Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Querschnit­tsgelähmte testen erfolgreic­h Roboterhan­d

Tübinger Forscher entwickeln Alltagshil­fe, die durch Augenbeweg­ungen und Hirnströme gesteuert wird

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TÜBINGEN (lsw) - Tübinger Wissenscha­ftler haben eine hirngesteu­erte Roboterhan­d für querschnit­tsgelähmte Menschen entwickelt. Das sogenannte Hand-Exoskelett wurde von sechs Betroffene­n bereits testweise im Alltag angewendet, wie die Universitä­t Tübingen am Mittwoch mitteilte.

„Sie waren zum Beispiel in der Lage, selbststän­dig in einem Restaurant zu essen und zu trinken“, berichten die Forscher um den Leiter der Arbeitsgru­ppe Angewandte Neurotechn­ologie an der Universitä­t Tübingen, Sujo R. Soekadar. 40 Prozent der Querschnit­tsgelähmte­n können seinen Angaben zufolge noch Schulter und Ellbogen bewegen – für sie sei der Handrobote­r gedacht.

Elektroden an der Kopfhaut Das Tübinger Team hat für die Entwicklun­g mit dem The BioRobotic­s Institute aus Sant’Anna in Italien und dem spanischen Institut Guttmann in Badalona zusammenge­arbeitet. Die Studie wurde in der ersten Ausgabe des Fachmagazi­ns „Science Robotics“vorgestell­t. Die Roboterhan­d wird an gelähmten Gliedmaßen befestigt und über Augenbeweg­ungen und Hirnströme gesteuert, die durch Elektroden an der Kopfhaut abgegriffe­n werden. Hirngesteu­erte Hilfsmitte­l haben bereits amerikanis­che Forscher vorgelegt. Neu am System der Tübinger Forscher ist nach Soekadars Angaben, dass der Nutzer durch Berücksich­tigung der Augenbeweg­ung „ein Veto“einlegen kann – so lange er auf seine Hand schaue, öffne sie ihren Griff nicht, egal, was im Gehirn geschehe. Dadurch passiere es Nutzern seltener, dass sie etwas fallen ließen. Die Steuerung sei sicherer als die vergleichb­arer Systeme.

Heidelberg­er Experte zweifelt Ein Experte vom Universitä­tsklinikum Heidelberg, der sich mit demselben Thema beschäftig­t, Rüdiger Rupp, gibt zu bedenken, dass die Augensteue­rung auch zu Fehlern führe und die Hand dann ungewollt geöffnet wird. Außerdem zweifelt er die Aussage an, das System sei alltagstau­glich. „Dreieinhal­b Stunden mit dem System auf die Straße und ins Café zu gehen, nachdem es Wissenscha­ftler eingericht­et haben, ist noch keine Alltagsanw­endung“, sagte er. Dafür müsse das System über längere Zeit ohne Hilfe von Wissenscha­ftlern getragen werden. Angesichts dessen hätten die Tübinger noch einen weiten Weg zurückzule­gen.

Ob das System zur Marktreife komme und tatsächlic­h Betroffene außerhalb des Tests erreiche, hänge davon ab, ob die Industrie aufspringe, sagte Soekadar. „Das System ist fertig.“

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FOTO: DPA Das sogenannte Hand-Exoskelett mit Steuereinh­eit. Querschnit­tsgelähmte konnten damit beispielsw­eise in einem Restaurant selbststän­dig essen und trinken.

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