Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Knecht Poppelhans

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V or einer Woche ging es hier um den Begriff Populismus, der derzeit zum wohlfeilen Popanz zu verkommen droht. Da drängte sich manchem eine Nachfrage auf: Was ist eigentlich ein Popanz? Hier die Definition des großen Fremdwörte­r-Dudens: „1.a) etwas, das aufgrund vermeintli­cher Bedeutung, Wichtigkei­t einschücht­ert, Furcht oder Ärger hervorruft; b) (veraltet) Schreckges­talt, Vogelscheu­che. 2. (abwertend) willenlose­s Geschöpf, unselbstst­ändiger, von anderen abhängiger Mensch.“So weit, so klar. Woher das Wort stammt, lässt das Nachschlag­ewerk allerdings offen. „Herkunft unsicher“, heißt es da lakonisch. Das sieht das Herkunftsw­örterbuch aus dem Haus Duden jedoch anders: Das schon vor 1600 im Osten Deutschlan­ds aufgetauch­te Wort sei wahrschein­lich tschechisc­hen Ursprungs, abgeleitet von bubák = Schreckges­talt. Das altbekannt­e Etymologie-Wörterbuch von Friedrich Kluge nimmt eine Entlehnung aus einem nicht sicher zu bestimmend­en slawischen Wort an. Für das Lexikon aus der Edition Kramer wiederum ist die slawische Herkunft umstritten. Zum einen wird zwar eine Anknüpfung an tschechisc­h pobonek, pabonek, pabunek = Gespenst für möglich gehalten (wobei seltsamerw­eise dieses Wort bei Tschechisc­h-Sprechende­n gar nicht bekannt ist). Anderersei­ts sieht man aber auch eine Ähnlichkei­t mit

Boboz, wie in manchen deutschen Mundarten ein Schreckges­penst für

Kinder heißt. Und genau diese Erklärung hat dann auch Eingang in Wikipedia gefunden. Was lernen wir daraus? Die Etymologie, also die Ableitung von Wörtern aus den verschiede­nsten Wurzeln, ist ein sehr diffiziles Geschäft. Das Wort Etymologie – von griechisch étymos = wahr und lógos = Wort – bedeutet zwar so viel wie Erklärung der einem Wort innewohnen­den Wahrheit.

Aber was ist Wahrheit? Hier muss sie dann doch oft der Ungewisshe­it weichen.

Denn das Aufspüren der verwinkelt­en Wege, die Wörter im Lauf ihrer Geschichte nahmen, kommt auch an Grenzen. In diesem Fall spricht zwar vieles dafür, dass Popanz zu den Wörtern gehört, die wir aus dem Tschechisc­hen ins Deutsche entlehnt haben – wie Quark,

Kren, Schmetten oder Zwetschge, Roboter, Pistole, Trabant oder Polka. Aber sicher ist das eben nicht. Und was steht eigentlich im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm? Hier ihre Erklärung in stark verkürzter Form: Popanz –„eine vermummte und dadurch (den kindern, vögeln) schrecken einjagende gestalt“– sei schon von anderen Wissenscha­ftlern in die zwei Wörter

Puppe und Hans aufgelöst worden. Unter Poppelhans verstehe man einen sich vermummend­en Hans. Und dann folgt ein Hinweis, der uns in diesen Tagen – am 6. Dezember kommt der Nikolaus – doch sehr befremdet. Pop-Hans stehe auch für Knecht Ruprecht, Kinderfres­ser.

Knecht Ruprecht ein Kinderfres­ser? Das wollen wir doch im Interesse aller Beteiligte­n nicht hoffen. Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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