Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Neuer Glanz für eine venezianische Diva
Restauratorin Annette Stacheder restauriert eine Nachbildung des Uhrenturms von Venedig
WEINGARTEN - So etwas Kostbares ist Annette Stacheder in ihrer jahrzehntelangen Arbeit als Restauratorin noch nicht untergekommen. Seit zwei Monaten verhilft die Weingartenerin dem kostbaren Modell des venezianischen Uhrenturms in Venedig, dem Torre dell’Orologio, wieder zu alter Pracht. Aller Wahrscheinlichkeit nach soll die Standuhr von 1790 nach der Schönheitskur in Weingarten nach Venedig wandern und am Lido stilvoll die Stunde schlagen.
„Es ist ein absolutes Highlight, an so eine seltene Antiquität heranzukommen“, sagt Stacheder. Die Kirchenrestauratorin, die seit sechs Jahren in Weingarten ihr Atelier betreibt, war „völlig baff“, als ihr ein deutscher Kunstsammler diese Kostbarkeit anvertraute. In fünf Kisten sei sie in denkbar schlechtem Zustand angeliefert worden, verschmutzt, überzogen mit jahrzehntealter Patina, gespickt mit Abplatzungen, unschönen Fingerabdrücken und teils fehlenden Schmuckelementen.
Von Paris nach Weingarten Die Befunduntersuchung des aus Paris stammenden und seit vielen Jahren beim jetzigen Besitzer eingelagerten Kleinods brachte zwei „Fassungen“, zwei Farbschichten, an den Tag. Die Aufgabe für Stacheder war nun, die zweite Fassung der verkleinerten Kopie des venezianischen Uhrenturms zu restaurieren. Die Standuhr ist knapp drei Meter hoch und besteht aus fünf Teilen. Das in altweiß kolorierte Kupferblechgehäuse ist versehen mit Lapislazuli und Blattgold-Ornamenten.
Komplexes Innenleben Von Engeln flankiert thront die Madonna mit Kind. Der Markuslöwe mit Buch, das Wahrzeichen Venedigs, posiert vor blauem Sternenhimmel. Preziöse Hülle eines komplexen Innenlebens, in dem ein Uhrwerk mit astronomischem Getriebe tickt, das verschiedene Räder am Laufen hält.
Nicht nur wird die Zeit angezeigt, auch Mondphasen und Tierkreiszeichen. Das Ziffernblatt mit der Erde im Mittelpunkt huldigt im Übrigen noch das geozentrische Weltbild. Gekrönt wird das Schmuckstück, in dem sich viele Handwerkskünste vereinigen, von einem Glockenspiel, zwei bronzenen Figuren, die zeigen, was die Stunde geschlagen hat. Das Besondere an der Uhr neben den großen ausgewalzten Kupferblechteilen: Sie schlägt jeweils zweimal die Zeit an. Für alle, die es beim ersten Mal nicht mitgekriegt haben. Für das Uhrwerk war Annette Stacheder nicht zuständig, dafür ist eigens ein Spezialist zugezogen worden, wohl aber für die Restaurierung des kompletten Gehäuses. In 126 Stunden hat sie das barocke Prachtstück, über dessen Wert Stacheder sich ausschweigt, gereinigt, konsolidiert und abgesprungene Verzierungen mittels Negativabdrücken rekonstruiert. Ferner mit Goldretusche Fehlstellen an Rähmchen, Säulenkapitellen und am Markuslöwen korrigiert. Alles lief in enger Absprache mit dem Besitzer, der nicht genannt werden will.
Minimale Abweichungen Nun hat er großes vor mit diesem Prachtexemplar von Uhr, die nur minimal vom Original abweicht und vermutlich auch nur das einzige Modell dieser Art ist. Namhafte Schweizer Uhrfirmen sind laut der Restauratorin, am dem Stück interessiert. Sie wollen die wertvolle Uhr, nicht ganz uneigennützig, erwerben und nach Venedig verfrachten, wo das Vorbild im Norden vom Markusplatz steht.
Platz im Museum in Venedig Dem Zahn der Zeit anheimgefallen, soll die Standuhr ihr AschenputtelDasein nun hinter sich lassen und im neuen Glanz in einem Museum Venedigs dann ihren großen Auftritt haben. Und Weingarten und Annette Stacheder können sich rühmen, diese venezianische Diva wieder auf Vordermann gebracht zu haben.