Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schnee satt zwischen Schlacke und Schmelzhütten
Im norwegischen Røros herrscht noch richtiger Winter inmitten einer Pippi-Langstrumpf-Kulisse
Es müssen nicht immer die Alpen sein. Wie wär’s denn mal mit Norwegen im Winter, zum Beispiel mit Røros? Die ehemalige Kupferbergbau-Stadt in Mittelnorwegen garantiert meterhohen Schnee und Winteridylle pur zwischen November und März. Weil die alten Häuser aus Holz und der historische Straßenverlauf aus dem 17. Jahrhundert noch größtenteils erhalten sind, wurde Røros 1980 zum Unesco-Weltkulturerbe.
Robin Schellenberg macht in dem 5500-Einwohner-Ort nahe der Grenze zu Schweden ab und an den Reiseführer. Er ist in der Schweiz aufgewachsen, seine Mutter und seine Großmutter stammen aber aus Røros, das rund zwei Autostunden von Trondheim entfernt ist. Nach der Ausbildung zum Glasbläser in Schweden und Dänemark ist er hierhergezogen, wo er eine Töpferei betreibt. Nebenbei organisiert er Konzerte und Kunstausstellungen und vermietet eine Ferienwohnung – eine ganz normale Vita in Røros, wo fast jeder zusätzlich zu seinem ursprünglichen Beruf noch im Tourismus arbeitet. Denn so beschaulich es außerhalb der Saison zugeht, so voll ist es hier dann in den Ferien und zu Rørosmartnan. Zehntausende Besucher kommen Ende Februar zu diesem fünftägigen Markt.
Drittgrößte Kirche Zu Fuß – die geübten Einheimischen bevorzugen übrigens den Spark, einen leichten Tretschlitten – geht es zunächst zur erstaunlich großen achteckigen Kirche, die majestätisch über Røros thront. Sie wurde im 18. Jahrhundert in der Blütezeit des Gruben- und Schmelzbetriebs gebaut. Mit ihren 1640 Plätzen ist sie das drittgrößte Gotteshaus in ganz Norwegen nach Kongsberg und dem Nidarosdom in Trondheim – und eines der sehenswertesten.
Auf der geschlossenen Schneedecke, die hier fünf Monate im Jahr auf den Straßen liegt, führt der Weg anschließend vorbei an zahlreichen Kunsthandwerksläden, Kunstgalerien, Hinterhöfen, Gässchen, Cafés und Delikatessengeschäften mit regionalen Produkten wie Rentierfleisch, Käse, Beeren und Bier. So authentisch ist die Atmosphäre, so romantisch wirken die kleinen bunten Holzhäuschen, dass sie des Öfteren auch als Filmkulisse dienen. „Im Kinderfilm ,Pippi geht von Bord’ hat hier Pippi Langstrumpf einen mannshohen Schneeball die Straße herunterrollen lassen“, berichtet Robin Schellenberg.
Mittagessen gibt es heute im „Solheim Pensjonat“. Fünf Frauen – zwei Norwegerinnen, zwei Finninnen und eine Schwedin – haben sich vor vier Jahren zusammengetan und das leer stehende Gästehaus aus dem Jahr 1939 wieder auf Vordermann gebracht. Heute erstrahlt das kleine Hotel und Restaurant im original Retro-Stil mit Zeitschriftenständer und Nierentischchen. Gekocht wird ausschließlich mit lokalen Lebensmitteln. „Rørosmat“nennt sich die Gemeinschaft von Nahrungsmittelerzeugern, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Geschmack der reinen und unberührten Natur auf den Tisch zu bringen. Nicht zuletzt das Verdienst von Rørosmat ist es, dass Røros 2013 als nachhaltiges Reiseziel zertifiziert worden ist; eine Ehre, die nur wenigen Orten zuteilwird.
Und leise rieselt der Schnee Auch wenn alle Sehenswürdigkeiten, mit Ausnahme der 13 Kilometer entfernten Olavsgrube, zu Fuß besichtigt werden können, ist eine Schlittenfahrt zur blauen Stunde in der langen Dämmerung doch ein Muss. Eingekuschelt unter dicken Rentierfellen und mit Fackeln zur stimmungsvollen Beleuchtung geht es im Einspänner an den alten Schlackebergen und der Schmelzhütte vorbei, die jetzt als Bergbaumuseum dient. Wie bestellt rieselt dazu leise der Schnee – ein wunderbares Erlebnis.
Versteht sich, dass in dieser Gegend, die zur Provinz Süd-Trøndelag gehört, natürlich alle nur erdenklichen Arten von Wintersport betrieben werden können. Das Loipennetz in traumhafter Natur ist mehrere Hundert Kilometer lang; Skianlagen haben Pisten für Anfänger und Fortgeschrittene. Weitaus exotischer muten aber Outdoor-Aktivitäten wie Schneekiten, Rentier-Schlittenfahrten mit sämischen Familien, HuskyTouren und Schneemobil-Ausflüge an. Sich von zehn Schlittenhunden über die karge, vor Røros gelegene Hochebene ziehen zu lassen, ist schon eine besondere Attraktion, die man nicht alle Tage erlebt. Nur das Hecheln der laufbegierigen Tiere und das Knirschen der Kufen im Schnee sind zu hören, ab und zu unterbrochen von Befehlen des Mushers, des Gespannlenkers. Rast wird in einer einsamen Hütte gemacht, die der Holzofen schnell aufheizt. Bei heißem Punsch und Krumkake, einem traditionellen Gebäck, lässt es sich hier gut aushalten.
Nicht ganz so gemütlich ist eine Abenteuertour mit dem Schneemobil ins Gebirge. Denn die heißen Geräte müssen erst einmal beherrscht werden – recht schnell kann man aus der Kurve fliegen. Ein Sturz in den hohen Schnee ist aber kein Problem. Verloren gehen sollte man allerdings nicht, die Bergregion ist nur dünn besiedelt. Und hier oben ist es noch einige Grade frischer als in Røros, das sowieso schon zu den kältesten Orten im Land gehört. Kilometerweit geht die Fahrt durch die blendend weiße Landschaft, ohne dass man auch nur einer einzigen Menschenseele begegnet. Aber genau das macht den ganz besonderen Reiz der norwegischen Natur aus.