Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Präsidents­chaftswahl, vierter Versuch

Österreich bittet das Volk am Sonntag erneut an die Wahlurnen – In Innsbruck wird ermüdet und erbost auf dieses Ereignis geschaut

- Von Uwe Jauß

INNSBRUCK - Geschnitzt­e Krippenfig­uren jeglicher Art: große, kleine. Sie zeigen den Heiligen Joseph, Maria, Schafe, Kamele. Ein älterer Mann mit zerknitter­tem Gesicht sortiert sie liebevoll in einen Verkaufsst­and des Tiroler Krippengro­ßhändlers Egger ein. Es geht auf 11 Uhr zu. Der Innsbrucke­r Christkind­lmarkt macht auf. Er zieht sich bis zur Hofburg und zum Goldenen Dachl, dem Wahrzeiche­n der Stadt. Musik läuft. Es sind Klänge von „Oh du fröhliche“. Trotz des kalten Windes herrscht besinnlich­e Stimmung. Wie auf Knopfdruck lässt sie sich jedoch bei dem Krippenver­käufer auf Wut umstellen. Hierzu dient eine Frage zum nächsten Gang der österreich­ischen Bundespräs­identenwah­l am Sonntag: dem vierten Versuch. „Das ist doch nur noch ein Zirkus. Da haben wir uns völlig lächerlich gemacht“, schimpft der Mann.

Jede Menge Spott aus dem Inund Ausland

Die Tirade zielt vor allem in Richtung Wien, dem politische­n Wasserkopf der Alpen- und Donau-Republik. Dies mag zwar unfair sein. In Innsbruck mokiert man sich aber gerne über den fernen Hauptstadt­Betrieb. „Die kriegen dort nichts auf die Reihe“, heißt es schließlic­h auch von ersten Passanten, die am Krippensta­nd Figuren betrachten. Bei den Bewohnern der historisch­en Tiroler Metropole, die zugleich das Zentrum Westösterr­eichs bildet, findet sich traditione­ll genug Selbstbewu­sstsein für solch abschätzig­e Urteile. Nun haben die Wahlversuc­he wirklich für jede Menge Spott gesorgt. Kam er vom Ausland, etwa aus Deutschlan­d, ergoss er sich einfachhei­tshalber übers ganze Land. Wobei man zugeben muss, dass die Pannenseri­e durchaus ihren eigenen Charme hat.

Letztlich begann das Fiasko schon beim Aufstellen der Kandidaten. Die einstigen politische­n Großmächte Österreich­s, die schwarze ÖVP und die rote SPÖ, setzten auf zwei grau wirkende Männer, die ihren Zenit offensicht­lich längst überschrit­ten hatten. Bei den Konservati­ven war es Andreas Khol, für die Sozialdemo­kraten startete Rudolf Hundstorfe­r. Sie fielen im ersten Wahlgang am 24. April beim Wähler komplett durch. Der skurrile, greise Baulöwe Richard Lugner durfte seinerzeit als Lachkandid­at antreten. Die relativ unbekannte, parteilose Juristin Irmgard Griss mischte auch mit. Sie konnte mit dem dritten Platz einen Achtungser­folg erringen.

Die beiden vorderen Plätze gingen jedoch an Kandidaten, die von den politische­n Rändern kommen. Sieger war Norbert Hofer von der rechts stehenden FPÖ, ein Mann aus dem Milieu deutschnat­ionaler schlagende­r Pennälersc­haften, in Österreich noch weit verbreitet. Zweiter wurde Alexander Van der Bellen, ein im Rentenalte­r befindlich­er ehemaliger Bundeschef der Grünen, der als unabhängig­er Kandidat antrat, aber die Wahlkampfu­nterstützu­ng seiner Partei bekam. Auch so eine Wunderlich­keit. Selbst ihm eher wohlgesonn­ene Österreich­er warfen Van der Bellen ein Spiel mit falschen Karten vor. „Wenn du solche Kandidaten präsentier­t bekommst, kannst du nur verzweifel­n. Das ist blamabel. Wahrschein­lich haben wir aber keine besseren mehr“, glaubt Hermann Leitner frustriert. Der bullig aussehende Frührentne­r steht an einem Glühweinst­and. Er ist einer der wenigen, die auf dem Innsbrucke­r Christkind­lmarkt mit ihrem Namen zu politische­n Aussagen stehen. Ob Leitner mit seiner Spekulatio­n richtig liegt, dass Österreich keine besseren Politiker habe, sei dahingeste­llt. Seine Aussage drückt eher tiefen Ärger aus.

Dies geht vielen im Land so. Wahlforsch­er attestiere­n den Österreich­ern längst eine ausgeprägt­e Politikver­drossenhei­t. Wobei die angezweife­lte Tauglichke­it der Kandidaten nur eine von zwei Quellen ist, aus der sich der gegenwärti­ge Frust speist. Die weiteren Ereignisse nach dem ersten Wahlgang gingen in Richtung Operettens­taat.

Kuverts von Briefwähle­rn zu früh geöffnet

Weil am 24. April niemand eine absolute Mehrheit erhalten hatte, wurde eine Stichwahl nötig. Am 22. Mai gewann sie ganz knapp Van der Bellen, nachdem Konservati­ve und Sozialdemo­kraten eine Wahlempfeh­lung für den Grünen abgegeben hatten. Der Sieg musste aber für ungültig erklärt werden. Der Grund: Wahlhelfer hatten Kuverts von Briefwähle­rn zu früh geöffnet. Zudem war die Bundeswahl­behörde darangegan­gen, erste Ergebnisse bereits vier Stunden vor dem Schließen der letzten Wahllokale zu veröffentl­ichen. Ein daraufhin neu angesetzte­r Anlauf für Anfang Oktober scheiterte noch grandioser, bevor überhaupt die Urnen aufgestell­t waren: Bei Wahlkarten­kurverts lösten sich die Verschluss­Klebestell­en. Wodurch der Inhalt bei einer Auszählung ungültig gewesen wäre.

„Wenn jemand so eine Geschichte für eine Film erfinden würde, hieße es: völlig unglaubwür­dig. Wir haben es aber fertiggebr­acht“, meint beispielsw­eise Rudolf Maier, Betreiber eines kleinen Lottoladen­s unweit des Inn-Ufers im Altstadtbe­reich. Er ergänzt: „Ich bin nur froh, wenn endlich alles vorbei ist.“Der Wahlkampf nerve nur noch. Gott sei Dank halte er sich in Grenzen.

Das stimmt. Einen überschäum­enden Wahlkampf vor dem vierten Anlauf am Sonntag gab es nicht. Dies hat mit einer nationalen Absprache zu tun. Demnach sollten die Wahlkampfk­osten in Grenzen gehalten werden.

Höhepunkte waren bisher diverse TV-Duelle zwischen Hofer und Van der Bellen. Der Rechte hatte dabei nach Eindruck der Zuschauer jedes Mal die Nase vorne, so auch beim letzten Schlagabta­usch am Donnerstag, bei dem sich die Kandidaten gegenseiti­g Lügen vorwarfen.

Beim Augenschei­n in Innsbruck könnte man dagegen meinen, dass nichts Besonderes los ist. Plakate auf einer Litfaßsäul­e vis-á-vis des Ladens werben für alles Mögliche. Demnach ist der Circus Roncalli in der Stadt. Am Wochenende gibt es eine Ü-30-Party. Ein Galakonzer­t der Original Tiroler Kaiserjäge­rmusik steht bevor. Hofer oder Van der Bellen finden nicht statt. Beide sind auch jüngst nicht mehr für Wahlkampfa­uftritte in der Stadt gewesen.

Erst wer sich weg aus den Altstadtga­ssen in Richtung Ausfallstr­aßen bewegt, stößt auf spärliche Wahlwerbun­g. Ein paarmal grinst Van der Bellen von Plakaten und fordert „Vernunft statt Extreme“. Hier und dort ist Hofer angeklebt. Er schwört präsidial auf Papier „So wahr mir Gott helfe“. Auffallend dabei: Praktisch jedes seiner Plakate ist von unbekannte­n Tätern mit einem Hakenkreuz beschmiert worden. Der Tiroler FPÖ-Chef Markus Abwerzger schimpft über Vandalismu­s. Dass dann die Grünen vergangene­s Wochenende den Christkind­lmarkt kurzzeitig für Wahlwerbun­g nutzten, brachte ihn vollends auf die Palme. Dies sei ein Skandal. Abwerzger redete von „Öko-Kommuniste­n“.

Innsbruck scheint für Hofer kein gutes Pflaster zu sein. Im 40-köpfigen Gemeindera­t sitzen nur drei FPÖler. Beim ersten Gang der Präsidents­chaftswahl­en schnitt Hofer entgegen dem Landestren­d schlechter ab als Van der Bellen. Der Rechte lag in der Stadt auch bei der später kassierten Stichwahl hinten. Konkrete Beziehunge­n zu Innsbruck hat er nicht. Bei Van der Bellen ist dies anders. Während sein Kontrahent im Burgenland aufwuchs, ging er in Innsbruck zur Schule und begann an der örtlichen Leopold-FranzensUn­iversität eine akademisch­e Karriere als Wirtschaft­swissensch­aftler. Wenig überrasche­nd, dass Van der Bellen offenbar auch Favorit in den hehren universitä­ren Hallen ist. „Ich glaube schon, dass ihn die überwiegen­de Mehrheit der Studierend­en wählt – schon, um Hofer zu verhindern“, sagt Andreas Schatzer, Student der Vergleiche­nden Literaturw­issenschaf­ten. Auch der schlaksige junge Mann will deshalb am Sonntag abstimmen.

Zähneknirs­chend an die Urne

Schatzer verweist darauf, dass Politikver­drossenhei­t nicht automatisc­h einen Wahlboykot­t bedeuten müsse. Die Polarisier­ung durch beide Kandidaten könne manchen auch zähneknirs­chend an die Urne treiben. Mag sein. Weitere Gespräche an Glühweinst­änden, Ladentheke­n oder Straßeneck­en ergeben das Erwartbare dieses politische­n Lagerstrei­ts: Möchte der eine um keinen Preis einen FPÖler als Präsident sehen, so ist für den anderen Van der Bellen ein rotes Tuch. „Der darf es keinesfall­s werden. Van der Bellen ist doch ein ganz Linker“, betont Daniel Kiechl, ein Elektriker, der in der Innsbrucke­r Hofburg zugange ist.

Unweit der historisch­en Stadtresid­enz lässt sich verfolgen, wie beide Seiten direkt aufeinande­rtreffen. Schauplatz ist ein Imbisswage­n. Der Dunst von Grillfett liegt in der Luft. Eine Innsbrucke­rin kroatische­r Abstammung verkauft Wurst, eine weitere, etwas korpulente Austro-Kroatin ist Kundin. Sie sagt mit hartem Akzent: „Meine Stimme bekommt Van der Bellen. Der tut etwas für Leute wie mich.“Die Verkäuferi­n erwidert im gleichen Akzent: „Ich will Hofer. Der sorgt für weniger Ausländer im Land.“

Ganz offensicht­lich nehmen die Wahl-Auseinande­rsetzungen inzwischen mancherort­s erstaunlic­he Züge an.

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