Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Europas Rückkehr der Grenzkontr­ollen

- Von Martina Herzog, Brüssel

Ein Schild am Straßenran­d, wenn überhaupt, und schon ist man drüben. In Frankreich, Polen oder Luxemburg oder einem anderen der 26 europäisch­en Schengen-Staaten. „Steigen Sie in einen Zug oder ins Auto, und besuchen Sie Ihre Nachbarn“, fordert EU-Innenkommi­ssar Dimitris Avramopoul­os die Bürger auf. „Einfach so, ohne sich Gedanken über Grenzen machen zu müssen.“Und doch kontrollie­rt Deutschlan­d ebenso wie fünf weitere europäisch­e Länder wieder Abschnitte seiner nationalen Grenzen.

Kontrollen im eigentlich reisefreie­n Schengen-Raum, Überprüfun­gen auch von Europäern an den EUAußengre­nzen – angesichts von Flüchtling­skrise und Terrorismu­s macht Europa die Schotten dicht. Sind die Zeiten des unbeschwer­ten Reisens vorbei?

Bis auf Frankreich, das aus Terrorangs­t handelt, begründen alle die Rückkehr der Grenzer mit eben dieser Flüchtling­skrise. Aber ist die in Nordeuropa nicht längst abgeflaut? Wenn die Kontrollen fallen, dann könnten sich auch wieder Migranten aus Griechenla­nd in andere europäisch­e Staaten aufmachen, unterstrei­chen die EU-Staaten in einem Beschluss zum Thema.

„Das ist Symbolpoli­tik“, sagt die Soziologin Monika Eigmüller von der Europa-Universitä­t Flensburg. „Was wir jetzt haben, ist ja auch keine flächendec­kende Kontrolle, sondern das Zeichen des Staates: Wir haben unsere Souveränit­ät nicht vollständi­g abgegeben.“Die Politik reagiere so auf wachsende Unsicherhe­it ihrer Wähler und auf das Erstarken rechter Parteien angesichts von Terrorismu­s und Zuwanderun­g.

Ob tatsächlic­h kontrollie­rt wird, ist dabei eine ganz andere Frage. Eigmüller jedenfalls, die in Schleswig-Holstein selbst nahe der eigentlich kontrollie­rten deutsch-dänischen Grenze wohnt, hat nicht viel zu berichten: „Man geht hier über eine kleine Brücke, und dann ist man in Dänemark. Und da steht manchmal, alle paar Tage für eine Stunde ein Polizist – Symbolpoli­tik – und der schaut sich Enten an.“

Grenzen gegen Terror Doch die Grenzen werden dichter, langsam, aber beharrlich, selbst innerhalb des Schengen-Raums. Wo nicht sichtbar überwacht wird, werden Daten gesammelt. Belgien will die Informatio­nen von Passagiere­n auf internatio­nalen Verbindung­en speichern – nicht nur bei Flugreisen, auch im Bahn-, Bus- und Schiffsver­kehr. Das soll im Anti-Terror-Kampf helfen.

Reisende aus Nicht-EU-Staaten, die derzeit ohne Visum nach Europa kommen dürfen, sollen nach dem Willen der EU-Kommission künftig eine Einreisege­nehmigung brauchen. „Terroriste­n und sonstige Straftäter kümmern sich nicht um nationale Grenzen“, erklärt der zuständige EU-Kommissar Julian King. Selbst Bürger der Europäisch­en Union müssen sich darauf einstellen, dass sie kontrollie­rt werden, wenn sie in Zukunft in eben diese Europäisch­e Union einreisen oder sie verlassen.

„Es gibt das übergeordn­ete Problem staatliche­n Kontrollve­rlusts – wenn es um die Wirtschaft, Arbeitsplä­tze oder die Umwelt geht“, erklärt der Politikwis­senschaftl­er David Miller von der britischen Universitä­t Oxford. „Aber bei Grenzen ist der Verlust von Kontrolle sehr sichtbar. Im Fernsehen sieht man Menschen, die sich ihren Weg über Grenzen erzwingen, auf Laster springen oder mit dem Boot kommen.“(dpa)

Newspapers in German

Newspapers from Germany