Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Glücklich ohne Internet?

- s.haas@schwaebisc­he.de ●» beilagenre­daktion@schwaebisc­he.de

Sorry, der Blackout hat mich verschont, ich war die ganze Zeit online. Insofern habe ich gut reden. Aber manchmal frage ich mich, wie verkabelt unsere Gewohnheit­en eigentlich schon sind, wenn wir uns ein Leben ohne Kommunikat­ionsund Klimbim-Elektronik gar nicht mehr vorstellen können. Es darf doch wohl nicht wahr sein, dass wir alle an der Bushaltest­elle wie hypnotisie­rt aufs Smartphone starren und weder den rotgoldene­n Sonnenunte­rgang noch die anwesenden Mitmensche­n wahrnehmen! Keinen Moment des Nicht-verbunden-Seins erträgt die neue Gesellscha­ft mehr. Keiner guckt mehr absichtslo­s in die Gegend. Und sogar die große Plauderei auf langen Zugfahrten ist vollkommen verstummt, weil sich die Wahrnehmun­g des Individuum­s im globalen Fischernet­z verfangen hat. Natürlich sind unsere Spielgerät­e, ob groß, ob klein, von bezirzende­r Leuchtkraf­t – äußerlich und inhaltlich. Wie einst der irrfahrend­e Odysseus von den Künsten der Zauberin Circe, so müssen wir uns losreißen von der tückischen Magie.

Ich übe das heute Abend mal mit meinem Gatten. Keine Netflix-Serie bis zum Abwinken! Wir spielen Rommé. Und wir unterhalte­n uns kultiviert. Wir retten die Zivilisati­on. „Na gut“, sagt der Gatte. „Aber dann gucken wir die Serie.“Ach, ich geb’s auf.

Kaum werden die Stoßseufze­r im Kinderzimm­er nebenan lauter, erheben sich auch schon die Bildungsbü­rger aus ihren Ohrensesse­ln, pusten den Staub von der Prüfungsle­ktüre ihres Großen Graecums und heben mahnend den arthrotisc­hen Zei- gefinger. Fehlt nur noch, dass sie die Droschke anspannen, um das aufgebrach­te Marktvolk in Stabreimen vor den Gefahren des Internets zu warnen und dabei über die „haptischen Vorzüge“des Lesens von Papyrusrol­len und Steintafel­n zu dozieren.

„Entschleun­igt euch!“ist das Mantra der dauerentsc­hleunigten Bedenkentr­ägern. Das Problem ist nur: Kaum jemand hört ihnen noch zu. Denn statt auf den Marktplätz­en waren ihre angeblich von Internetsu­cht bedrohten Enkel schon Minuten nach dem Hacker-Angriff wieder online, kauften am „Cyber Monday“komischen Technikkra­m, lernten neue Programmie­rsprachen und plauderten in sozialen Netzwerken mit der ganzen Welt – übrigens in tadellosem Englisch. Denn anders als die Digitalisi­erungsverw­eigerer verstehen sie Platon zwar nicht auf Altgriechi­sch, dafür können sie nach einem Internetau­sfall die Verbindung des Telekom-Routers erneuern. Oder ein zweites WLAN mit ihrem Handy aufbauen. Hätten sie’s ohne Google gewusst? Na also. So blöd kann das Internet gar nicht machen.

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