Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schwedisches Schmuckstück
Der neue Kombi V90 von Volvo hebt sich im Design wohltuend von der Masse ab – Dieselmotor mit kleineren Schwächen
Anfang der 1970er-Jahre ist Volvo die Marke mit dem attraktivsten Autodesign gewesen. Ein wenig despektierlich, aber durchaus bewundernd wurde der legendäre P1800ES im Volksmund Schneewittchensarg genannt. Das Sportcoupé hatte eine rahmenlose Glasheckklappe und war wahrscheinlich der erste Sportkombi, der in Europa produziert wurde. Nicht nur sein Heck, auch seine lange Motorhaube begeisterte. Nach der Einstellung des P1800 verlor der schwedische Hersteller die Vormacht beim Styling, da die Entwickler fortan offenbar Holzkisten als Vorbilder für ihren klobigen Karosseriebau nahmen. Citroën schlüpfte in die Rolle der Schweden. Doch in jüngster Zeit schickt Volvo sich an, im Zuge einer Produktoffensive wieder Autos für das Auge zu bauen. In der Mittelklasse gilt das für die 40er- und 60er-Modelle, und in der oberen Mittelklasse greift neuerdings der stattliche V90Kombi direkt Mercedes, Audi und BMW an.
Optisch ist der V90 zweifelsohne gelungen. Vor Jahren undenkbar, jetzt fast logisch: Wer mit diesem eleganten Auto durch die Straßen fährt, erntet Zustimmung und anerkennende Blicke. Mit einem Audi oder den kaum voneinander zu unterscheidenden C- oder E-Modellen von Mercedes passiert das nicht. Obacht Individualisten: Vor eurer Garage könnte demnächst etwas stehen, mit dem ihr euch von der Masse abheben könnt. Zehn Punkte für das Außendesign.
Und innen? Auch da ist der Volvo wohltuend anders als die deutsche Konkurrenz. Elegante Linien und ein Touchscreen, über den fast alles organisiert wird. Schalter oder Knöpfe gibt es kaum noch in dem perfekt verarbeiteten Schwedenkombi, der sich beim makellosen Finish nicht hinter den deutschen Premiumherstellern verstecken muss. Hin und wieder kommt es bei der Bewertung des Touchscreens zu unterschiedlichen Urteilen. Dass es sich aber um eine komplizierte Bedienungslogik handele, der es am Intuitiven fehle, und dass sich der Fahrer deshalb langwierig mit der Anleitung beschäftigen müsse, gleicht einer üblen Nachrede. Wir haben keine derartigen Probleme gehabt, schalteten mit einer gewissen Leichtigkeit durch die Ebenen und freuten uns über dieses Bedienmodul, mit dem Telefon, Navigation, Klimaanlage und vieles mehr geregelt werden. Die außerordentlich bequemen Ledersitze tragen ebenfalls dazu bei, sich auf Anhieb in diesem Wagen wohlzufühlen. Es ist ein Leichtes, eine perfekte Sitzposition zu finden. Es passt tatsächlich alles, wenn der Fahrer hinter dem Steuer Platz nimmt.
Wird der Motor im V90 D5 AWD gestartet, endet die Euphorie jedoch. Da dieselt merklich ein Vierzylinder, der auf dem Papier stattliche 235 PS und ein maximales Drehmoment von 480 Newtonmetern ausweist. Obwohl es an der reinen Leistung nichts zu mäkeln gibt, wirkt die Maschine
Außen wie innen überzeugendes Design, tadellose Verarbeitung, intuitive Bedienung, gute Geräuschdämmung
beim Hochbeschleunigen dennoch angestrengt und recht laut. Nur der wirklich guten japanischen Achtgang-Automatik ist zu verdanken, dass das Gefühl einer gewissen Untermotorisierung nicht aufkommt. Das können Audi, BMW und Mercedes deutlich besser.
Wer aus einem Rivalen deutscher Provenienz aussteigt, wird das Getriebe im Volvo gewiss auf „Dynamik“stellen, denn so bewegt sich der Zwei-Tonner recht flott. Im normalen „Comfort“-Betrieb nervt schnell ein niedertouriges Brummen, da die Automatik zu schnell in die hohen Gänge wechselt. Um das zu verhindern, muss manuell mit den Schaltwippen eingegriffen werden. Stärken zeigt der Schwede hingegen auf der Autobahn. Hat er die gewünschte Reisegeschwindigkeit erreicht, dann werden Motor- und Windgeräusche dank aufpreispflichtiger Akustikverglasung kaum noch wahrgenommen.
Die Verbrauchsangaben stammen wahrscheinlich von Eril und Alrik oder Eysteinn und Sölve – allesamt schwedische Sagenkönige. Die Werksangabe von 4,9 Litern auf 100 Kilometer (kombiniert) ist jedenfalls nie und nimmer zu erreichen. 7,5 Liter bei sehr defensiver Fahrt, acht Liter im Durchschnitt und deutlich mehr, wenn der Bi-Turbolader gefordert wird, sind realistisch.
Dass dieser neue Edelkombi in der Endabrechnung dennoch gute Noten bekommt, liegt einfach daran, dass er zum zügigen und trotzdem entspannten Cruisen auf der Autobahn einlädt. Das adaptive Luftfahrwerk lässt den Volvo dahingleiten, ohne dass das Auto gleich schwammig wirkt. Dass ein Volvo – seinem Image gemäß – Sicherheit ausstrahlt, zeigen auch die hervorragenden Bremsen, die in keiner Situation mit dem Schwergewicht überfordert sind. Obwohl der Kombi fast fünf Meter in der Länge misst, ist der Kofferraum mit einem Ladevolumen von 560 Litern keine Sensation, eher nur mittlerer Standard in dieser anspruchsvollen Preisklasse. Audi und BMW sind auf diesem Gebiet zwar auch nicht besser. Mercedes und der nicht zu unterschätzende Skoda Superb zeigen aber, wie es besser gemacht wird.
Fazit: Wer etwas anderes fahren möchte, als hierzulande üblich, der ist mit dem Volvo bestens bedient. Das Design spricht für sich – innen wie außen –, der Motor trübt den Gesamteindruck ein wenig. Bei der Preisgestaltung bewegt sich das Auto im Rahmen der Konkurrenz, es sollte also genügend Kontodeckung vorhanden sein.