Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Freund der „Räuberhöhle“
BAP-Chef Wolfgang Niedecken erhält bei einem Konzert in Ravensburg den „Widerstandspreis“– und setzt sich für den Erhalt einer Kultkneipe ein
RAVENSBURG - Sie muss eine eigentümlich interessante Frau gewesen sein, diese Lisa. Dabei hieß sie nicht einmal Lisa. Wolfgang Niedecken hat sie so genannt, nachdem ihm 1984 in der Ravensburger Gastwirtschaft „Räuberhöhle“jemand die Geschichte eines Mädchens erzählt hatte, das in einer Welt voller „normaler“Leute überhaupt nicht klarkam und daran zerbrach. Der Sänger der Kölner Mundart-Band Niedecken hat seit damals eine spezielle Beziehung zu dem urigen Wirtshaus in der Ravensburger Burgstraße. Am Dienstag, nach ihrem Konzert in der Oberschwabenhalle, trudelten Wolfgang Niedecken und seine Band kurz vor Mitternacht in der Räuberhöhle ein. Wieder einmal.
„Es ist wie in unserer Stammkneipe in Köln“, sagt Niedecken auf der Bühne der Oberschwabenhalle. Im Chlodwig-Eck in der Kölner Südstadt muss es in der 70er- und 80erJahren also ähnlich ausgesehen, ähnlich gerochen haben und ähnlich zugegangen sein wie in der Räuberhöhle. So ähnlich, dass Niedecken und die damals noch ganz anders zusammengesetzte Band sich dort sofort aufgehoben und wohlfühlten. Und seitdem immer wieder mal vorbeischauen, wenn sie ein Gastspiel in Ravensburg geben. „Die kommen nachher noch kurz“, verrät Martin Höld schon kurz nach dem Konzert. Er ist Chef des Vereins „Freunde der Räuberhöhle“, der seit Jahren gegen die Schließung beziehungsweise den Totalumbau der Höhle kämpft. Seit Dienstag sind auch Wolfgang Niedecken und seine Bandkollegen offiziell Mitstreiter. „Eigentlich dachte ich, die Kneipe ist schon lange weggentrifiziert“, verrät der mittlerweile 65-jährige Niedecken, während er und seine Musiker sich auf der Bühne die Mitglied-Buttons des Vereins an die Kleider heften. „Wir erklären uns jetzt auch ganz offiziell zu Freunden der Räuberhöhle.“Das Schicksal, entweder von Investoren zu einem modernen und teuren Laden umgebaut oder gleich ganz weggerissen und durch einen exklusiven Wohnblock ersetzt zu werden, hat in der Millionenstadt Köln nur zu viele der legendären Eckkneipen erwischt. Auch das Chlodwig-Eck. Allein schon deswegen bezeichnet es Niedecken in Ravensburg als „ganz großartig, dass der Verein nicht resigniert, sondern weitermacht“.
Ehrenwerte Räuber Wenige Stunden zuvor hatte die Kölschrock-Legende den „Widerstandspreis 2016“der „Räuberhöhle“in Empfang genommen. Niedecken ist zwar Träger des Bundesverdienstkreuzes, was für ihn die Bedeutung des ziemlich unbekannten Widerstandspreises jedoch nicht schmälert: „Ob das jetzt der Bundespräsident mir verleiht oder die Leute aus der Räuberhöhle – das sind beides ehrenwerte Leute“, sagt er. Die Preisverleihung brachte einen Stein ins Rollen: Auf der Bühne in der Ravensburger Halle passiert etwas, das BAP auf ihrer Tournee zum 40. Bandgeburtstag mit rund 70 Konzerten nur ein einziges Mal machen: Sie spielen das durch die „Räuberhöhle“inspirierte Lied „Lisa“. „Wir haben das bei ein paar Soundchecks eingeprobt“, berichtet Keyboarder Michael Nass.
Auf der vorhergehenden Tournee 2014 war der Song noch im Programm und Niedecken erzählte landauf, landab die Geschichte seiner Entstehung. „Wir müssen damals wohl etwas länger hier gewesen sein“, berichtet Niedecken den Fans in der Halle. Nachdem er die Geschichte damals gehört habe, sei diese ihm lange nachgegangen. Für das Album „Ahl Männer, aalglatt“von 1986 hat er das Erlebnis zu Papier gebracht. Wer genau das Mädchen war, von dem Wolfgang Niedecken als „Lisa“singt oder wer ihm die Geschichte damals erzählt hat, lässt sich nicht mehr nachverfolgen.
Aber das Lied ist inzwischen eine Legende, wie Niedecken und BAP auch. Und so schallt am späten Dienstagabend Jubel und Applaus durch die Kneipe, als kurz vor Mitternacht tatsächlich die Tür aufgeht und der „Bob Dylan der Kölner Südstadt“mit der Band wieder einmal die Höhle betritt. Niedecken ist sofort umringt von Fans und muss in blitzende Smartphones lächeln. Beim Konzert machte er sich noch lustig über den Kulturwandel vom Autogramm zum Selfie. Doch dagegen ist selbst eine Musiklegende wie er machtlos.
Die Bandmitglieder stehen derweil am Tresen. „Morgen geht es weiter nach Wien“, sagt Bassist Werner Kopal, seit 1996 bei BAP. Der ganze Tross – zwei Sattelschlepper mit Bühnenteilen, Anlagen und Instrumenten und die Busse von Band und Crew – hat bis Weihnachten noch 14 Konzerte vor sich. Jeden Abend werden sie fast 30 Songs spielen, dreieinhalb Stunden lang. Nur „Lisa“werden sie nur in Ravensburg gespielt haben. SEITE 17
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