Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Putin zeigt seine zahme Seite
Russlands Präsident Wladimir Putin kann auch anders. Bei seiner 13. Rede an die Nation seit Amtsantritt 2000 zeigte sich der Kremlchef am Donnerstag von einer unbekannten Seite. Putin sprach wie üblich im Georgssaal des Kreml vor Abgeordneten der beiden Parlamentskammern, den Gouverneuren aus den Regionen und Honoratioren der russischen Gesellschaft. Diesmal gab sich Putin ausgeglichen. Er machte weder mobil noch suchte er nach inneren oder äußeren Feinden. Kein einziges Mal wurde er aggressiv.
Einer der Gründe dafür ist Russlands Selbstbehauptungspolitik auf der internationalen Bühne. Der nur durch Hartnäckigkeit erreichte Erfolg müsse nun auch in anderen Dingen zu Hause eingesetzt werden, sagte Putin. „Wir wollen keine Konfrontation, wir suchen keine Feinde“, so Putin. „Wir brauchen Freunde, aber wir dulden keine Missachtung unserer nationalen Interessen.“
Sticheleien gibt’s dann doch Es sei wichtig, die Beziehungen zu den USA zu normalisieren und „auf gleichberechtigter Ebene zu entwickeln“. Anknüpfungspunkte sieht Moskau vor allem im „gemeinsamen Kampf gegen den internationalen Terrorismus“. Russland zählt allerdings auch jene Rebellen zu den Terroristen, die gegen Baschar al-Assad kämpfen und von den USA unterstützt werden. Ein bisschen Stichelei musste dann doch noch sein. Es gäbe antirussische Propaganda im Westen. „Im Gegensatz zu anderen, die Russland als Feind sehen, sehen wir um uns herum jedoch Freunde“, so Putin. Damit griff er auf das ewige Muster zurück, wonach Russland grundsätzlich Opfer ist und für nichts verantwortlich gemacht werden könne.
Als Vorbild für eine neue Weltordnung pries der Präsident unterdessen Russlands Beziehung zu China: Dies sei Beispiel für eine „Weltordnung und eine harmonische Partnerschaft“, die von keiner Seite dominiert werde. Demgegenüber versuche der Westen, Russland nach fremder Pfeife tanzen zu lassen, „damit wir unsere fundamentalen Interessen vernachlässigen“.
Die Sanktionen gegen Russland hätten jedoch nichts bewirkt. Die russischen Gegensanktionen, der Einfuhrstopp von Lebensmitteln aus der EU etwa, hätten aber der heimischen Landwirtschaft Auftrieb gegeben. Schon im letzten Jahr malte Putin trotz Krise ein zuversichtliches Bild der russischen Wirtschaft. Grundsätzlich neigt Putin dazu, die wirtschaftlichen Leistungen zu rosig zu bewerten. „Der Abschwung in der Realwirtschaft geht zurück, es gibt sogar ein kleines industrielles Wachstum“, sagte er.
Als Hauptgründe für wirtschaftliche Schwierigkeiten nannte Putin „interne Probleme“. Zu den Mängeln zählt der Kreml vor allem fehlende Investitionen, veraltete Technologien, ein Defizit an Führungskräften und ein schwieriges Geschäftsklima. Auch die Korruption nannte Putin erneut wie in den Vorjahren. Daran hat sich seit Jahren wenig verändert.
Wladimir Putin rief seine Landsleute zur „Einigkeit in schweren Zeiten“auf. Die russische Gesellschaft dürfe sich nicht „durch Verbitterung spalten“.