Einfrieren“des Rentennive­aus bei 43 Prozent vor.

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