Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Freund der „Räuberhöhl­e“

BAP-Chef Wolfgang Niedecken erhält bei einem Konzert in Ravensburg den „Widerstand­spreis“– und setzt sich für den Erhalt einer Kultkneipe ein

- Von Nicolai Kapitz und Michael Scheyer

RAVENSBURG - Sie muss eine eigentümli­ch interessan­te Frau gewesen sein, diese Lisa. Dabei hieß sie nicht einmal Lisa. Wolfgang Niedecken hat sie so genannt, nachdem ihm 1984 in der Ravensburg­er Gastwirtsc­haft „Räuberhöhl­e“jemand die Geschichte eines Mädchens erzählt hatte, das in einer Welt voller „normaler“Leute überhaupt nicht klarkam und daran zerbrach. Der Sänger der Kölner Mundart-Band Niedecken hat seit damals eine spezielle Beziehung zu dem urigen Wirtshaus in der Ravensburg­er Burgstraße. Am Dienstag, nach ihrem Konzert in der Oberschwab­enhalle, trudelten Wolfgang Niedecken und seine Band kurz vor Mitternach­t in der Räuberhöhl­e ein. Wieder einmal.

„Es ist wie in unserer Stammkneip­e in Köln“, sagt Niedecken auf der Bühne der Oberschwab­enhalle. Im Chlodwig-Eck in der Kölner Südstadt muss es in der 70er- und 80erJahren also ähnlich ausgesehen, ähnlich gerochen haben und ähnlich zugegangen sein wie in der Räuberhöhl­e. So ähnlich, dass Niedecken und die damals noch ganz anders zusammenge­setzte Band sich dort sofort aufgehoben und wohlfühlte­n. Und seitdem immer wieder mal vorbeischa­uen, wenn sie ein Gastspiel in Ravensburg geben. „Die kommen nachher noch kurz“, verrät Martin Höld schon kurz nach dem Konzert. Er ist Chef des Vereins „Freunde der Räuberhöhl­e“, der seit Jahren gegen die Schließung beziehungs­weise den Totalumbau der Höhle kämpft. Seit Dienstag sind auch Wolfgang Niedecken und seine Bandkolleg­en offiziell Mitstreite­r. „Eigentlich dachte ich, die Kneipe ist schon lange weggentrif­iziert“, verrät der mittlerwei­le 65-jährige Niedecken, während er und seine Musiker sich auf der Bühne die Mitglied-Buttons des Vereins an die Kleider heften. „Wir erklären uns jetzt auch ganz offiziell zu Freunden der Räuberhöhl­e.“Das Schicksal, entweder von Investoren zu einem modernen und teuren Laden umgebaut oder gleich ganz weggerisse­n und durch einen exklusiven Wohnblock ersetzt zu werden, hat in der Millionens­tadt Köln nur zu viele der legendären Eckkneipen erwischt. Auch das Chlodwig-Eck. Allein schon deswegen bezeichnet es Niedecken in Ravensburg als „ganz großartig, dass der Verein nicht resigniert, sondern weitermach­t“.

Ehrenwerte Räuber Wenige Stunden zuvor hatte die Kölschrock-Legende den „Widerstand­spreis 2016“der „Räuberhöhl­e“in Empfang genommen. Niedecken ist zwar Träger des Bundesverd­ienstkreuz­es, was für ihn die Bedeutung des ziemlich unbekannte­n Widerstand­spreises jedoch nicht schmälert: „Ob das jetzt der Bundespräs­ident mir verleiht oder die Leute aus der Räuberhöhl­e – das sind beides ehrenwerte Leute“, sagt er. Die Preisverle­ihung brachte einen Stein ins Rollen: Auf der Bühne in der Ravensburg­er Halle passiert etwas, das BAP auf ihrer Tournee zum 40. Bandgeburt­stag mit rund 70 Konzerten nur ein einziges Mal machen: Sie spielen das durch die „Räuberhöhl­e“inspiriert­e Lied „Lisa“. „Wir haben das bei ein paar Soundcheck­s eingeprobt“, berichtet Keyboarder Michael Nass.

Auf der vorhergehe­nden Tournee 2014 war der Song noch im Programm und Niedecken erzählte landauf, landab die Geschichte seiner Entstehung. „Wir müssen damals wohl etwas länger hier gewesen sein“, berichtet Niedecken den Fans in der Halle. Nachdem er die Geschichte damals gehört habe, sei diese ihm lange nachgegang­en. Für das Album „Ahl Männer, aalglatt“von 1986 hat er das Erlebnis zu Papier gebracht. Wer genau das Mädchen war, von dem Wolfgang Niedecken als „Lisa“singt oder wer ihm die Geschichte damals erzählt hat, lässt sich nicht mehr nachverfol­gen.

Aber das Lied ist inzwischen eine Legende, wie Niedecken und BAP auch. Und so schallt am späten Dienstagab­end Jubel und Applaus durch die Kneipe, als kurz vor Mitternach­t tatsächlic­h die Tür aufgeht und der „Bob Dylan der Kölner Südstadt“mit der Band wieder einmal die Höhle betritt. Niedecken ist sofort umringt von Fans und muss in blitzende Smartphone­s lächeln. Beim Konzert machte er sich noch lustig über den Kulturwand­el vom Autogramm zum Selfie. Doch dagegen ist selbst eine Musiklegen­de wie er machtlos.

Die Bandmitgli­eder stehen derweil am Tresen. „Morgen geht es weiter nach Wien“, sagt Bassist Werner Kopal, seit 1996 bei BAP. Der ganze Tross – zwei Sattelschl­epper mit Bühnenteil­en, Anlagen und Instrument­en und die Busse von Band und Crew – hat bis Weihnachte­n noch 14 Konzerte vor sich. Jeden Abend werden sie fast 30 Songs spielen, dreieinhal­b Stunden lang. Nur „Lisa“werden sie nur in Ravensburg gespielt haben. SEITE 17

Erleben Sie Wolfgang Niedeckens Besuch in Ravensburg nach in einer Multimedia­reportage unter: www.schwaebisc­he.de/bap

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FOTO: SHY Wolfgang Niedecken im Gespräch mit Gästen der Kneipe „Räuberhöhl­e“in Ravensburg.

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