Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Magnus bleibt König
An seinem 26. Geburtstag zeigt der alte neue Schach-Weltmeister Carlsen all sein Können
NEW YORK (dpa/SID/zak) - Titelverteidiger Magnus Carlsen hat zum dritten Mal die Schach-Weltmeisterschaft gewonnen. Der Norweger besiegte an seinem 26. Geburtstag den Herausforderer Sergej Karjakin aus Russland nach vier Schnellschach-Partien im Stechen mit 3:1. Nach den zwölf regulären Partien hatte es in New York 6:6 gestanden. 2013 hatte Carlsen durch einen Erfolg gegen den Inder Viswanathan Anand erstmals bei einer WM gesiegt, ein Jahr später seinen Titel gegen Anand verteidigt.
„Ich bin superglücklich und erleichtert, wie das heute gelaufen ist, auch wie ich mit dem Druck umgegangen bin“, sagte Carlsen: „Es war ein toller Fight. Ich habe bei dieser WM gelernt, dass man geduldig sein muss. Weil es schwierig ist, im Schach gegen einen starken Gegner zu gewinnen.“
Der Tiebreak begann mit einem Remis. In einer Spanischen Partie agierte Karjakin mit Weiß gewohnt solide, während Carlsen mit Schwarz nichts anbrennen ließ. Die zweite Partie war nichts für schwache Nerven. Carlsen überspielte den Herausforderer in einer Italienischen Partie und stand kurz vor dem Sieg. Trotz klar besserer Stellung und Vorteil auf der Uhr übersah er mehrmals den Gewinn. Karjakin zeigte seine Verteidigungskünste und rettete durch ein sensationelles Patt das Remis.
Trotz seines Ärgers gelang dem Weltmeister in der dritten Partie eine überragende Leistung. Mit Schwarz attackierte er Karjakin in einer weiteren Spanischen Partie am Königsflügel. Er drang mit seinen Figuren in das gegnerische Lager ein und gewann entscheidend Material.
In der vierten Partie wiederholte sich das Spiel. Karjakin setzte mit Schwarz alles auf eine Karte, hatte in einer Sizilianischen Partie aber nie ernsthafte Gewinnchancen. Carlsen kontrollierte den Kampf und beendete ihn mit einem wunderschönen Damenopfer, das forciert ein Schachmatt des schwarzen Königs herbeiführte.
Zuhause in Norwegen schlugen sich die Menschen für ihn die Nacht um die Ohren – im Fünf-MillionenEinwohner-Land sahen mehr als eine Viertelmillion Menschen vor dem Fernseher zu. Viele taten Schach vor Jahren noch als schnödes Brettspiel ab. Doch seit das Wunderkind Carlsen die Bildfläche betreten hat, stürzen sich Medien und Mädchen auf König Magnus. Carlsen ist längst einer der größten Stars des Landes.
„Ganz Norwegen sollte jetzt stolz auf den weltbesten Carlsen sein“, jubelt die Zeitung „Verdens Gang“. Mit seiner Dankesrede nach dem Triumph, in der er seinen Vater „den besten Menschen, den ich kenne“, nennt, erweichte Carlsen auch die Herzen seiner härtesten Kritiker.
Alles – nur noch nie verliebt Norwegische Zeitungen hatten ihn als hitzig und schlechten Verlierer beschimpft, nachdem er nach einer verlorenen WM-Partie aus der Pressekonferenz gestürmt war. Tatsächlich ist Carlsen ein ungeduldiger Mensch. „Ich langweile mich leicht“, sagt er dem „Telegraph“2015. Nicht gerade ein Satz, den man von einem Schachgroßmeister erwartet, der stundenlang ruhig sitzen kann und seine Gegner mit seiner Kondition zermürbt. Nach Titel Nummer drei attestiert der frühere Ministerpräsident Jens Stoltenberg Carlsen „Nerven aus Stahl“, während sein ehemaliger Lehrmeister Simen Agdestein seine „arrogante Körpersprache“kritisiert.
Dass manche ihn eingebildet und den Medien-Hype überzogen finden, dürfte an Carlsens selbstsicherem Auftreten liegen. Bei Pressekonferenzen schneidet er schon mal Grimassen oder starrt uninteressiert in die Luft. Die meisten Norweger finden es aber okay, dass er emotionaler ist als andere Spieler. Für einen 26-Jährigen, der schon als Teenager Superstar-Status erreicht hat, Millionen mit Preisgeldern, Sponsoren- und Modelverträgen verdient und 2013 laut „Times“Liste zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt gehörte, hat Carlsen tatsächlich noch Bodenhaftung.
Das hat er vor allem seinen Eltern und seinen drei Schwestern zu verdanken. „Meine Familie bedeutet mir alles“, sagt Carlsen. Sie ist oft dabei, wenn er zu Turnieren um die Welt reist. Gegen sie spielte er als kleiner Junge auch seine ersten Partien.
Früh fiel dem Vater Magnus' beeindruckendes Gedächtnis auf. Mit acht Jahren schlug er seine ältere Schwester Ellen und Papa Henrik – beide begeisterte Schachspieler.
In Norwegen brach 2013 mit dem ersten WM-Titel die Magnus-Euphorie aus, auch das Ausland staunte über den „Mozart des Schach“. Endgültigen Popstar-Status bekommt Carlsen aber erst 2017: Dann übernimmt er eine Gastrolle in der beliebten US-Zeichentrickserie „Simpsons“.
Nur eins war dem Norweger bislang nicht vergönnt: Obwohl ihn „Cosmopolitan“2013 zu einem der „Sexiest Men“erklärte und er Liebesbriefe en masse bekommt, habe er sich noch nie verliebt, hat Carlsen dem „Telegraph“gestanden. „Ich bin natürlich verknallt gewesen, aber nicht verliebt.“