Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schnee satt zwischen Schlacke und Schmelzhüt­ten

Im norwegisch­en Røros herrscht noch richtiger Winter inmitten einer Pippi-Langstrump­f-Kulisse

- Von Birgit Letsche Mehr Informatio­nen beim norwegisch­en Fremdenver­kehrsamt in Hamburg, Tel.: 040/2294150, Internet: www.visitnorwa­y.de und www.trøndelag.com, facebook.com/opplevtrøn­delag Die Recherche wurde unterstütz­t durch Scandinavi­an Airlines und Trø

Es müssen nicht immer die Alpen sein. Wie wär’s denn mal mit Norwegen im Winter, zum Beispiel mit Røros? Die ehemalige Kupferberg­bau-Stadt in Mittelnorw­egen garantiert meterhohen Schnee und Winteridyl­le pur zwischen November und März. Weil die alten Häuser aus Holz und der historisch­e Straßenver­lauf aus dem 17. Jahrhunder­t noch größtentei­ls erhalten sind, wurde Røros 1980 zum Unesco-Weltkultur­erbe.

Robin Schellenbe­rg macht in dem 5500-Einwohner-Ort nahe der Grenze zu Schweden ab und an den Reiseführe­r. Er ist in der Schweiz aufgewachs­en, seine Mutter und seine Großmutter stammen aber aus Røros, das rund zwei Autostunde­n von Trondheim entfernt ist. Nach der Ausbildung zum Glasbläser in Schweden und Dänemark ist er hierhergez­ogen, wo er eine Töpferei betreibt. Nebenbei organisier­t er Konzerte und Kunstausst­ellungen und vermietet eine Ferienwohn­ung – eine ganz normale Vita in Røros, wo fast jeder zusätzlich zu seinem ursprüngli­chen Beruf noch im Tourismus arbeitet. Denn so beschaulic­h es außerhalb der Saison zugeht, so voll ist es hier dann in den Ferien und zu Rørosmartn­an. Zehntausen­de Besucher kommen Ende Februar zu diesem fünftägige­n Markt.

Drittgrößt­e Kirche Zu Fuß – die geübten Einheimisc­hen bevorzugen übrigens den Spark, einen leichten Tretschlit­ten – geht es zunächst zur erstaunlic­h großen achteckige­n Kirche, die majestätis­ch über Røros thront. Sie wurde im 18. Jahrhunder­t in der Blütezeit des Gruben- und Schmelzbet­riebs gebaut. Mit ihren 1640 Plätzen ist sie das drittgrößt­e Gotteshaus in ganz Norwegen nach Kongsberg und dem Nidarosdom in Trondheim – und eines der sehenswert­esten.

Auf der geschlosse­nen Schneedeck­e, die hier fünf Monate im Jahr auf den Straßen liegt, führt der Weg anschließe­nd vorbei an zahlreiche­n Kunsthandw­erksläden, Kunstgaler­ien, Hinterhöfe­n, Gässchen, Cafés und Delikatess­engeschäft­en mit regionalen Produkten wie Rentierfle­isch, Käse, Beeren und Bier. So authentisc­h ist die Atmosphäre, so romantisch wirken die kleinen bunten Holzhäusch­en, dass sie des Öfteren auch als Filmkuliss­e dienen. „Im Kinderfilm ,Pippi geht von Bord’ hat hier Pippi Langstrump­f einen mannshohen Schneeball die Straße herunterro­llen lassen“, berichtet Robin Schellenbe­rg.

Mittagesse­n gibt es heute im „Solheim Pensjonat“. Fünf Frauen – zwei Norwegerin­nen, zwei Finninnen und eine Schwedin – haben sich vor vier Jahren zusammenge­tan und das leer stehende Gästehaus aus dem Jahr 1939 wieder auf Vordermann gebracht. Heute erstrahlt das kleine Hotel und Restaurant im original Retro-Stil mit Zeitschrif­tenständer und Nierentisc­hchen. Gekocht wird ausschließ­lich mit lokalen Lebensmitt­eln. „Rørosmat“nennt sich die Gemeinscha­ft von Nahrungsmi­ttelerzeug­ern, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Geschmack der reinen und unberührte­n Natur auf den Tisch zu bringen. Nicht zuletzt das Verdienst von Rørosmat ist es, dass Røros 2013 als nachhaltig­es Reiseziel zertifizie­rt worden ist; eine Ehre, die nur wenigen Orten zuteilwird.

Und leise rieselt der Schnee Auch wenn alle Sehenswürd­igkeiten, mit Ausnahme der 13 Kilometer entfernten Olavsgrube, zu Fuß besichtigt werden können, ist eine Schlittenf­ahrt zur blauen Stunde in der langen Dämmerung doch ein Muss. Eingekusch­elt unter dicken Rentierfel­len und mit Fackeln zur stimmungsv­ollen Beleuchtun­g geht es im Einspänner an den alten Schlackebe­rgen und der Schmelzhüt­te vorbei, die jetzt als Bergbaumus­eum dient. Wie bestellt rieselt dazu leise der Schnee – ein wunderbare­s Erlebnis.

Versteht sich, dass in dieser Gegend, die zur Provinz Süd-Trøndelag gehört, natürlich alle nur erdenklich­en Arten von Winterspor­t betrieben werden können. Das Loipennetz in traumhafte­r Natur ist mehrere Hundert Kilometer lang; Skianlagen haben Pisten für Anfänger und Fortgeschr­ittene. Weitaus exotischer muten aber Outdoor-Aktivitäte­n wie Schneekite­n, Rentier-Schlittenf­ahrten mit sämischen Familien, HuskyToure­n und Schneemobi­l-Ausflüge an. Sich von zehn Schlittenh­unden über die karge, vor Røros gelegene Hochebene ziehen zu lassen, ist schon eine besondere Attraktion, die man nicht alle Tage erlebt. Nur das Hecheln der laufbegier­igen Tiere und das Knirschen der Kufen im Schnee sind zu hören, ab und zu unterbroch­en von Befehlen des Mushers, des Gespannlen­kers. Rast wird in einer einsamen Hütte gemacht, die der Holzofen schnell aufheizt. Bei heißem Punsch und Krumkake, einem traditione­llen Gebäck, lässt es sich hier gut aushalten.

Nicht ganz so gemütlich ist eine Abenteuert­our mit dem Schneemobi­l ins Gebirge. Denn die heißen Geräte müssen erst einmal beherrscht werden – recht schnell kann man aus der Kurve fliegen. Ein Sturz in den hohen Schnee ist aber kein Problem. Verloren gehen sollte man allerdings nicht, die Bergregion ist nur dünn besiedelt. Und hier oben ist es noch einige Grade frischer als in Røros, das sowieso schon zu den kältesten Orten im Land gehört. Kilometerw­eit geht die Fahrt durch die blendend weiße Landschaft, ohne dass man auch nur einer einzigen Menschense­ele begegnet. Aber genau das macht den ganz besonderen Reiz der norwegisch­en Natur aus.

 ?? FOTO: BIRGIT LETSCHE ?? In Røros hält diese junge Kutscherin die Zügel in der Hand. Zur blauen Stunde unternimmt sie mit den Gästen eine Schlittenf­ahrt.
FOTO: BIRGIT LETSCHE In Røros hält diese junge Kutscherin die Zügel in der Hand. Zur blauen Stunde unternimmt sie mit den Gästen eine Schlittenf­ahrt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany