Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Blaue Stunde bei den Rolling Stones

Mick Jagger & Co. kehren mit Cover-Album „Blue & Lonesome“zurück zu den frühen Jahren

- Von Welf Grombacher

Eigentlich wollten sie sich ja nur ein bisschen warmspiele­n, bevor es an neues Material gehen sollte. Das letzte Album „A Bigger Bang“liegt elf Jahre zurück. Zeit, was zu tun. Also gingen die Rolling Stones im Dezember 2015 in die British Grove Studios in London, unweit von Richmond und der Themse-Insel Eel Pie Island entfernt, wo sie Anfang der 1960er-Jahre ihre ersten Gigs in winzigen Pubs und Clubs spielten. Sie jammten ein wenig, stimmten ein paar alte Bluesklass­iker an. Waren sie mit einem durch, kam Mick Jagger schon mit dem nächsten. Gar nicht genug kriegen konnte er, erzählt Gitarrist Keith Richards: „Manche dieser Songs haben wir seit 1962 oder 1963 nicht mehr gespielt. Aber meine Finger können sich noch daran erinnern.“

So entstand das neue Stones-Album „Blue & Lonesome“(Polydor/ Universal). Es ist eine Rückkehr zum Blues der frühen Jahre mit Coverversi­onen von Little Walter, Howlin’ Wolf, Lightnin’ Slim und Otis Rush. Das hört sich jetzt nicht wirklich spannend an. Wie die Stones aber an die Sache rangehen, hat was. An nur drei Tagen spielten sie die zwölf Songs live ein. Die klingen darum frisch und ungekünste­lt. Auch, wenn Keith und Ronnie schon mal neben dem Takt liegen. Aber das sind eben die Stones. Produzent Don Was ließ sie einfach machen. Ähnlich wie Manager Andrew Loog Oldham, der die Band 1964 beim ersten Album in den Regent Sound Studios einschloss und sie erst wieder rausließ, als die Songs im Kasten waren. Bei „Everybody Knows about My Good Thing“und „I Can’t Quit You Baby“schaute schnell Eric Clapton rein, der als junger Mann vor der Bühne den Stones zujubelte und jetzt nebenan gerade sein Album „I Still Do“aufnahm.

Auf dem Bahnsteig von Dartford sprach Keith Richards 1961 den jungen Mick Jagger an, weil der die neuesten Blues-Platten dabeihatte. Es war der Anfang der Stones. Auch auf den ersten Studioalbe­n noch coverten sie Songs von Willie Dixon oder Jimmy Reed. Auf dem neuen Longplayer ist es vor allem Little Walter, von dem gleich vier Klassiker zu hören sind, gefolgt von Howlin’ Wolf mit zwei. Schon beim ersten Song „Just Your Fool“ist klar, wo es langgeht: Mick Jagger lässt seine Mundharmon­ika heulen, und die Band rumpelt hinterher. Überhaupt ist es Jaggers Mundharmon­ika, die das Album dominiert und am meisten auffällt. „Einen besseren Harmonikas­pieler als Mick kenne ich nicht“, sagt Richards und liegt dabei nicht so verkehrt. Auch in „Commit A Crime“ist sie zu hören, das sich schwerfäll­ig über einem Gitarrensu­mpf dahinschle­ppt. Eines der schwächere­n Stücke, das am Ende auch ausgeblend­et wird.

Klar und unaffektie­rt Der langsame Blues „Blue & Lonesome“von Little Walter aus dem Jahr 1959 ist dagegen ein Höhepunkt. Keith und Ron jammen wie in ihren besten Tagen. Man sieht die Zigarette im Mund förmlich beim Hören. In „All of Your Love“von Magic Sam (1967) dominiert dann ein HonkyTonk-Klavier und die Erinnerung an den sechsten Stone Ian Stewart kommt auf, den Manager Andrew Loog Oldham nicht als Bandmitgli­ed akzeptiert­e, weil er nicht cool genug aussah. Jaggers Stimme klingt erstaunlic­h klar und unaffektie­rt, nie versucht sie, schwarz zu sein. „Hate To See You Go“als schwächste­s Stück auf dem Album kommt ein wenig steril daher und wird trotz seiner gerade mal 3,20 Minuten langweilig. Auch Lightnin‘ Slims „Hoo Doo Blues“fällt gegen das Original ab. Dafür ist Jimmy Reeds „Little Rain“dann sehr charmant. Zunächst nur Jaggers Gesang, dann zwei Gitarren, die herumprobi­eren und sich den Song langsam erarbeiten, dann kommen Charlie Watts mit dem Schlagzeug und Darryl Jones mit dem Bass dazu. So klingen Sessions.

„Just Like I Treat You“von Howlin’ Wolf lässt an „It’s All over Now“denken und „I Can’t Quit You Baby“von Otis Rush (1956) ist mit 5,13 Minuten als längstes Stück des Albums ein würdiger Ausklang. „Blue & Lonesome“ist sicher mehr als nur ein kleiner Appetitanr­eger, der neugierig macht aufs nächste „richtige“Album der Rolling Stones. Man darf gespannt sein. Im Studio waren sie ja schon.

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FOTO: AFP Seit über einem halben Jahrhunder­t auf der Bühne – aber von Lustlosigk­eit keine Spur bei den Rolling Stones: Gitarrist Keith Richards (links hinten), Sänger Mick Jagger und Schlagzeug­er Charlie Watts.
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