Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Zukunft ohne politische Urgesteine

In Frankreich erneuert sich vor der nächsten Präsidente­nwahl die politische Klasse – Sozialiste­n zerstritte­n

- Von Christine Longin

PARIS - Der Rückzug von Präsident Hollande verändert die politische Szene in Frankreich. Für die Sozialiste­n bereitet nun Manuel Valls seine Kandidatur vor.

„Die Schlacht nach Hollande“titelt die Zeitung „Le Monde“in ihrer Samstagsau­sgabe. Wenige Stunden nach der Entscheidu­ng des französisc­hen Präsidente­n François Hollande, nicht mehr für eine zweite Amtszeit zu kandidiere­n, richtet sich der Blick in die Zukunft. Eine Zukunft, in der weder der Staatschef noch sein Vorgänger Nicolas Sarkozy oder der frühere Regierungs­chef Alain Juppé einen Platz haben. „Der Abgang von drei Persönlich­keiten, die unserem politische­n Leben vertraut waren, innerhalb von zehn Tagen bedeutet eine Erneuerung der politische­n Klasse“, schreibt der Politologe Dominique Reynié in „Le Monde“. Nun muss sich zeigen, was nach dem Abgang der politische­n Urgesteine kommt.

Für die Konservati­ven ist die Antwort klar: François Fillon wird sie in den Wahlkampf führen. Der frühere Regierungs­chef gewann die Vorwahlen der Konservati­ven am Wochenende überrasche­nd klar gegen Juppé, nachdem er zuvor Sarkozy aus dem Rennen geworfen hatte. Auf der Seite der Sozialiste­n könnte mit Manuel Valls ebenfalls ein Premiermin­ister antreten, dessen Rücktritt demnächst erwartet wird. Marine Le Pen vom rechtsradi­kalen Front National sprach bereits von der Kandidatur der „Doppelgäng­er“: Fillon für Sarkozy, unter dem er fünf Jahre lang Premier war, und Valls für Hollande.

„Die Frage stellt sich, ob François Fillon und Manuel Valls eher als neue Kandidaten oder eher als ehemalige Premiermin­ister angesehen werden“, meint Reynié. Für Fillon ist die Antwort relativ klar: Er gilt als eigenständ­iger Bewerber, da seine Regierungs­zeit bereits vor fast fünf Jahren endete und er danach innerparte­ilich Wahlkampf gegen Sarkozy machte.

Hollandes magere Bilanz Valls ist dagegen eng mit dem Präsidente­n verbunden, der ihn 2014 zum Regierungs­chef berief. „Wir werden die Bilanz von François Hollande verteidige­n müssen. Ich werde das tun“, sagte der ehrgeizige 54-Jährige bei einem Auftritt am Freitag. Die Bilanz des Präsidente­n ist allerdings mager. Vor allem bei seiner Hauptaufga­be, dem Kampf gegen die Rekordarbe­itslosigke­it, versagte der Sozialist. Heute sind gut eine halbe Million Menschen mehr arbeitslos als zu Beginn seiner Amtszeit. Dass die Zahlen zuletzt leicht zurückging­en, ist vor allem einem groß angelegten Weiterbild­ungsprogra­mm zu verdanken.

„Manuel Valls ist der Ersatzmann von François Hollande. Er ist noch sein Premiermin­ister und deshalb für seine Bilanz verantwort­lich“, kritisiert­e der Wahlkampfl­eiter des früheren Frankreich­s Sozialiste­n und mehrere kleine Parteien küren ihren gemeinsame­n Präsidents­chaftskand­idaten mit einer Vorwahl im Januar. Wer antreten will, braucht ausreichen­d Patenschaf­ten etwa von sozialisti­schen Abgeordnet­en, Regionalpo­litikern oder Bürgermeis­tern. Die Bewerbunge­n müssen bis zum 15. Dezember eingereich­t werden. Abstimmen können alle Franzosen, die im Wählerregi­ster stehen, sowie die Wirtschaft­sministers Arnaud Montebourg im Fernsehen. Montebourg, der zum linken Flügel der Sozialiste­n gehört, hat bereits seine Kandidatur für die Vorwahlen im Januar erklärt. Im direkten Vergleich schneidet er allerdings schlecht ab gegen Valls: Nur 15 Prozent der Wähler der Sozialiste­n sind laut einer am Freitag veröffentl­ichten Umfrage für ihn und 57 Prozent für den Regierungs­chef. Der dürfte es aber nach derzeitige­m Stand 2017 ebensoweni­g Mitglieder der beteiligte­n Parteien – auch wenn sie Ausländer sind. Wähler müssen einen Euro Kostenbete­iligung zahlen und unterschre­iben, dass sie sich zu den Werten der Linken bekennen. Der erste Wahlgang ist für den 22. Januar angesetzt, die entscheide­nde Stichwahl dann eine Woche später. Schon 2011 hatten Frankreich­s Linke ihren Kandidaten mit einer Vorwahl gekürt, die François Hollande für sich entschied. (dpa) in die Stichwahl schaffen wie sein Rivale Emmanuel Macron, der unabhängig von den Vorwahlen der Sozialiste­n antritt.

Valls muss im Falle seiner Kandidatur gleich an zwei Fronten kämpfen: gegen Macron, der ihm das Image des Reformers streitig macht, und gegen den linken Parteiflüg­el. Für den ist er zur Hassfigur geworden, seit er ein Gesetz zur Ankurbelun­g der Wirtschaft aus Macrons Feder am Parlament vorbei verabschie­den ließ. Der Regierungs­chef sprach selbst von „zwei unversöhnb­aren Linken“– seiner sozialdemo­kratischen Strömung und den Vertretern eines sozialisti­schen Kurses alter Prägung. Die Vertreter der beiden Flügel dürften sich bis zu den Vorwahlen im Januar gegenseiti­g zerfleisch­en. Die konservati­ve Opposition, die seit der Entscheidu­ng für Fillon ein Bild der Geschlosse­nheit abgibt, wird sich das Spektakel genüsslich anschauen. Auch Marine Le Pen wird versuchen, von den Streitigke­iten der Regierungs­partei zu profitiere­n. Ihr Wahlkampfl­ogo hat sie sich ohnehin schon bei den Sozialiste­n abgeschaut: eine Rose.

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FOTOS AFP/IMAGO Zwei Politiker, die künftig in Frankreich wohl keine Rolle mehr spielen werden: der konservati­ve Ex-Präsident Nikolas Sarkozy und der sozialisti­sche Präsident François Hollande, der nicht mehr antritt.
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