Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bayern vor Gericht
Flechtheim-Erben verklagen Freistaat in den USA
BERLIN/RAVENSBURG (dpa/sz) - Alfred Flechtheim (1878 - 1937) war einer der berühmtesten Galeristen der Weimarer Zeit. Von den Nazis als Jude verfolgt, floh er ins Exil nach Paris und später London, wo er mittellos starb. Seine Frau nahm sich 1941 am Abend vor der Deportation in Berlin das Leben. Bilder der Sammlung Flechtheim wurden beschlagnahmt, versteigert, für wenig Geld verkauft – und hängen heute teilweise in deutschen Museen. Auch in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Seit Jahren schon kämpfen die Erben Alfred Flechtheims um die Rückgabe. Ohne Erfolg. Jetzt klagen sie gegen den Freistaat vor einem US-amerikanischen Gericht.
Raubkunst-Verdacht Der deutsche Anwalt der Erben, Markus H. Stötzel, sagte am Dienstag der Deutschen Presseagentur in Berlin, seine amerikanischen Kollegen hätten die Klage beim Bundesbezirksgericht für New York Süd eingereicht. Flechtheims 70-jähriger Großneffe Michael Hulton, Sohn von Heinz Alfred Hulisch (1910–1992) aus San Francisco, und seine demnächst 90 Jahre alte Stiefmutter Penny Hulton aus England erheben in dem Schriftsatz Anspruch auf acht wertvolle Werke der Klassischen Moderne.
Konkret geht es um „Duchessa di Malvedi“, „Stillleben mit Zigarrenkiste“, „Stillleben mit Tisch und Gläsern (Atelierfenster)“, „Chinesisches Feuerwerk; Kleiner Traum/ Traum“, „Champagnerstillleben“, „Bildnis Quappi in Blau“– alle von Max Beckmann, außerdem um „Cruche et verre sur un table“von Juan Gris und „Grenzen des Verstandes“von Paul Klee.
In der Klageschrift, die der Deutschen Presseagentur vorliegt, heißt es: „Diese Bilder waren Teil der großen privaten Kunstsammlung Flechtheims. Er verlor sie wegen der Politik von Rassenverfolgung und Völkermord.“Der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) habe sich einer gütlichen Einigung mit den Erben verweigert. Stötzel sagt: „Bayern zwingt unseren Mandanten ANZEIGE damit einen Rechtsstreit auf, den man hätte vermeiden können, aber man wollte ihnen wohl keine andere Wahl lassen.“
Die beiden Erben liegen schon seit Jahren mit Bayern und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im Streit. Der Freistaat hat die Ansprüche bisher stets zurückgewiesen. Es gebe keine Hinweise, dass dem Galeristen die Bilder von den Nazis weggenommen oder abgepresst wurden, hieß es wiederholt. So sei die Beziehung zwischen Flechtheim und Max Beckmann schon 1931, also deutlich vor Beginn der NS-Zeit, beendet worden.
Die Kläger machen dagegen geltend, Flechtheim sei noch 1933 Besitzer der Werke gewesen. Erst nach seiner erzwungenen Flucht aus Deutschland hätten sich die Nazis seines Eigentums bemächtigt. Das könne durch Dokumente aus dem Nachlass des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt und seines Sohnes Cornelius belegt werden, die der Freistaat allerdings unter Verschluss halte. Sie verweisen auf Beckmanns Gouache „Der Löwenbändiger“, die Hildebrand Gurlitt erst 1934 von Flechtheim gekauft habe.
Kritik an der Forschung Pikant ist auch: Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sind federführend bei einer groß angelegten Provenienzforschung über Bilder aus dem Besitz Flechtheims. Auf der Webseite www.alfredflechtheim.com stehen die Staatsgemäldesammlungn im Impressum. Auch darüber hatte sich 2013 anlässlich einer Provenienztagung in Düsseldorf ein Streit entzündet zwischen den Forschern und den Flechtheim-Erben. Die werfen den am Projekt beteiligten Institutionen vor, zu wenig auf die Informationen der Familie Flechtheim einzugehen.
Schon im vergangenen Jahr hatten 29 Abgeordnete des US-Kongresses in einem Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) ein stärkeres Engagement für die Rückgabe von NS-Raubkunst aus Bayern gefordert.
Auch mit anderen Institutionen gibt es Streit um das Erbe. Die Stadt Köln gab 2013 nach einer entsprechenden Empfehlung der LimbachKommission ein millionenschweres Kokoschka-Gemälde an die Flechtheim-Erben zurück. Auch die Auseinandersetzung mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen um ein Gemälde von Juan Gris schlug hohe Wellen.
Dem bayerischen Kunstministerium lag die Klage am Dienstag zunächst noch nicht vor. „Sollte dem Freistaat eine entsprechendes Schriftstück vorliegen, wird dieses intensiv geprüft und über eine Reaktion entschieden“, hieß es in einer Stellungnahme. Die Aufarbeitung des Unrechts des NS-Regime sei ein zentrales Anliegen. Dazu müssten die Fakten zu den Besitzverhältnissen jedes Kunstwerks sorgfältig recherchiert werden. „Das gilt auch hier.“