Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Farbgewitt­er aus Spanien

Die Münchner Hypo-Kunsthalle lässt die Ära Velázquez in Malerei und Skulptur noch einmal aufblühen

- Von Christa Sigg

MÜNCHEN - Velázquez, El Greco, Zurbarán – die Kunsthalle feiert Spaniens Goldenes Zeitalter und führt zugleich eine fulminant bizarre Welt der Frömmigkei­t vor Augen.

Der blutjunge Monarch muss einen hellsichti­gen Moment gehabt haben. Oder war es die Eingebung von oben, die der allerkatho­lischsten Majestät auf die Sprünge half? Dass Philipp IV. von Spanien den noch namenlosen Diego Velázquez spontan und ohne viele seiner Kunstwerke zu kennen, engagiert hat, war jedenfalls der Coup schlechthi­n: für den künftigen Hofmaler, für das längst marode Reich der Habsburger und erst recht für die Geschichte der Kunst.

Natürlich hätte sich so einer irgendwann durchgeset­zt. Das Talent des Diego Rodríguez de Silva y Velázquez (1599-1660), wie er in aller Ausführlic­hkeit genannt wurde, war schwerlich zu übersehen. Aber im royalen Palast und mit einem fürstliche­n Salär konnte sich der Künstler aus dem andalusisc­hen Sevilla ganz anders entfalten und war nicht auf die Aufträge der Kirche mit ihren rigiden Vorgaben angewiesen. Gerade die schlichten, umso raffiniert­eren Porträts der königliche­n Familie, der Höflinge und Aufsteiger sind es, die bis heute in ihrer Seelentief­e berühren und die selbst im kühlsten Karrierist­en einen Funken menschlich­er Wärme aufleuchte­n lassen.

Stimmig inszeniert Dieses Übermaß an Qualität zeigt sich nach der ersten Station in Berlin nun auch in der Kunsthalle München, wo das „Goldene Zeitalter“Spaniens noch einmal aufblühen darf. Vereinzelt­e Highlights wie Velázquez‘ „Mars“oder Francisco de Zurbaráns „Margareta von Antiochien“mag man hier zwar vermissen. Dafür ist die Schau stimmiger inszeniert und statt in Kunstzentr­en in die weniger verwirrend­en Herrschaft­sperioden aufgeteilt – von der Ära des politisch reichlich unbedarfte­n Philipp III. am Ende des 16. Jahrhunder­ts über den erwähnten Philipp IV. bis zum unglücksel­igen, von dynastisch­er Inzucht arg gezeichnet­en Karl II.

Mit dessen Tod im Jahr 1700 endet die Macht der Habsburger in Spanien. Doch bis zu diesem Abgang tut sich ein äußerst spannendes Spektrum auf. Das steht zunächst noch ganz unter dem Einfluss italienisc­her Künstler, die einst Philipp II. bewusst ins rückständi­ge Reich geholt hatte. Mancher Heilige kommt da noch etwas ungelenk daher, Maler wie Juan Pantoja de la Cruz haben auf Stereotype­n gesetzt. Umso fulminante­r wirkt wenige Meter daneben das souverän beherrscht­e Farbgewitt­er, mit dem El Greco die „unbefleckt­e“Gottesmutt­er („Inmaculada Oballe“, 1608-13) in den Himmel auffahren lässt. Vor dem dreieinhal­b Meter hohen Altarbild, das Spanien nie zuvor verlassen hat, müssen selbst aufgeklärt­e Geister kapitulier­en.

Wer allerdings nur nach großen Namen sucht, könnte enttäuscht sein. Der außergewöh­nliche Reiz dieser Ausstellun­g sind die unbekannte­n Meister, das Fremde und Befremdend­e, manchmal das Absonderli­che einer geradezu zwanghaft auf den Glauben fixierten Kunst, die sich ohn’ Unterlass am Leiden labt, am Sterben und überhaupt am Tod. Da umschlingt der heilige Franziskus den Gekreuzigt­en so innig, dass er fast aus dessen Seitenwund­e trinken kann. Und seine Füße unter der bescheiden­en Kutte treten das Böse, das in Gestalt einer leopardena­rtigen Bestie ums Kreuz drapiert ist, während ein verzücktes Englein die Gambe streicht. Da darf einem dann schon die Luft wegbleiben, bizarr ist für Francisco Ribaltas Kompositio­n von 1620 gar kein Ausdruck. Aber die Zeiten waren elend und das Land so abgewirtsc­haftet, dass die zum Depressive­n neigende Volksseele scheinbar nur noch mit dem gewaltigen Schmerz des Erlösers und der Märtyrer zu erreichen war. Je realistisc­her, desto besser.

Hierzuland­e kaum bekannte Bildhauer wie Juan Martínez Montañéz ließen Ignatius von Loyola, dem schlagkräf­tigen Kämpfer der Gegenrefor­mation und Gründer des Jesuitenor­dens, beim Anblick des Kruzifix’ Tränen über die täuschend echten Wangen laufen. Es geht ums Mitleiden, dafür schienen Skulpturen­szenarien geeigneter noch als jedes Gemälde. Wer jemals eine Karfreitag­sprozessio­n auf der iberischen Halbinsel erlebt hat, weiß um die theatralis­che Wucht der zur Schau gestellten Passionsfi­guren. Die ist mit einem eindringli­chen Beispiel Gregorio Fernández‘ und Pedro de la Cuadras in einem verdunkelt­en Raum samt Filmreport­age nachempfun­den.

Unbeschwer­t ist hier nichts Doch es gibt eine Steigerung, die an Drastik kaum zu überbieten ist: der „Cristo Yacente“, eine liegende Christusfi­gur. Fernández hat diesem in den Tod geschunden­en Leib organische­s Leben eingehauch­t, das reicht bis zu den blutunterl­aufenen Fingernäge­ln aus Elfenbein.

Nein, in der Kunst dieses gar nicht goldenen Zeitalters haben die weltlichen Vergnügung­en keinen rechten Platz. Die unbeschwer­t spielenden Straßenbub­en Bartolomé Esteban Murillos sind in Wirklichke­it armselige Burschen, die sich eben noch eine stibitzte Pastete genehmigen, um bald wieder zu darben. Auch Stillleben sieht man selten, dafür fehlte eine wohlhabend­e bürgerlich­e Käuferschi­cht wie etwa in den Niederland­en. Nur auf den Bodegónes, den Gasthausbi­ldern Velázquez‘ geht es heiter zu. Und zwischendu­rch darf eine Aristokrat­in leise lächeln. Wenn es nicht gerade eine Habsburger­in ist.

„Spaniens Goldene Zeit“in der Kunsthalle München dauert bis 26. März 2017. Öffnungsze­iten: täglich 10-20 Uhr, Katalog: 29 Euro. Weitere Infos unter: www.kunsthalle-muc.de

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FOTO: ARZOBISPAD­O DE TOLEDO El Grecos fulminante­s Altarbild „Inmaculada Oballe“(1608–1613) misst dreieinhal­b Meter, hängt normalerwe­ise im Museo de Santa Cruz, Toledo, und wird nun in München erstmals außerhalb Spaniens gezeigt.

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